zum Hauptinhalt
Wo die Fanseele sich auslebt. Ein Bild aus "Zwischen den Welten: Adrenalin pur" von Marco Bertram.

© Marco Bertram

Willmanns Kolumne: Blutig wie ein frisches Steak

Unser Kolumnist Frank Willmann glaubt ans gedruckte Wort. Für die spielfreien Tage präsentiert er kurz vor Weihnachten Perlen der Fußball-Literatur. Von München bis Magdeburg, von Dresden bis ins Ruhrgebiet.

Besonders in den kommenden ziemlich fußballfreien Tagen droht der Fussballmenschheit große Leere. Diesem Mangel kann man geschickt entgegengetreten. Das Genre des Fußballbuchs hat auch 2014 wieder etliche Perlen hervorgebracht.

Wer es weniger textlastig mag, liegt mit dem 1860 München Tattoobuch richtig. Löwen, Löwen und nochmals Löwen bevölkern neben sinnigen Sprüchen die Körper aller aufrechten Giesinger. Die Schöpfer des Sechziger Tattoobuch betraten quasi Neuland, bislang gab’s keine Sammlung dieser Art des Liebesbeweises. Ob Popo, dicke Lippe, dicker Bauch, oder ungewaschener Fuß – der Körperteil mag noch so versteckt sein, vor den flinken Nadeln der Tätowierer ist keiner sicher und wird dank sachkundiger Bearbeitung versierter Stecher zum Denkmal. Eingebettet in die Objekte der Hautkunst geben Fans und Tätowierer in Interviews erhellende Einblicke in die Szene. Über 600 Tattoos, was für eine Fleißarbeit, welch erlittener Schmerz. Ganz feines Bildwerk, ohne Effekte haschendem Kunstanspruch. Ein miasanmia-Buch in weißblau, konvenabel zum Tabellenstand der kleinen Münchner.

Endzeitstimmung mit Fußballhintergrund wird aus Magdeburg geliefert. In Abstiegsspiel schildert Jente Knibbich die Verwandlung eines jungen Mannes vom Herrn Jedermann zum spielsüchtigen Kleinkriminellen. Ein Heimatroman - mit dem Vorschlaghammer gedichtet. Die Selbstvernichtung des Peter M. Erst braver Vati, dann brutaler Hooligan. Gewalt regiert die Szene, der Hirnkasten ist für Kopfstöße ins Epizentrum des Feindes da. Wer ist der Feind? Alle! Die fucking Normalos, die nicht so denken wie wir! Peter ergründet die billige Welt der Spielhallen und verfällt den rotierenden Lämpchen. Das nötige Geld wird geklaut, geraubt, erpresst. Dazu Billigdrogen und Alkohol satt. Scheißegal heißt das Lebensmotto, natürlich geht das nicht gut. Jente beschreibt in der nötigen Drastik den fortwährenden Abstieg in die Vorhölle. Hardcore die Szene, wo der völlig abgedrehte Held Peter heimlich seinen Sohn besucht. Elend zum Anfassen, der Leser schmeckt den Schmutz der Gosse. Grusel pur, Pulp und Hardcore bis zum Anschlag. Schaut euch das überragende Cover an. Zwei Männer in Bomberjacke vor einem Spielautomaten. Beide mit Hasskappe. Held Peter schaut uns aus irren Augen an. Auf seiner Stirn prangt das Logo des 1. FC Magdeburg. Du bist niemals alleine, wir sind die Größten der Welt!

Erdverbunden, tiefe Gefühle aus dem Bauch, ein unbestimmter Ort als Quell aller Freude: Fußball im Ruhrgebiet. Christoph Biermann, der feinnervige Ruhrgebietsflüsterer, hat ein geniales Stück Heimatkunde geliefert. Sein Erinnerungswerk Wenn wir vom Fußball träumen ist poetische Symphonie und geografisch definierter Familienepos in einem. Biermann begibt sich auf eine Ermittlung nach dem Spiel seiner Kindheit. Er besucht mit seinem Vater, alten Freunden oder allein die Stätten der frühen Fußballfreuden. Eine Region im Aufbruch, Strukturwandel heißt das Zauberwort. Ruhrkohle AG wird zu Evonik. Die Zechenlandschaft zum Freiluftmuseum. Einst große Arbeitervereine verschwinden im Nichts. Biermann spricht mit vergangenen und aktuellen Fußballhelden des Ruhrgebiets, um dem Fußballgeist dieses Landstrichs auf die Schliche zu kommen. Ein demütiges Buch. Es riecht nach dem Bohnerwachs der Genossenschaftsbauten aus den 50ern, nach Kohlestaub und den verlorenen Illusionen der Bergleute und ihrer Familien. Ruhrgebiet als Ort der Wandlung. Das klingt auch ein wenig nach Osten, nur ohne Jammern. Biermann glaubt an das Gute im Menschen. Ein warmes, ein gnadenreiches Buch. Bei ihm geht’s es immer vorwärts, wie im Leben, so im Fußball. Trotz Plattmacher der SPD-Lokalpolitik, dem Schmerz über verloren gegangene Spiele, verschwundene Orte, entzauberte Malocherhelden. Es gibt ja Jürgen Klopp, der Borussia Dortmund den Schmerz genommen hat. Guardiola ist OK, aber Klopp ein Held. Ein Fußballbuch ohne einen dummen Witz, abseits des nerv tötenden Fußballsprech, geistreich, sehr komplex und anregend.

Veit Pätzug ist ein moderner Sammler. Sein Herzensverein ist die SG Dynamo Dresden. Mit all ihren großen, kleinen, schmutzigen, guten wie bösen Geschichten. SGHZ 3 ist der dritte Band seiner damit abgeschlossenen Trilogie Schwarzer Hals Gelbe Zähne -Fußballfans von Dynamo Dresden. Im brillant bebilderten Werk zeigt Pätzug ein erstaunliches Bild Dresdner Fankultur. Von den Hippies der 70er Jahre bis zu den gefürchteten Straßenkötern der Gegenwart bleibt kein Aspekt der sich permanent wandelnden Dynamoszene ausgespart. Die Lektüre ist so nah an der Wirklichkeit wie selten ein Buch über Hooligans, jugendliche Rabauken, Kleinkriminelle, Ultras, Normalos. Ein Zeitbild ohne Kompromisse, blutig wie ein frisches Steak. Eine streitbare, angsterhaltende Maßnahme. Wenn Dynamos Wald-und Wiesenfraktion, die Hooligans Elbflorenz, über die Schönheit und die Codes einer verabredeten Massenschlägerei philosophieren, ist das nur schwer zu ertragen. Eine seltsame, eine fremde Welt. Der Chronist Veit Pätzug hat es geschafft, eine Tür dorthin zu öffnen und uns Voyeuren einen Blick in ihr Inneres zu gestatten. Das ist sein großer Verdienst.

Anderer Natur sind meist die Texte des unermüdlichen Fußballreisenden Marco Bertram. Mit Zwischen den Welten: Adrenalin pur: Fußball von 1990 bis 2014, legt er ein Halbzeit-Fazit seiner Erkundungen der Fankultur vor. Bertram konzentriert sich nicht auf einen bestimmten Verein, er ist dort, wo was losgeht, wo die Gemütsbewegungen kochen und die Fanseele sich in einer Vielzahl von kreativen Aktionen auslebt. Immer dabei die Kamera, Marco Bertram ist ein furchtloser Berichterstatter aus der bunten Welt der aktiven Fans. Egal ob Hertha, Babelsberg, Warschau, Prag, Leverkusen, Essen, Union, BFC oder Leipzig. Marco ist dort, wo es auch mal wehtun kann, um das festzuhalten, was die Herzen der Fans zum hüpfen bringt. Der große Gedanke des gemeinschaftlich erlebten Freudentaumels, die Tiefe des Leids, die graue Langeweile dazwischen. Fußball lebt von Emotionen, diese fängt Bertram in seinen schnörkellosen, illustrierten Berichten auf der Website turus.net seit vielen Jahren ein. Nun hat er ein voluminöses Buch zusammengestellt. Besonders die Texte und Fotos aus den neunziger Jahren, als Fankultur noch nicht so stark wie heute reglementiert wurde, leben von wilden und meist friedlichen Pyropartys. Liebevoll und liebestoll, ein starkes Buch aus dem Inneren der Fanseelen, ehrlich, frisch und frei heraus.

Es gibt kein Leben ohne Bücher.

Eine Liebe, die unter die Haut geht. Andreas Schmied, Maik Lange, 160 Seiten, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2014,  ISBN: 978-3730701287, 18,60 Euro

Abstiegsspiel. Jens "Jente" Knibbiche, 244 Seiten, Burkhardt & Partner Verlag, Freital 2014, ISBN: 978-3940159212, 11,90 Euro

Wenn wir vom Fußball träumen: Eine Heimreise. Christoph Biermann, 256 Seiten, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2014, ISBN: 978-3462046274, 18,99 Euro

Schwarzer Hals Gelbe Zähne - Fußballfans von Dynamo Dresden, Teil 3. Veit Pätzug, 320 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, ca. 350 Fotos und Abbildungen, Schwarzer Hals Verlag, Dresden 2014, ISBN: 978-3-981668001, 35,50 Euro

Zwischen den Welten: Adrenalin pur: Fußball von 1990 bis 2014. Marco Betram (Autor), Andreas Gläser (Vorwort), Hardy Grüne, (Nachwort), Kai Tippmann (Nachwort), 368 Seiten, Verlag nofb-shop.de, Berlin 2014, ISBN: 978-3000470080, 23,90 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false