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Fußballfans sind keine Verbrecher. In Polen macht man in dieser Hinsicht aber nur geringfügige Unterschiede.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Beim Pommernderby in Stettin

Wussten Sie, dass Stettin den von Berlin aus nächstgelegenen Erstligaverein beheimatet? Unser Kolumnist Frank Willmann ist auch deshalb ins EM-Land Polen gefahren und hat vor Ort erstaunliche Beobachtungen gemacht.

Polen? Was willst du dort? Tanken, Zigaretten oder Puff? Nö, wegen Fußball. Die Angebetete schaute leicht skeptisch drein, als ich ihr meinen tollen Vorschlag nach Polen zu fahren, kredenzte. Diverse Freunde wähnten Polen irgendwo auf dem Mars, bis ich Fachwissen ausspuckte und galant verkündete, kilometermäßig liegt der nächste Erstligaverein in Stettin. Dort ist der lokale Bolztrupp Pogon gerade wieder erstklassig geworden. Nach diversen Pleiten und Neugründungen, fast immer von dickbehosten Gönnern verursacht, die bei Misserfolgen beleidigt den flinken Schuh hinlegten.

Dicker Schnabel in Polen. Stolz streckt ein gekrönter Adler im Vereinswappen von Pogon Stettin die kühne Lippe. Zu Gast war an diesem lauschigen Montagabend das Team von Lech Danzig. Das Westpommernderby zog die Massen! Lange Schlangen vorm Stadion. In Polen muss sich jeder Zuschauer registrieren lassen. Erst wenn man das kleine Kärtchen nach ewiger Ansteherei in den Händen hält, darf man zum Kartenschalter und den Eintritt entrichten. Wir hatten extra zum Anstehen einen Probanden aus Berlin mitgebracht. Er war nach 75 Minuten eine gebrochener Mann. Allerdings wurde ihm am Einlass nicht in den Popo geguckt, er kam relativ flink ins Stadion.

Der armen tausendköpfige Danziger Auswärtsdelegation erging es weniger nett. Kollege Marco und ich waren dank unserer Presseakkreditierung mit allen Freiheiten gesegnet. Als wir mal nach den Auswärtsfans gucken wollten, bot sich uns ein trauriges Bild. Vorm Gästeeingang Menschenstau. Gespenstische Ruhe, die Menge wartete. Jeder Danzig-Fan wurde einzeln von Ordnern gefilzt. Dann übernahm ein Polizist. Er führte den Fan zu einem weiteren Polizisten, der bereits mit einer Kamera wartete. Jeder und Jede musste nun den Ausweis enthüllen und in Kopfhöhe hochhalten. Die Kamera machte klick. Dann kam noch ein kleines Hündchen und schnüffelte hier und dort. Nun wurden Gruppen zu ca. 20 Personen zusammengestellt und von der Polizei in einen Zwinger geführt. Dieser ungesellige Gästeblock bot ihnen für die nächsten Stunden Unterschlupf. Essen und Trinken für 1000 Menschen durfte an einem einzigen Stand geordert werden. Bezahlt und bestellt wurde durch ein Gitter. Im Gegenzug erhielten die Fans nach langem Anstehen Labung. Ein Polizeiführer klopfte mir freundlich auf die Schulter, zeigte lächelnd auf das Prozedere und sagte: „Schaut euch das ruhig mal an“. Wir waren uns sicher, im Stadion würde es keine Pyro-Aktion der Danziger geben.

Wow! In Polen wird nicht mehr darüber diskutiert, ob Fußballfans Verbrecher sind. Trotzdem trat die Polizei bei aller Präsenz sehr zurückhaltend auf. Die Fanblöcke blieben unberührt, aufdringliche Poser mit Sturmhauben und gezücktem Knüppel sah ich nicht.

Am Ende zogen die Danziger blank

Und es gab auch Heimatliches. Mercedes Benz ist in Polen angekommen und rüstet den Fuhrpark der Polizei aus. Deutsches Sicherheits-Knowhow - nicht nur in Weißrussland beliebt. Fans, Polizei, Ordner und Vereinsoffizielle empfingen uns sehr gastfreundlich. Stettin ist eine nette Stadt, wo man schon mal zwei Augenblicke verweilen kann.

Das sah vor zwei Wochen im ebenfalls polnischen Rzepin anders aus. Als unserer kleinen Touristentruppe eine zahlenmäßig weit überlegene Meute dörflicher Honks die Backen dick hauen wollte, da wir ihrer Ansicht nach die falsche Brillen und T-Shirts trugen. Außerdem nicht in ihrem halbwegs verfallenem Viertliga-Nest unser Dasein fristeten, sondern Fremde waren. In Stettin sahen ungefähr 10.000 Menschen beim Derby zu. Es gibt sogar in Berlin einen Stettin-Fanclub. Welche Mannschaft hat eigentlich keinen Fanclub in Berlin?

Beide Kurven boten beeindruckende Sangesleistungen und jubilierten während des gesamten Spiels. Zwischendurch wurden anstandshalber Fäuste geschüttelt, Finger gereckt und der Gegner verflucht. Als kurz vorm Anpfiff die Pogon-Hymne durchs Rund hallte, stand das ganze Stadion. Pogon in blau-rot, die Stimmung des Heimblocks ist nicht so ultradominiert wie in Deutschland, da hier auch die Gegengerade lustvoll singt und tobt. Der Kick langsam und gemütlich, deutsches Drittliganiveau. Als Danzigs Singerei durchdrang, brüllte sofort entrüstet ganz Stettin dagegen. Stimmungsmäßig erste Liga. Neben uns flanierten Matronen und Rollstuhlfreaks in Pogonfarben.

Würdige Bäuche mit Männern dran ließen ihre Stimmbänder vibrieren, als die elf Stettiner Kampfochsen das etwas elegantere Danzig berannten. Nach der Halbzeit schoss Danzigs Traore das 1:0. Der beste Kicker auf dem Platz hatte einen namentlichen Widerpart auf Stettiner Seite. Doch weder Traore zwei noch etliche untalentierte Brasilianer demonstrierten auf dem Platz hinreichende Klasse. Sehr hölzerne Gestalten, weite Bälle ins Nichts, unschickliche Ballannahme und vorn steht ein Traore.

In Minute vierundsiebzig, als die Dämmerung langsam hereinbrach, leuchtete es unerwartet im Danzigblock blutrot. Bockiges Danzig. Trotz viehischer Filzerei war es den Fans gelungen, reichlich Bengalos in den Käfig zu schmuggeln. Ich will nicht wissen, welche Verstecke man dafür benutzte. Der Kapo der Danziger Ultras wedelte fröhlich vornweg, nach fünf Minuten waren die Bengalos abgebrannt. Polizei, Ordner, Stadionsprecher und Schiedsrichter ignorierten das Minifeuerwerk. Als ob es nicht stattgefunden hätte. Nicht ganz uncoole Taktik. Die letzten fünfzehn Minuten zog Danzig blank, der Fanblock zeigte Speck. Stettin zuckte nach, weißes Bauchfleisch im gleißendem Abendlicht. Ach war das schön. In der Nachspielzeit fiel das 2:0 für Danzig, trotzdem trällerten die Stettiner. Ende, aus, Danziger Feierstunde. Die Stettiner Opis und ihre Matronen begaben sich in ihre Hütten und es ward Stille im Stadion.

Wir fuhren heim durchs nächtliche Stettin. Und wurden ein Stück unseres Wegs begleitet von wildfröhlichen Stettiner Gesängen, die aus den Straßenbahnen zu uns drangen.

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