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Willmanns Kolumne: Als Unioner und Herthaner noch Freunde waren

Morgen ist der Tag der Tage: Das Derby zwischen Hertha und Union. Vier Union-Fans erzählen wie es war, als die Mauer noch stand und Herthaner und Unioner trotzdem eins waren. Eine Zeitreise in Text und Bild.

Szenen einer Ehe: Union- und Hertha-Fans verband eine enge Freundschaft, als es noch zwei deutsche Staaten gab. Bis 1989 waren die Fans Freunde hinter Stacheldraht. Hertha-Fans kamen an die Alte Försterei zu Besuch, Union-Fans fuhren mit Hertha ins osteuropäische Ausland. Das war gar keine leichte Sache. Die Staatssicherheit hatte für diese innerdeutschen Liebesbeweise kein Verständnis. Klassenfeind war Klassenfeind! Und konnte sich auch hinter einer Fankluft verstecken.

Inzwischen sind Union und Hertha Stadtrivalen in den Tiefen der Zweiten Bundesliga, und von Freundschaft ist keine Rede mehr. Das Berliner Derby am 11. Februar elektrisiert die Massen. Es geht um die alles entscheidende Frage, ob die Stadt blau-weiß oder rot-weiß trägt.

Vier Union-Fans erzählen, wie das damals war, als getrennt durch die Berliner Mauer Herthaner und Unioner noch eins waren. Die folgenden Zitate stammen aus dem Buch Stadionpartisanen nachgeladen, erschienen vergangene Woche.

Mampe: 1977 sind bei Union das erste Mal größere Mengen Hertha-Fans aufgetaucht. Die Herthaner sind von allein gekommen. Ein besonderes Datum war der 13. August 1977. Union spielte 2:1 in Magdeburg. Dort waren ungefähr 100 Hertha-Fans mit. Wir haben den bekanntesten Herthafrosch Pepe Mager beschimpft, weil er negativ über Union berichtete. Er hatte im Westfernsehen behauptet, dass die Unioner auch nur auf Randale aus waren. Das fanden die Unioner nicht so gut. Die Herthaner hatten eine riesige blau-weiße Hertha-Fahne  mit dem „H“ drin mit. Aber das ist nicht weiter aufgefallen, weil Magdeburg auch blau-weiß war. Die Bullen sind nicht gegen die Herthaner eingeschritten. Da waren zwei-, dreitausend Unioner mitgewesen, da hätten die Bullen den Kürzeren gezogen. Das waren nicht nur Herthaner aus dem Westen, es gab auch diesen Spinner von Tennis Borussia, den haben wir gnadenlos ausgepfiffen An der Alten Försterei. Der hatte eine TB-Fahne mit, dadurch ist er erkannt worden.

Brille: Das war für uns der Beginn der Freundschaft mit Hertha mit bestimmten Leuten von Hertha, dem HFC, dem Hertha-Fanclub. Das erste große Erlebnis mit den Hertha-Fans, weil die uns Karten für ganz wenig Geld verkooft haben, war das Freundschaftsspiel der Hertha in Dresden am 26. April 1978. Das war zur Prüfungszeit, und wir hatten den Mittwoch frei als das Spiel war. Mein Kumpel und ich sind nach Dresden gefahren. Hertha hat leider 0:1 verloren. War trotzdem alles schick. Auf der Rückfahrt sind irgendwelche dubiosen Leute durch den Zug gelaufen, Ausweiskontrolle. Da wurden alle aufgeschrieben, die in dem Zug drin waren. Am Sonnabend, drei Tage später, ich war bei der Physikprüfung, klingelte es bei meinen Eltern. Einer von der Staatssicherheit stand vor der Tür, ich hätte da einen Termin. Er hat eine Karte vorgelegt, ich sollte zur „Klärung eines Sachverhaltes“, wie es damals so schön hieß,  um 10 Uhr in der Wendenschloßstraße sein. Da hat mein Vater gesagt, dass das nicht geht, ich wäre in der Prüfung. Da sagte der: egal, den holen wir da raus. Mein Vater ist fast aus den Latschen gekippt. Ich kam relativ zeitig von der Prüfung und bin dann gleich zur Stasi. Und alle, die in Dresden waren, haben sich da getroffen, gesessen und gewartet. Dann wurden wir nach und nach zum Verhör hereingebeten. Warum wir zur Hertha gefahren sind. Ich habe geantwortet, ich wäre auch zum Liverpool FC gefahren, wenn die da gespielt und ich Karten gehabt hätte.

1979 mit Hertha in Prag

Motte: Früher gab es diese wirklich schöne Fanfreundschaft zwischen uns Unionern und den Hertha-Fans. Ich bedauere sehr, dass das inzwischen eher in eine Feindschaft ausgeartet ist. Damals sind viele Hertha-Fans, gerade die „Hertha-Frösche“ zu Union rübergekommen. Als Hertha dann 1979 international im Europapokal in Prag spielte, kam die Frage auf, gerade von Pepe Mager, ob wir uns dort nicht treffen sollten. Karten für uns wollten sie besorgen. Da war die Euphorie groß. Unser geheimer „Chef“ Theo hatte aus irgendwelchen Quellen erfahren, dass die Anreise mit dem Zug oder im Flugzeug problematisch werden könnte. Wenn überhaupt, möglichst inkognito. Meine Freundin Bolle und ich beschlossen daher, nach Prag zu trampen, was wir schon oft getan hatten. Wir fuhren ohne jegliche Fanartikel. Als wir an der Grenze kontrolliert und gefragt wurden, wohin, hielt auch unser Fernfahrer dicht, obwohl er wusste, was der Zweck unserer Reise war. Daher lief es für uns gut. Andere Freunde kamen nicht mal auf den Ostbahnhof, der war hermetisch abgeriegelt. Keiner, der irgendwie nach Unioner bzw. Fußballfans aussah, auch ohne Fanutensilien, wurden auf den Bahnhof gelassen. Viele versuchten, über andere Städte wie Magdeburg und Dresden oder als Tramper nach Prag zu kommen.

Damals wurde so langsam das Potenzial der Union-Fans erkannt, und ich denke, dass auch inoffizielle Mitarbeiter in den Zügen bei Auswärtsspielen mitfuhren und über diese Kanäle die Information an die Staatssicherheit gelangt war.

Für meine Mutter war es sehr schlimm, weil sie um die Brisanz wusste. Wir hatten auch kein Telefon, ich konnte mich also nicht aus Prag bei ihr melden. Sie hat drei Tage lang ziemliche Angst ausgestanden, erst mal wegen des Trampens und dann ohne zu wissen, was vor Ort geschah. Das war nochmal was anderes im Vergleich zu den üblichen Fußballspielen. Ich war neunzehn, gerade Jungfacharbeiterin, wie das so schön hieß.

In Prag hat alles reibungslos geklappt. Der Fernfahrer setzte uns am Stadtrand ab, und wir fuhren mit der Straßenbahn zum Stadion. Da war großer Treffpunkt, das hatten wir uns ausgemacht, als die Hertha-Fans bei uns im Stadion waren. Die hatten eine Art Umfrage gemacht, wie viele Karten sie besorgen sollten, da kamen so um die 500 raus. Es waren relativ viele da und für die Hertha-Fans war das kein wirkliches Problem, die Karten für D-Mark dort auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Im Stadion standen wir auch bei den Hertha-Leuten, es erschienen mir ungeheuer viele zu sein, eine prickelnde Atmosphäre. Alles hatte geklappt, wir waren im Stadion; und dieses Mal konnten wir sie unterstützen, sonst kamen sie zu uns, um uns zu unterstützen – das war toll!

Von den Tschechen im Stadion habe ich gar nichts wahrgenommen, wir waren selbst so euphorisch, jeder hat noch seine kleine Story erzählt, wie er nach Prag gelangt ist, das Drumherum ging da unter, jedenfalls bei mir. Wir feuerten die Mannschaft mit den üblichen Hertha-Sprüchen an und auch mit denen von Union. Es gab da diesen Spruch: „Es gibt nur zwei Mannschaften an der Spree/ Union und Hertha BSC!“ Wir haben uns auch als Union-Fans geoutet, manche hatten auch ihre Schals dabei.

Das Hinspiel in Berlin war ja ein Unentschieden gewesen, und als Hertha gewann, haben wir noch ewig im Stadion gestanden, gefeiert und gesungen. Und die Polizei hat uns auch gelassen.

Ich bin dann mit drei Hertha-Fans ins "U Fleku" gefahren. Das ganze "U Fleku" war voller Fans. Wir haben Bier getrunken ohne Ende, die Hertha-Fans haben natürlich bezahlt. Wir hatten ja nur den Mindestumtausch. Ein Gulasch hat da 17 Kronen gekostet, für uns sechs DDR-Mark, das konnten wir uns nicht leisten, und die Westberliner haben für 17 Kronen einfach mal so 50 gegeben. Die haben ziemlich mit dem Geld um sich geschmissen und uns freigehalten; Essen und Trinken ohne Ende. Dann haben wir alle gesungen. Es war ein friedliches, freundliches Fest.

Krause: 1981 spielte Hertha bei Bohemians Prag in der Intertotorunde. Ich hatte kurz vorher meine praktische Abschlussprüfung, konnte früher los, und habe dann gerade noch den Zug gekriegt. Drei von uns sind schon einen Tag vorher nach Děčín, wir wollten nicht mit dem Pulk los, weil die Gefahr größer war, dass du da rausgeholt wurdest. In Děčín haben wir uns erst mit Biertrinken die Nacht um die Ohren geschlagen, dann in der Kneipe einen alten Mann kennen gelernt, der uns aufgenommen hat. Richtig herzlich. Er hat uns erzählt, sein Sohn wurde von Faschisten ermordet. Er hatte keine Probleme mit Deutschen. Aber als wir am nächsten Morgen bei ihm zu Hause wach wurden, hat seine so 70jährige Frau in der Küche rumgefuhrwerkt und man hörte „,němci, němci“, also „Deutsche“. Hörte sich nicht so freundlich an. Sie war nicht so begeistert über unser Erscheinen, er hat uns aber noch Essen auf den Weg mitgegeben. Dann sind wir zum Bahnhof nach Děčín und in den Zug aus Berlin zugestiegen. So sind wir die Kontrollen umgangen. Wir waren drin. Gängige Taktik war, an der Grenze immer was anderes anzugeben, also nicht, dass man zum Fußball fährt. Eher zum Wandern oder Klettern.

Union-Utensilien hatten wir dabei, aber versteckt. Da hätte in Bad Schandau an der Grenze die Fahrt schon zu Ende sein können. In Prag schliefen wir in einer Apfelplantage neben dem Zeltplatz, damit wir morgens wenigstens duschen konnten. Wir mussten uns die Kronen ja einteilen, man konnte nur 30 Mark am Tag umtauschen. Das ging ja schon für Bier drauf. Probleme mit Tschechen hatten nur die Leute, die auf dem Bahnhof schliefen. Das konnten die Bullen nicht leiden. Da wurde nicht nachgefragt, gleich der Knüppel gezogen.

Nach der Rückkehr lud die Stasi vor

Bürste: Karten hatten wir keine, brauchtest du auch nicht, das war in der Sommerpause, Toto-Cup, ein kleines Stadion. Wir haben uns im "U Fleku" getroffen. Ein Zug Hertha-Fans, so 300 bis 400 Mann. Pepe Mager war auch wieder da, weißer Anzug von oben bis unten mit Aufnähern. Bundesliga und England. Der lief immer rum wie ein Clown. Er war ein Hertha-Frosch. So ne Gallionsfigur. An das Spiel kann ich mich kaum erinnern, aber an einen Typ, der dauernd fotografierte, aber nicht das Spiel, sondern die Leute drum herum. Ein paar Tage später in Berlin kam der Schrieb mit einer  Vorladung in die Wendenschloßstraße zum Verhör oder im DDR-Deutsch „Klärung eines Sachverhaltes“. Die hatten so viele geile Fotos von uns allen und fragten frei nach dem Motto: Kennen Sie den und den? -Nö.

Brille: Ich wurde gefragt, ob ich Leute von Hertha namentlich kenne. Ich: Nee, ich kenn die nur vom Sehen, die kommen manchmal in die Alte Försterei. Kennen Sie Pepe Mager? Ich: Nee, den kenn ick nich. Und dann holt er aus der Schublade riesige Farbfotos raus, auf denen ich Arm in Arm mit Pepe stehe. Ich: Ach, det is Pepe Mager? Nach dem Bohemians-Spiel in Prag wurde es schon konkret. Die wollten uns zur Mitarbeit bei der Staatssicherheit anwerben. Du solltest Leute, die mit den Westberlinern in Kontakt waren, angeben. Das habe ich nicht gemacht, sagte, ich kenne keinen und ich habe auch nichts Verbotenes gemacht. Da hatten sie kein Druckmittel. Die wollten den Kontakt zu den Westberlinern unterbinden.

Krause: In Prag haben wir im Hotel auch Hertha-Spieler getroffen. Dann kamen die Hertha-Frösche und brüllten und randalierten, da sind Spieler und Trainer wieder weg. Mit denen wollten sie nichts zu tun haben. Wir kamen mit den Fröschen klar. Ganz normal, als Ostler hat man alles angehimmelt, was aus dem Westen kam. Wir haben auch mit denen im "U Fleku" Bier getrunken.

Bürste: Wir sind mit der ganzen Hertha-Bande im Zug zurück nach Berlin gefahren. Wir hatten ja kein Geld mehr, die Herthaner noch alles und so gabs reichlich Bier und andere leckere Sachen. Da ich nach der Ausreise Mitte der 80er nach Westberlin nicht mehr zu Union gehen durfte, war natürlich Hertha jetzt meine Mannschaft. Allerdings stieg Hertha 1986 in die 3. Liga ab. Hertha spielte dann zwei Jahre in der Oberliga Berlin, eine coole Zeit mit Spielen nur in Berlin und wenig Zuschauern. Da konnte man beim Traber FC für fünf DM das Spiel im Innenraum der Trabrennbahn in Mariendorf besuchen inklusive Eisbein und Bier. Aber ich bin nicht so richtig warm geworden mit den Herthanern. Nach zweieinhalb Jahren der große High Noon - ich durfte wieder in den Osten fahren. Zu Union mit Tagesvisum und Hertha war Geschichte.

Nach der Wende war der Reiz mit einen Mal weg

Brille: Als die Wende kam, war auf einmal schlagartig Schluss mit der Bekanntschaft zu den Hertha-Fans. Naja, das ging vielleicht noch ein Jahr. Man konnte sich jetzt ja jeden Tag treffen. Wir haben noch ein Hallenturnier zusammen gemacht. Ich hätte jederzeit ins Olympiastadion gehen können. Wir hätten als Ostler nicht mal Eintritt bezahlen müssen, nicht mal die Zugfahrt. Beim Spiel gegen Wattenscheid am 11. November, zwei Tage nach Mauerfall, im Olympiastadion habe ich mich über jedes Hertha-Tor gefreut, aber ich merkte, mein Herz spielte nicht mit. Jahrelang hat man davon geträumt, ins Olympiastadion zu gehen, dann war es soweit, und man merkte, man hing doch an Union.

Bürste: Ich war ja schon Westberliner, der Reiz des Verbotenen war ja längst vorbei für mich. Am gleichen Tag wie das Wattenscheid-Spiel musste Union in Greifswald ran, 2. Liga oder so. Als Westberliner musste ich mir ein Visum besorgen für den Tag, was ich längst erledigt hatte, war ja nicht abzusehen, dass die Mauer fallen würde. Den Zug nach Greifswald hatten wir für uns praktisch alleine. In Greifswald hatten sie sich auf die Union-Fans gefreut, mehrere Busse warteten, aber wir waren nur 30 Leute aus Berlin. Die anderen waren alle in Westberlin. Zurück nach Berlin wieder ein leerer Zug. In Lichtenberg konntest du vor Menschen den Bahnhof nicht mehr sehen. Wir kamen kaum raus. Für die auf dem Bahnhof ging es mit dem Begrüßungsgeld wieder nach Sachsen.

Brille: Nach der Wende war ich noch zweimal bei Hertha, in der Champions League, gegen Chelsea und gegen Barcelona, wo aber kein Mensch was gesehen hat, weil es da so neblig war. Und 2006, da hatte ich Freikarten von meiner Firma, gegen Arminia Bielefeld auf der Tribüne mit meiner Freundin. Schön war, einen alten Kumpel da wiederzutreffen, den ich achtzehn, zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatte, den ich noch von hier aus DDR-Zeiten kannte. Das war Frikadelle. Und er hat mich erkannt und wir konnten uns noch in die Augen kieken und uns unterhalten. Das war ein irres Erlebnis.

Mampe: Also, der hieß eigentlich Bulette, nur wir im Osten haben ihn Frikadelle genannt.

Bürste: Wie hieß er denn richtig?

Mampe: Lutz. Einmal An der Alten Försterei sagte er seinem Kumpel: Sage dem Mampe, das bin icke, ich heiße Bulette und nicht Frikadelle.

Stadionpartisanen nachgeladen, Hrsg. Frank Willmann, 464 Seiten, Verlag nofb-shop.de, Berlin 2013, 27,90 Euro

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