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Das Tor ist leer: Unser Kolumnist Frank Willmann wunderte sich einst über den Namen des Darmstädter Stadions Am Böllenfalltor - das musste ein Wasserfall ins Zauberland sein. Am Saisonende könnte es für den dort heimischen SV Darmstadt 98 zur Falltür in die Viertklassigkeit werden.

© dpa

Willmanns Kolumne: Darmstadt - wo Würste und Nutella fließen

Unser Kolumnist Frank Willmann, Weimarer Junge, hörte in den Achtzigern Hessischen Rundfunk, der von verheißungsvollen Orten wie Darmstadt und dem Böllenfalltor kündete. Was nach Wurst- und Wunderland klang, war eine kleine Enttäuschung - aber nur kurz.

Mir als Weimarer Junge wurde frühzeitig durch meinen Vater der FC Carl Zeiss Jena in die Wiege gelegt. Im zarten Alter von zwölf sah ich erstmals die Helden aus dem Jenaer Paradies die quadratischen Ballbanausen des FC Rot Weiß Erfurt besiegen. Natürlich in Erfurt, von allen Jenaern nur Stadt ohne Namen, bzw. Vieselbach-Ost genannt. Seither schlug mein Herz im blau-gelb-weißen Rhythmus.

Ich verschwendete meine Jugend bei Europapokalspielen und weinte, wie viele Jenaer Jungs meiner Generation, bittere Tränen des Herzwehs, als ich anlässlich des Düsseldorfer Finales unseres FCC gegen Dynamo Tiflis, zu Hause bleiben durfte. Der SED-Staat ließ nur eine verschwindet geringe Menge „verdienter“ DDR-Bürger für einen Tag durch den Stacheldraht in den güldenen Westen. Hundertprozentige, die erfüllt waren vom Glauben an den real existierenden Sozialismus.

Ich gehörte nicht dazu. Die DDR traute ihren Bürgern nicht über den Weg. Man vermutete hinter jedem Hollerbusch Westagenten, die nichts als die Ausbeutung meiner wertvollen Arbeitskraft im Sinn hatten. Seither lag ein Schatten auf meiner unsterblichen Fanseele und ich fiel täglich beim Petersilie pflücken von der Leiter. Ich entfernte mich vom FCC und seinem Tross speichelleckender Funktionäre. Mein Sehnsuchtsaffe war der metzgerhafte Charakterkopf Beckenbauers Franz, seinerzeit ein wahrer Antikommunist, der lederbehost im schönen Bayern auf Sekretärinnenjagd ging. Kam zu glauben, dass diese schlichte Seele heute als Gazpromknecht unsere Gehörgänge malträtiert.

Als Weimarer war ich in den achtziger Jahren HR3-Hörer. Dankbar verfolgten wir unauffällig das internationale, politische Geschehen im hessischen Rundfunk und ließen Samstag keine Bundesliga-Konferenzschaltung aus. Treu dem alten Wort der thüringischen Weisen, dieses besagt, dass nicht weniger mehr, sondern mehr mehr ist. Das Hören von Westradio und das Einschalten von Westfernsehen war in der DDR streng verboten. Trotzdem machte es jeder, selbst getollschockte SED-Mitglieder informierten sich privat gern über die „Machenschaften des BRD-Imperialismus“.  Das komische war schon immer das Schwerste.

Wir lachten über unsere selbstgemachten Witze, häufig kamen darin ein Russe, ein Amerikaner und ein Ossi vor. Der Ossi mogelte sich durch. Der Ami lockte mit der großen Welt, der Russe heilte alle Krankheiten und Sünden mit Sibirien. Dass der CIA in vielen Ländern der Welt niedliche Foltergefängnisse habe, hielten wir seinerzeit für schmutzige kommunistische Propaganda. Was war schwarz und klopfte an unsere Tür? Die Zukunft.

Jeder rechtschaffene Zonenfußballfreund betete neben seinem einheimischen DDR-Klub einen Westverein an. Wir wollten ja schließlich zur großen Welt gehören

Bei mir schwankte die Westvereinstreue lange Zeit zwischen der Frankfurter Eintracht und Darmstadt 98. Die Eintracht bot Nationalspieler wie den lebenden Schnauzbart Jürgen Grabowski oder den genialen Ballartisten Bernd Hölzenbein. Eintracht Frankfurt hatte den schöneren Wimpel. Darmstadt 98 verblüffte zuerst durch den Stadtnamen. Darmstadt? Was ist das? Eine Stadt, ganz dem Darm gewidmet. Dem göttlichen Darm! Der die besten Teile vom Kalb und Schwein verbirgt. Mein innerer Fleischer jubilierte. Die Lösung lag auf der Hand. Die Stadt muss etwas mit Würsten zu tun haben! Es ist wahrscheinlich DIE westdeutsche Wurstmonopole! Naturgemäß ist jeder Thüringer mit allen Würsten, Wurststädten und Wurstmenschen auf du und du. Insofern verstand es sich von selbst, ein wenig für Darmstadt die Daumen zu drücken. Hinzu kam der verwunschene Name des Darmstädter Stadions. Am Böllenfalltor. Was mochte das nur sein, ein Böllenfalltor?

Tor und Fußball, das verstanden wir. Aber Böllenfall... Das musste ein Wasserfall ins Zauberland sein, wo Nutella und Maoam in Strömen fließen. Sicher eine dieser wunderschönen Erfindungen des Westens wie Disco mit Ilja Richter, Ado Gardinen, Luftschokolade oder die Fußballbilder von Ernst Huberty! Ich lüftete das Geheimnis erst 1986. Als ich nach meiner Ausreise in die BRD ein Fußballspiel in Darmstadt besuchte und nebenbei erfuhr, was es mit dem Stadionnamen auf sich hatte.

Die Lösung war eine kleine Enttäuschung, aber nur eine sehr kleine. Sie wurde mir von einer wunderschönen Darmstädterin offeriert, bei der ich in der Folge Trost fand. Wobei die erste Begegnung mit der Darmstädterin unter einem Unstern stand. Die Holzzipfelmützenverwechslung. Die Dame meinte, wir Thüringer trügen doch alle so, so lange, dicke Holzzipfelmützen. Ne, sagte ich. Du verwechselst uns mit den Erzgebirglern. Wir Thüringer haben so lange, buschige Zwiebelzüppe. Sie verstand Zwiebelsuppe. Mit Zwiebelsuppe konnte ich ihr Böllenfalltor im Sturm erobern.

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