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Wo steht das Tor? So einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist die Frage für die Spieler des 1. FC Magdeburg derzeit nicht zu beantworten.

© Block U - 1. FC Magdeburg

Willmann vor Ort: Gewalt beim Fußball und wie man in Magdeburg damit umgeht

Es gibt ihn, den Dialog zwischen Fußballfans und Sicherheitsbeamten. Und der kann durchaus fruchtbar sein, wie unser Kolumnist Frank Willmann am Beispiel Magdeburg belegt.

Der Magdeburger Fußball bietet seinen Leid geplagten Anhängern seit einiger Zeit ein Schreckensspiel nach dem nächsten. Der Club steht tatsächlich auf dem letzten Platz der Regionalliga Nord. Und er steigt nur deshalb nicht ab, weil die Regionalligen mal wieder reformiert werden.

So graumäusig der Fußball, so lebendig die Fanszene. Am Dienstag ging in einem Konferenzraum ein besonderes Ereignis über die Bühne. Fußballfans zwischen 17 und 60 trafen mit Polizisten zu einem Gedankenaustausch zusammen. Beide Parteien hörten einander zu. Wie konnte das geschehen?

2010 wurde ein Innenausschuss im Sachsen-Anhaltinischen Landtag zum Thema Gewalt bei Fußballspielen einberufen. Der Grund waren unschöne Szenen beim Derby 2009 zwischen dem HFC und dem FCM in Halle. Erst geriet nach dem Spiel eine Polizeieinheit zwischen die Fronten von HFC-Fans, 30 Polizisten fühlten sich in einen Hinterhalt gelockt und wurden von Hallenser Fans massiv angegriffen. Parallel dazu gab es am Hallenser Bahnhof einen überzogenen Einsatz einer Blumenberger BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) gegen friedlich abziehende Magdeburger. An einem Tag die zwei Seiten der Medaille.

In der Folge gab es viele Anzeigen, Beschwerden, Gedächtnisprotokolle. Die neue Qualität der Auseinandersetzungen zwang die Politik zu einer Reaktion. Der Innenausschuss wurde einberufen. Im ersten Innenausschuss war die Polizei der einzige Ansprechpartner. Es folgten Beschwerden von Seiten der Fans und Vereine. Wenn man ernsthaft darüber reden möchte, müssen auch Fans gehört werden. Im zweiten Innenausschuss waren dann die Fanprojekte beider Vereine, der Sachsen-Anhaltinische Fußballverband, Vertreter von Halle und Magdeburg, die Fanbetreuer der Vereine und die KOS (Koordinationsstelle Fanprojekte) zugegen. Von allen Beteiligten wurde der Politik klar gemacht, dass es bei Auseinandersetzungen im Fußball zwei Seiten gibt. Die Gewalt, die von Fans ausgeht, aber auch überzogene Polizeieinsätze.

Die Politik wollte etwas tun, die Polizei schlug einen Anti-Gewalt-Cup vor. Fans und Polizei kicken gegeneinander und finden über den Sport zueinander. Schirmherr war der Innenminister, naturgemäß sehr polizeilastig. Für aktive Fans, der Zielgruppe, keine Maßnahme, die sie interessiert. Eine Polizeitruppe holte den Pokal, die aktiven Fans beider Städte nahmen nicht teil. Kicken und dann unterhalten, funktionierte für sie nicht, für sie war es eine politische Alibiveranstaltung mit Onkel Minister.

Feindbilder abbauen, miteinander reden, einander zuhören

Polizei und Fans im Dialog.
Polizei und Fans im Dialog.

© Fanprojekt Magdeburg

Ein Jahr später sollte der zweite Cup stattfinden. Vorher hatten sich alle Beteiligten getroffen: Polizei, Fanprojekte, Fans, Vereine etc. Und nun wurde von Seiten der Fanvertreter Tacheles geredet, der erste Cup ausgewertet, es wurden Arbeitskreise gegründet. Wollen wir mehr außer einem netten Foto in der Zeitung?

Ja, wollte man. Also Feindbilder abbauen, miteinander reden, einander zuhören. Einen Perspektivwechsel. Was bedeutet es, Polizist zu sein? Was wollen die Fans, was besagen bestimmte Handlungen und Rituale? Jedes Fanprojekt sollte eigenverantwortlich agieren. In Magdeburg wurden zwei Veranstaltungen vom Fanprojekt und dem Konfliktmanagement der Magdeburger Polizei organisiert.

In der ersten Veranstaltung Anfang des Jahres auf neutralem Boden im Magdeburger Rathaus, berichteten acht Fans aller Generationen via PowerPoint und Fotos über ihren Spielalltag am Beispiel eines Auswärtskicks bei RB Leipzig. Was gehört zu ihrer Kultur? Warum wollen sie oft keine Shuttlebusse? Warum gibt ihnen die Polizei wenig Bewegungsspielraum, sodass ein Toilettenbesuch zum Problem wird? Welche Bräuche gehören einfach dazu? Warum wird man wie eine Horde wilder Kreaturen durch den Leipziger Hauptbahnhof geführt? Was ist optische Pyrotechnik, was Gewaltpyrotechnik?

Im Publikum saßen 40 Polizisten aus verschiedenen Einheiten. Einsatzleiter und Einsatzplaner, SKB (Szenekundige Beamte), Bereitschaftspolizisten, Gruppenführer. Polizisten aus allen Bereichen, die vom Fußballalltag betroffen sind. Von der Theorie im Büro bis zur Praxis an der Front.

Nach dem Fanvortrag durften Fragen gestellt werden. Eine lebhafte Diskussion, auf Augenhöhe, entwickelte sich, die dem gegenseitigen Verständnis gut tat. Die Möglichkeit, etwas direkt und kritisch zu äußern. Das sind ganz kleine Schritte. Aber es sind Schritte nach vorn. Über angeordnete Aktionen geht gar nichts, beide Seiten müssen auch belastbar sein. Ein weiter Weg.

Beide Seiten stellen ihre Sichtweisen dar

Vergangenen Dienstag  redeten und powerpointeten drei Polizisten vor 40 Fans. Ein SKB, ein Konfliktmanager und der Einsatzleiter der Magdeburger Dienststelle. Neugier auf beiden Seiten. Die Fans wollten es auf sich zukommen lassen, eventuell ein paar interessante Infos erhalten, schaun was der Andere denkt und fühlt. Beim ersten Mal hatten die Polizisten zugehört, nun taten das die Fans. Der Einsatzleiter, ein gebürtiger Magdeburger, sprach offen und ausführlich vom Dienstalltag eines Fußballspiels aus Sicht der Polizei. Wer macht was wieso und warum. Wie nehmen Polizisten bestimmte Aktionen der Fans wahr? Welche Pflichten haben sie als vereidigte Beamte? Das Anliegen: Verständnis wecken, Deeskalation als Zauberwort. Er möchte auch guten Fußball in Magdeburg sehen, auf Polizei mit Helm und Knüppel in der Hand würde er beim Fußball gern verzichten. Geht aber momentan nicht. Er zeigt den Fans Youtube-Videos von gewalttätigen Aktionen in Magdeburg. Danach erzählt der SKB von seinem Job, zum Schluss der Konfliktmanager, ein ganz wichtiger und relativ neuer Job bei der Magdeburger Polizei.

Am Ende wirft der Einsatzleiter die Frage in den Raum, ob ein Spieltag aus Sicht der Fans ohne Polizei möglich sei? Es folgt eine sehr offene Diskussion. Die Polizisten berichten von Fangewalt, die Fans von Polizeiwillkür, der Verhältnismäßigkeit von Polizeipräsenz, der Gewalttäterkartei Sport und wie leicht man in diese geraten kann. Jeder darf ausreden. Am Ende sind zwei Stunden wie nix vergangen. Nachdenkliche Gesichter vor der Tür. Man will weitermachen. Beide Parteien.

Wer Veränderungen im Verhältnis zwischen Polizei und aktiven Fans will, braucht Geduld und den Willen zur Veränderung. Dass aus Polizei und Fans wieder normale Bürger werden. In Magdeburg, zum Beispiel.

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