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Hertha-Fan zu sein, war in den Achtziger Jahren noch nicht unbedingt angesagt.

© dpa

Willmanns Kolumne: Als der Hertha-Frosch Männchen machte

Das waren noch Zeiten, damals in den Achtzigern. Unser Kolumnist Frank Willmann erinnert sich an die großartige Oase Westberlin, an Hertha BSC in der Amateurliga und an mörderische Fußballkneipen.

Im ausgehenden Winter des Jahres 1984 betrat ich das lauschige Westberlin. Dem gemeingefährlichen westdeutschen Spießer kam die Stadt eher lausig vor, mir zwanzigjährigem Abenteurer bot sie alles was ich dringend brauchte. Ich kam aus dem Land, wo Plaste und Elaste blühten und das Volk unter der Knute des Dachdeckers Honecker brav sein Tagwerk verrichtete. Im güldenen Westen ernährte ich  mich fortan von Kebab und Bier. Die Buchläden waren meine Tempel und alle paar Monate rannte ich mit der Polizei in Kreuzberg um die Wette.

Die Bundeswehr hatte keinen Zugriff auf Westberliner, eine großartige Erfindung der Alliierten. Die Oase Westberlin hing komplett am Tropf der Bundesrepublik. Eng umgürtet von ostdeutscher Mauer, bot sie ihren arbeitsamen Bewohnern eine extra Berlin-Zulage, damit sie nicht in den richtigen Westen flohen, der erst ab Helmstedt begann.

Der Fußball lag zum Zeitpunkt meines Eintreffens in Westberlin völlig danieder. Hertha BSC spielte in der Zweiten Liga vor wenigen tausend Zuschauern. Tennis Borussia hatte noch weniger Fanpotenzial, Blau Weiß 90 begann gerade erst seinen Siegeszug in der Oberliga. Fußball in den Achtzigern war hundert Prozent Prollkultur. Herthas bösartiger Mob nannte sich Frösche. Hundert Prozent Manpower, handfester rechter Pöbel. Sieg Heil wurde mindestens um zu provozieren gebrüllt, etliche meinten es mit dem Nazi-Gejohle bitter ernst. Verwegene Schläger, zahnfreie Exknackis, Gelegenheitsarbeiter, Eckensteher. Ein imposanter Assi-Haufen.

Eine Weile war der Hertha-Devotionalienhändler Pepe Mager ihr Anführer. Man kannte Pepe in allen Stadien der BRD, selbst beim 1. FC Union war er Legende. Sein weißer Mantel Marke Schaf-Ficker, über und über bepflastert mit Fußball-Aufnähern aus aller Welt. Eine putzige Nummer, wenn die Meute ihre Froschschenkel blank zog und die Hertha tanzte. Irgendwann war Pepe dann nur noch Geschäftsmann und zuckelte mit seinem mobilen Fanartikelstand durch Westberlin. Als froschiger Pionier des Merchandising.

Herthas Großkopfeten waren gern Kneipenbesitzer, seltsame Anwälte und dubiose Westberliner Schlingel. Eine Männerwelt aus Schultheiß, Mampe und Kölnisch Wasser. Die Politik interessierte sich nicht für Fußball, seinerzeit konnte man mit ihm keine Quote machen. Wenn sich Gelsen-Szene und Hertha-Frösche aufs Maul hauten, lief das unter Folklore, so lange keine Bäuche mit Teppichmessern tranchiert wurden.

In Westberlin waren der Klub und seine Anhänger in den Achtzigern äußerst unbeliebt. Wenig Zuschauer, kaum Westberliner Sponsoren, wer zu Hertha ging, war nicht gesellschaftsfähig. Dieses Image hängt dem Klub noch heute als kalter Furz im Gebälk der Anzugträger. Der spätere Aufstieg von Blau Weiß 90 Berlin in die Bundesliga wurde von vielen Westberlinern 1986 frenetisch bejubelt. Plötzlich entstand bei BW90 sogar eine kleine, alternative Fanszene. Unvorstellbar bis dahin: Linke und Fußball? Endlich ist Schluss mit dem Drecksviech Hertha, frohlockte auch manch Kudammgänger.

Fußballkneipen waren damals vor allem eines: berüchtigt!

Bei mir machte sich Mitleid breit, mein albernes Herz für die Armen und Schwachen. Als Hertha 1986 in die Berliner Amateurliga abstieg, besuchte ich sogleich ihr erstes Heimspiel im Poststadion. 1635 Zuschauer sahen einen 5:0 Sieg gegen den SC Gatow. Die Hertha-Frösche grölten besoffen vorm Stadion "Türken raus", bitterböse Bordsteinschwalben wedelten mit Reichskriegsflaggen und zeigten weißes Fleisch. Im Wedding schien die Sonne nie! Insgesamt kam ich mir etwas fehl am Platze vor. In Rudow kickte Hertha ein paar Tage später gar auf einem Schotterplatz, komischerweise zog Hertha auswärts mehr Zuschauer als im Heimstadion. Selbst gegen den alten Rivalen Tennis Borussia kamen keine 10.000 Berliner. Mich sah Hertha erst im nächsten Jahr gegen Türkiyemspor Berlin wieder.

Nur wenige Kneipen zeigten zu jener Zeit die Sportschau im Fernsehen. In manchen Gegenden Neuköllns schmückten vier Kneipen die Ecken. Alle hatten ihre Stammkundschaft und ihren Sparverein. Es waren meist einfache Eckkneipen, wo grobe Bierzombies hausten, die uns bei unseren rituellen Demos für die Gefangenen der RAF nicht nur mit Wattebäuschchen bewarfen.

Eine der berüchtigtsten Fußballkneipen war das Mördereck. Trotz des fleißigen Zuzugs westdeutscher Tunichtgute waren Kreuzberg und ganz besonders Neukölln in den Achtzigern arme Stadtbezirke, in denen die Kohleöfen im Winter mit den Friedrichshainern und Treptowern um die Wette Kohlenmonoxid  aushusteten.

Ich traute mich erstmals 1987 in eine Neuköllner Stampe. Dort ging es zwar herzhaft, aber freundlich zu. Wer saufen will, muss artig sein, begrüßte mich die dicke Wirtin, als ich in ihrem Bierpalast mit meinem BFC-Kumpel Ellis aufschlug. Ich hatte mich ein wenig mit diesem schlitzohrigem Kneipenschläger angefreundet, um von ihm das Verhalten von Straßenkötern zu erlernen. Er führte mich an traumhafte Orte, wo die Faust immer nah am Aschenbecher lagerte.

Irgendwann landeten wir im Mördereck. Nach ein paar Bier und nettem Palaver brüllte Ellis "Türkiyemspor vor!". Er grinste einer Horde Trunkenbolde ins Gesicht. Sie grinsten zurück. Dann hoben sie das Glas und begannen zu bellen. Sie schlugen sich auf die Rücken, lachten und bellten. Waren sie doch nicht so dicke mit Hertha? Hatte Ellis die Sache für mich inszeniert? Waren es bezahlte Kleindarsteller? Oder am Ende Kreuzberger, die einfach nur ihr Bier trinken wollten?

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