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Wenn alte Männer treten. Bild von einem Hallenturnier für Traditionsmannschaften in Berlin, hier gibt Ex-Herthaner Carsten Ramelow für Bayer Leverkusen gegen den 1. FC Köln gerade alles.

© dpa

Willmanns Kolumne: Blutige Tränen zum Fest der Liebe

Der Stimmungsboykott der aufmüpfigen Fans in der Bundesliga ist wenig kreativ und erfolgsträchtig, meint unser Kolumnist Frank Willmann. Die einzig ernsthafte Lösung liegt in den unteren Ligen. Oder im Hallenfußball in Berlin-Weißensee.

Politik, DFL und DFB haben dem Freudenhaus Bundesliga ein behagliches Bettchen zum vorweihnachtlichen Dornröschenschlaf  bereitet. Das „sichere Stadionerlebnis“ ist beschlossene Sache, die Konsequenzen sind noch nicht absehbar. Da wir uns in einer Demokratie befinden, sind unser Grund – und Menschenrechte nicht so einfach auszuhebeln. Darum mache ich mir wenig Gedanken über eine rigidere Gangart der Sicherheitskräfte. Es sind nicht nur die Innenminister, die ihre Flöte zu spielen wissen.

Wenn eine Mehrheit der Stadionbesucher Pyrotechnik ablehnt, egal ob organisiert oder nicht, ist das ein Argument. Am Wochenende wurde in einigen Stadien „Ultras raus“ skandiert.  Die Rufe kamen von normalen Stadiongängern, die sich nicht als Elite begreifen, sondern als spaßbereite Konsumenten agieren. Ihre Motivation: Sie wollen für ihr gutes Geld guten Fußball sehen. Ob der momentane Präsident ihres Clubs ein Scheich ist, oder sein Geld mit dem Töten und Ausweiden von Tieren verdient, ist ihnen egal. Hauptsache er und seine Crew halten den Club am Leben, lassen ihn gedeihen, führen ihn zu höchsten Weihen. Europacup ist das geringste Ziel. Ist der Club endlich im Europacup und schwächelt in der Bundesliga, verliert der Europacup plötzlich an Wichtigkeit, da es um die Bundesliga geht. Fußball ist unlogisch, aber geil.

So denkt die Mehrheit der Fans und lässt sich gern vom jeweiligem Präsidium, der DFL, den Medien und dem DFB mit den entsprechenden Zutaten bedienen. Fußball ist Unterhaltung. Es geht dabei nicht um die Zerstörung der Ozonschicht. Oder Soldaten der Bundeswehr, die ihr Leben lassen bei der Verteidigung "unserer" Interessen in Afghanistan. Wir benutzen den Fußball nicht, um die Welt gerechter zu machen, ganz im Gegenteil.

Etliche Fußballfans geben ihr Hirn am Eingang ab und nähern sich gewissen Verwandten im Tierreich an. Wenn sie beispielsweise ihr unsägliches "Sieg!" anlässlich der Spiele von Jogis Buben ertönen lassen, denen viele liebend gern ein "Heil!" folgen lassen würden. Solidarität untereinander ist nicht besonders ausgeprägt. Wer kennt nicht die Aufforderung "Auf die Schnauze!", bei Einsätzen von Sicherheitskräften gegen gegnerische Fans. Ob sich das auf den Kampf gegen die Sicherheitskräfte beziehungsweise gegen die gegnerischen Fans bezieht, ist mir hierbei ziemlich egal.

Nun regte sich seit Wochen Unbill im deutschen Fußballland. Die Beschneidung der Fanrechte. Es ist das Vorrecht der Jugend, dagegen zu sein, Strukturen in Frage zu stellen, die Kommerzialisierung unseres liebsten Hobbys kritisch zu beäugen.

Einzige Lösung, wenn man den eigenen Protest ernst nimmt: Klonen

Leider fällt den aufmüpfigen Fans außer einem Stimmungsboykott der Dauerparty momentan wenig ein. Ein wenig kreativer und erfolgsträchtiger Protest. Trotzdem benutzen sie die öffentliche Bühne. Um öffentlich trotzig zu schweigen. Sie stellen nicht das System in Frage. Sie haben Angst, in ihren Fanrechten beschnitten zu werden. Sie ziehen sich nicht wie die erfinderischen Fans von Sachsen Leipzig, Manchester United, Austria Salzburg in die unteren Ligen zurück und kreieren einen jungfräulichen Club nach ihren Vorstellungen. Eigentlich ist das die einzige Lösung, wenn man den eigenen Protest ernst nimmt. Wenn alle großen Clubs ihren Protestklon haben, wird es interessant. Eine alternative Bundesliga, ein alternativer Fußballbund, ein alternativer Weltverband. Keine korrupte Lobbytruppe wie die FIFA, wo jeder für Geld alles bekommt. Organisationen, die nicht nur von Geschäftsinteressen geprägt sind, und der gute alte Sport noch zählt. Wo hart, aber fair Fußball gespielt wird, zur Freude aller.

Das Paradies? Möglicherweise. Unrealistisches und romantisches Gejammer? Kann sein. Der Ausgangspunkt des Handelns ist die Abscheu vor der etablierten Fußballkultur. Die gegenwärtigen Figuren am Schalthebel der Macht sind verächtlich. Sie stecken in Interessenkonflikten und verbergen ihre wahren Absichten. Sie sorgen sich nicht um das Allgemeinwohl, mit dem geringstmöglichen Schaden für alle anderen.

Und was mache ich bis zur Fußballrevolution? Selbst Fußball spielen. Montagabend, alte Männer in schicker Halle. Sechzehn Dichter in Weißensee.  Ronny Nikol hat schon aus vielen Futtertrögen genascht. BFC Dynamo, 1. FC Nürnberg, Union Berlin, Dynamo Dresden, ja sogar beim FC Carl Zeiss Jena schnürte er seinen Schuhe. Nun ist er zum Geldverdienen mittels Fußball zu alt und Betreiber einer Fußballhalle geworden. Gegen Bargeld kann man hier auf schmuckem Geläuf etwas für Geist und Körper tun. Wir taten genau das und fühlten uns nach neunzig Minuten wie der heilige Sebastian. Nur unser Küken, Rauschebart Birdy, machte nach der Hälfte schlapp. Ich sage es nicht weiter. Nur dir, lieber Leser, aber wir sind längst eine Schicksalsgemeinschaft. Nach der Körperkultur geht der deutsche Mann Bier trinken und versorgt seinen Leib mit Kartoffelsalat aus Plastikeimern sowie frittierten deutschen Köstlichkeiten mit oder ohne Wurst. Echte Sportlernahrung! Als echte Sportler spülten wir mit der hippsten Biermarke Soylent Green den ganzen Pamp runter. Von den Wänden sahen uns Messi, Ronaldo und weitere Hochkulturelle der Balltreterei zu.

Übersteht die kommenden Tage.

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