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Puyol ließ die Haare wachsen und war immer 111 Prozent Sportsmann.

© AFP

Willmanns Kolumne: Abschied vom vermutlich letzten Heiligen

Carles Puyol verlässt den FC Barcelona. Während die Fußballwelt geschockt ist, schreibt unser Kolumnist Frank Willmann eine Hommage an den vermutlichen letzten spanischen Heiligen.

Die Welt geht unter. Ein großer Fußballer wird uns in Kürze verlassen. Es ist Puyol. Carles Puyol, der große Barcelonese. Es sind die Knochen. Seine mürben Tatwerkzeuge. Zertreten, zerbombt, ihrer Unschuld beraubt von kastilischen Schergen und anderen Bösewichtern, denen er im Laufe seiner gnadenlosen Karriere den Willen brach. In Katalonien fließen Tränenbäche und bringen das Mittelmeer zum Überlaufen. Ganzen Familien geht in wenigen Monaten das Idol verloren. Auf ihn konzentrierte sich ihre grenzenlose Liebe. Weil er auf dem Platz Anarchist, Schelm, Tugendbold in einem war.

Ein Ballbandit, ein gescheckter Braunbär mit der Kraft der 999 Chamäleons. Seine Fußballrevolutionen waren schön. Er war kein käufliches Subjekt, keine Nutte der Bildzeitung, kein Aasgeier der verbrecherischen Elemente unseres Fußballs. Auf jeden anderen Kicker können wir leicht verzichten. All die eitlen Karikaturen, Scheinriesen und Trommeläffchen. Fußnägellackierer Ronaldo, Haareschön Beckham, dicke Lippe Zlatan, Unterhosenmodell Bale. Der Abschied von Puyol bricht mir das Herz und lässt mich am Guten im Fußball zweifeln. Sein Vertrag mit Barca endet im Juni. „Ich weiß nicht, was ab dem 30. Juni passiert.“, sagte Puyol am Dienstag. Wir wissen es nicht genau, doch es wird schrecklich sein. Nun stehen wir mit ihm am Abgrund zur Hölle. Und haben die Dunkelheit, die Fußballrente zum Ziel. So wird es sein:

Du stehst draußen im Stadion, wo du lärmend Abschied nahmst. Du kehrst in dein Zimmer zurück und du weißt es nicht. Und du weißt nicht, dass du draußen im Stadion bist. Schlaf, ein langer traumloser Schlaf ohne Ende. Während du in deinem Zimmer dein eigener Wächter bist. Schlafloses Gespenst, das traumwach durch Dunkel geistert. Mach, dass du nach Hause kommst. Wenn du gestorben bist, zieht man dir die Fußballschuhe aus.

Puyol hat jeden nationalen und internationalen Pokal gewonnen

Puyol spielte einen substantiellen Fußball. Damit hatte es sich für ihn. Er ließ die Haare wachsen und war immer 111 Prozent Sportsmann. Puyol hat jeden nationalen und internationalen Pokal gewonnen. Er hat mit Barca und der spanischen Nationalmannschaft alles eingetütet, was es einzutüten gab. Tiere sind unschuldig. Puyol ist ein großer Tierfreund, obgleich er als Kopfballbestie, als aggressiver Verteidiger mit Körpereinsatz, Spiele zum Kippen brachte. Ganze 178 Zentimeter Körpergröße genügten ihm.

Ein Puyol lebt selbstverständlich in wilder Ehe und zeigt jedem Pfaffen höchstens sein Hinterteil. Seine Gegner, seine Fans nennen ihn "El Tiburón". Der Hai schnappt dich, wenn du zu viel zappelst. Er zerfleischt jede Unterhose, rasiert jede Fönfrisur und kaut jede dicke Lippe. Ein liebestolles, ironisches Ungeheuer, ein Mann für die Problemfälle, ein wahrer Kapitän. Wenn ich mir Puyol vorstelle, sehe ich ein muskulöses, fliegendes Mannsbild. Seine wilde Haartracht sendet Blitze aus, die jeden Gegner zur Strecke bringen. Die tosende Zuschauermasse erstarrt zur Salzsäule, wenn der Meister zum Kopfstoß ansetzt. In Zeitlupe spritzen Schweißperlen. Dem gegnerischen Torwart hängt aller Lebensmut in den Kniekehlen. Puyol trifft den Ball, ehrfürchtig knien Fuchs und Hase in gründlicher Eintracht nieder. Puyols finaler Kopfstoß gegen den Ball ist schwer zu deuten. Diese Berührung. Die so nahen Lippen und Wangen. Dieses Huschen von Händen über Schultern und Schenkel. Die erwärmte Luft zwischen Hand und Haut. Synthetische Tunnel im Kopf. Die Situation, die Puyol durchschreitet. Das Tor. Die profane Tat.

Um ihn, um uns alle herum, sind blendende Partikel. Der Gegner, zerstört an Seele und Substanz, ist nur noch Materie. Puyol versenkt ihn in die labilen Stollen des Schattenreichs. Sein offener Mund ist ein Grab aus Fußballkriegen. Wundervoll ist das Fegefeuer, in dem seine Gegner schmoren. Wir, mit unserer schwerelosen Menschenseele, fallen in Liebe. Wir umarmen den unbekannten Nächsten und verteilen kindische Küsse. In den Wüsten der Gerechtigkeit strahlt uns die Sonne Puyol. Sie söhnt uns aus mit dem Schatten und dem Licht.

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