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Die Hertha-Fans hatten genug und stellten die Spieler zur Rede.

© dapd

Willmanns Kolumne: Charlottenburger Fanrevolte und Köpenicker Rabatz

Unser Kolumnist Frank Willmann mit einem aktuellen Brennpunkt zur Situation bei Hertha BSC mit dem großen Bestimmer Preetz. Und er berichtet vom Spiel Union gegen Dynamo Dresden.

Hat das Feuer der Arabischen Revolution das gute, alte Westberlin erreicht? Hertharebellen marschierten am Sonntag gut eingemummelt zum Trainingsplatz der erbärmlich kickenden ersten Mannschaft und forderten Antworten. Eigenartig, der Trainer war ihnen völlig egal. Als ob dieser Posten im kollektiven Bewusstsein der Fans eine ähnlich tragende Rolle einnimmt wie die der Klofrau der Ostkurve. Der arme horny Mike! Bereits am frühen Sonntag nahm der große Bestimmer Preetz die breite Schneeschippe des ewigen Vergessens zur Hand. Er hob sie einmal kurz unter den Popo Mike`s. Dramatisch folgte ein letztes, tränenfreies Winkewinke und Kurzzeittrainer Skibbe war Herthageschichte. Eine Tragödie möchte man meinen, doch Bundesligatrainer fallen in Geldsäcke. Geld, welches die Fans ins Stadion getragen haben.

Misserfolg erzeugt hämische Freude. Wenn das fußballerische Dauerverkacken wie bei Hertha BSC zur Regel wird, zieht sich schnell eine Schleimspur der Scheußlichkeit durch die Gesamtberliner Kommentare.

Für die Bonzen des Vereins ist alles klar. Der Trainer war schuld. Der wirbelnde Geist hinter dem Trainer, der Schmied, der auch mal Ränkeschmied ist, entgeht fast immer dem Kleinholzmachen. Zugegeben, Skibbe war die Parodie eines Trainers. Eigentlich heißt er mit Vornamen: Sparkasse und mit Nachnamen: von dünne Lippe.

Trotzdem folgt das Fußballgeschäft klaren Regeln. Zeigt die Spirale nach unten, müssen Sündenböcke her. Lasst uns vorsorglich gemeinsam am Preetz-Nachruf stricken. Ihm wird minütlich das Vertrauen ausgesprochen. Das heißt auf bundesligadeutsch: der ist fällig. Ihn ummuffelt aber auch der Geruch des ewigen Opportunisten. Erst jahrelang als Lohntütenhalter mit dem kleinen Bruder vom Großen Hoeneß abgehangen. Dann fix die Kurve bekommen, als Tante Hertha endlich mitbekam, das sie den falschen Hoeneß erwischt hatte. Aber wer ist Hertha BSC?

Die Vereinsbonzen? Auch Präsidium genannt? Dessen verantwortungsvolle Verantwortliche aus lauter Verantwortung naturgemäß nie an ihr eigenes Wohl denken. Die Spieler? Die oft gar nicht wissen, wie sauer manch mittelloser Mitbürger seine Cents abzählt, bevor er sie „Hertha BSC“ in den Schlund zwirbelt. Die Fans? Irrlichternde Fackeln im Sturm ihrer Begeisterung?

Einen Hertha-Ultra werden wir nicht mehr als Bundespräsident erleben

Die Choreo der Union- Fans vor dem Spiel.
Die Choreo der Union- Fans vor dem Spiel.

© Frank Willmann

Am Sonntag waren alle Herthabediensteten vom Protestmarsch der jugendlichen Anhänger überrascht. Handstreichartig wurde die Zugbrücke genommen. Im inneren der Festung Hertha brachte die Volksseele den Spielern ein Stück Wirklichkeit nah. „Verpiss dich nach Hamburg!“, „Wir wollen euch kämpfen sehen!“, „Wir wollen nicht nur den Kapitän, wir wollen alle Spieler hören!“ Inklusive Geschubse und Gedränge erkämpften sich die jungen Aufständischen tatsächlich etwas wie eine Audienz der kickenden Angestellten. Die Spieler gelobten bei diesem Volkskongress in journalistenfreier Runde Besserung. Die nicht ganz freiwillige Selbstkritik soll nächstes Wochenende Berge versetzen. Als Gegner erscheint Borussia Dortmund im Olympiastadion. Ein Team, das gegenwärtig für fußballerische Revolution auf dem Rasen steht. Au Backe! Nochmal draufzahlen und Preetz muss den Volkszorn fürchten.

Fußballfans als zeitgemäße Weltveränderer. In Kairo und Tunis haben junge Ultras 2011 revolutionären Geist gezeigt. Einige von ihnen gaben ihr Leben für den ersehnten gesellschaftlichen Wandel. Der Fußballplatz als Ort sozialer Diskussion. Die Machthaber haben keinen Zugriff. Die verschwiegenen, untereinander verästelten Ultragruppen, waren Keimzellen der Revolte. In Tunesien und Ägypten ist der Fußball preiswertes Volksvergnügen. In Ländern, wo fast alle öffentlichen Belustigungen verboten sind, werden Fußballplätze zu Oasen der Freiheit.

Ob irgendein nordafrikanischer Funken etwas bei Hertha entzündet hat, weiß allein das Funkemariechen. Die ist nämlich in Deutschland für die Funken zuständig. Hat zumindest Poldi unautorisiert gesagt. Oder hat ein Unautor gepoldit? Augenscheinlich ergibt sich daraus folgende Quintessenz: Einen Hertha-Ultra werden wir aller Voraussicht in diesem Leben nicht mehr als Bundespräsi begrüßen dürfen. Obwohl bei uns alles erlaubt ist.

Auch An der Alten Försterei kamen Köpenicker Volkspoeten zu Wort. „In der Höhle des Löwen Kratzer bekommen. Im heimischen Revier wird Rache genommen“, dichteten Unions Ultras via beeindruckender Choreographie. Union gegen Dynamo Dresden – für die Polizei ein Hochrisikospiel.

Union und Dynamo lieferten sich ein geniales Sangesduell

Der Dynamo-Gästeblock in der Alten Försterei.
Der Dynamo-Gästeblock in der Alten Försterei.

© Frank Willmann

1700 nicht ganz zufällig vorbei schauende Polizisten durften ein geniales Sangesduell zweier nicht miteinander verbrüderter Fangruppen erleben. Beinahe jeder der 1800 kühnen Sachsen hatte einen Polizisten als Aufpasser. Feine Geste von Unions Stadionsprecher, der dieses Polizeiaufgebot in Frage stellte, zumal die GDP gerade eben die Unionfans als besonders brav lobte.

Sachsen und Preußen, das uralte Murmelspiel. Wer ist doofer, usw. stammt aus einer Zeit, als beide Parteien noch nackig ums Lagerfeuer hopsten. Und die wilden Männchen im Kampf abgebissene Eier ihrer Gegner in den glutroten Nachthimmel schleuderten. Unsere bitterbösen Stammväter hatten nichts als Mord und Totschlag im Sinn. Bis ins 19. Jahrhundert brieten sich Sachsen und Preußen gegenseitig auf dem Spieß. Warum weiß keiner mehr. Aber egal, Hass bleibt Hass, Wasser ist nass. Banane krumm. Banane! Die schreckliche Bananengeschichte! Mit ihr kann man mittelalte Sachsen immer noch zum Kochen bringen! Seinerzeit gab’s in der Zone ja nie Bananen, außer manchmal in Ostberlin. Findige Berliner Fans warfen bei Gelegenheit in Sachsen gern mal Bananen aufs Volk.

Dynamo`s Fanhotten erschienen bei Union organisiert mit schauen gelbschwarzen Mützen. Union tribünentechnisch anfangs eher ein amorpher Haufen. Doch schnell entwickelte sich auf Rasen und Rängen die schöne Parodie eines urigen Männerkampfes. Union demütigte die Sachsen. Die Erinnerung daran lässt mich immer noch schaudern. Das Spiel machte mich so nervös, dass ich schwor, nie wieder in ein Stadion zu gehen. Zu Hause musste ich mir ganz schnell das letzte Skibbe-Interview in Zeitlupe anschauen. Skibbe schaute über den Reporter hinweg, nach oben. Alles Gute kommt bekanntlich von oben. Oben residieren die Buchmacher, die gern Wetten über die Haltbarkeitsdauer eines Trainers im Endstadium annehmen.

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