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Die Magdeburger Ultras ziehen ihre Motivation aus der Vergangenheit des Klubs - der großen, nicht der jüngeren.

© Block U - 1. FC Magdeburg

Willmanns Kolumne: Die Magdeburger Generation Amateurfußball

Der 1. FC Magdeburg war der einzige DDR-Europapokalsieger. Heute dümpelt der Klub in der vierten Liga vor sich hin. Dennoch geben die Fans die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht auf.

Otto von Guericke, der Begründer der Vakuumtechnik, grüßt vom Infoblatt der Magdeburger Fanszene. Ob seine Anwesenheit als Gleichnis der sportlichen Situation zu verstehen ist, weiß nur der Fußballteufel. Der FCM wartet seit zehn Monaten auf einen Heimsieg. Die dürftige sportliche Leistung in der Regionalliga hält jedoch die FCM-Fans nicht davon ab, den Club nach vorn zu peitschen. Auch wenn dort, wie beim letzten Heimspiel gegen RB Leipzig, nur Professor Chancentod und Doktor Hauüberdenball staksen. Als Fußballspielen kann man das, was die Mannschaft gegenwärtig zeigt, beim besten Willen nicht bezeichnen. Hat das gute, alte Vakuum Schuld? Den Abstiegsdruck gibt es dank der Regionalligareform nicht. Dieser verminderte Druck scheint dem Ballspiel der Magdeburger nicht förderlich.

Das Café Bördeland ist eine typische Fußballkneipe. Hier wird beim Bier vor und nach dem Spiel über das Schicksal des Clubs debattiert. Ich treffe dort Ralf und seine Freunde. Sie haben als Jugendliche die große Zeit des Clubs erlebt. Sind ihm zu Europacupspielen ins sozialistische Ausland gefolgt, bissen sich vor Wut in die Fäuste, wenn der FCM im Westen spielte und nur folgsame DDR-Bürger mitreisen durften. Sie haben vom Glanz des FCM abbekommen. Ein Glanz, der ihre Augen noch heute zum Leuchten bringt, wenn sie von ihren verwegenen Reisen erzählen.

Christian ist ein Ultra. Wie viele der jungen Fans ist er um die Wendezeit geboren. Er gehört zur Generation Amateurfußball. Er hat in seinem bisherigen Fanleben nicht ein Profispiel des FCM besuchen dürfen. Es fand bisher einfach keines in Magdeburg statt. Trotzdem gehört seine ganze Liebe dem Club. Er zieht das positive aus den vertrackten Umständen. Und träumt, wie alle hier, von was Größerem. Vor Jahren hätte es der FCM fast geschafft. Die ganze Stadt trug zum entscheidenden Spiel gegen St. Pauli blau-weiß. Magdeburg zog im Aufstiegskampf den Kürzeren.

Die Ultras haben ein gutes Verhältnis zum Verein. Es gibt nur wenig Stadionverbote, Kommunikation heißt das Zauberwort. Die Wege zwischen Vereinsführung und Fans sind kurz. Diese enge Verzahnung wird vom Magdeburger Fanprojekt gefördert und ausgebaut. Der kesse Flachbau ist der Treffpunkt der Szene. Vorm Spiel gegen RB fand dort ein Ultrafrühstück statt. Die Gemeinschaft stärken, der sportlich tristen Situation entfleuchen. Fanprojekt und Ultras befruchten einander. Gegensätzliche Standpunkte werden diskutiert, Konflikte gemanagt. Für diese Strategie steht in Magdeburg auch seit einiger Zeit die Polizei.

Den Magdeburger Ultras ist ihre Stadt wichtig

Nico Tredup ist Polizeibeamter und seit eineinhalb Jahren am Spieltag Konfliktmanager. Er favorisiert Raumdeckung statt Kesselpolitik. Tredup redet mit den Leuten, macht Polizeiarbeit transparent. Er trägt zivile Kleidung und eine leuchtende Weste, die ihn als Konfliktmanager ausweist. Er nimmt Sorgen und Nöte der Fans ernst. Hat ein Fan Meldeauflagen oder wurden Platzverweise ausgesprochen, kann Tredup vermitteln. Er erstellt dann eine Gefahrenprognose, konsultiert die Sozialarbeiter des Fanprojekts und denkt nicht immer nur an die manchmal weltfremde Aktenlage. Geht es günstig aus, gibt es eine Anhörung. Dort sprechen die Fans ohne Anwalt vor, nicht selten werden Verbote aufgehoben. Gegensätzliche Strukturen sollen nicht verhärtet, potenzielle Spannungsfelder möglichst abgebaut werden. Eine bürgernahe Polizei, die nicht draufhaut, sondern schlichtet. Großartige Idee, Tredup steht für ihre Umsetzung. Das hat nichts mit Kuscheln zu tun. Das ist leistungsorientiertes Agieren. Klischees und Feindbilder auf beiden Seiten aufbrechen. Neulich war Lübeck mit einer großen Gruppe in Magdeburg. Tredup klärte Missverständnisse und ging auf die Wünsche der Lübecker ein. Die waren mehr als freudig überrascht und bedankten sich nach dem Spiel mit gehobenen Daumen. Vorm Spiel fragte die RB-Fanszene nach, ob sie geschlossen in den Block marschieren dürften. Tredup gab sein OK. Alles lief reibungslos.

Die größte Ultragruppe ist die Blue Generation. Alle Ultras stehen im Block U gemeinsam beieinander. Viele der etwa 400 Ultras kommen aus dem Magdeburger Umland, haben weite Anfahrtswege. Die Ultras motivieren sich ein bisschen mit dem Ruhm der Vergangenheit. Der FCM war mal was, das wollen sie wieder. Die alten Zeiten sind ein Stück Identität des Clubs. Der Ruhm der frühen Schlachten wirft einen Strahlenkranz auf die Geschicke. 1974, EC der Pokalsieger. Magdeburg - AC Mailand 2:0. Zehn Uhr abends hält dann Paule Seguin den Europacup in seiner Hand. Sowas können in der Zone nur FCM-Fans singen. Das Liedgut in der Kurve ist eine gute Mischung aus alten Liedern und neuen Kreationen. Obwohl Magdeburg gegen RB Leipzig 0:3 verliert, singen die Ultras bis zum Schluss. Erstmals sind in Magdeburg auch mindestens 500 RB-Fans erschienen. Doppelt so viele wie beim letzen Kick der beiden Teams. Sie zeigen sich sehr sangesfreudig und machen gut Alarm. Ohne Klatschpappen, sehr viele junge Leute, bei RB scheint etwas heran zu wachsen.

RB ist für Magdeburg nicht der große Feind. Antikommerzbekundungen hält man nicht ganz so hoch. Wichtig ist den Ultras, dass in ihrem Magdeburg etwas wie RB nicht möglich ist. Dann lieber Regionalliga. Der Magdeburger findet RB nicht gut, akzeptiert aber den Verein. Sein Elixier ist der Club. Das sind die Leute, das Umfeld. Sie leben im Hier und Jetzt und wollen natürlich nicht ewig die Vergangenheitssuppe löffeln. Sie basteln ihre Choreos, haben atemberaubend Spaß, träumen von der Dritten Liga. Der FCM endlich ein Profiklub. Einmal dahin gelangen...

Sehr wichtig ist den Ultras ihre Heimat, ihre Stadt. Ultras haben Sammelaktionen für die Restaurierung des Doms durchgeführt und Geld für die Renovierung einer Elbbrücke gesammelt. Sie übernehmen Patenschaften für lokale Angelegenheiten, ein kreativer Lokalpatriotismus. Es gibt auch noch sechs andere Tage in der Woche, wo man als Subkultur für die Stadt etwas gestalten kann. An der Pyrokampagne haben sich die Ultras selbstverständlich beteiligt. Solidarität in der Szene ist Ehrensache. Sie wollen zeigen, das es ihnen eine ernste Geschichte ist, eine Stil- und keine Randalesache.

Anfang dieses Jahres erschienen in Magdeburg zwei Spanier. Sie wollten einen potenten Brustsponsor für die Rückrunde vermitteln. Auch von spanischen Kickern war die Rede. Man sprach von dreißig Millionen Euro. Eine gewaltige Summe. Sie steht im Raum, schwebt über dem Club als Fata Morgana.

Ein neuer Brustsponsor ziert bisher nicht den schmalen Busen des FCM. Er soll laut Aussage der Spanier abgesprungen sein. Die Spanier suchen nun etwas anderes. Glückssucher, Schürfer am Rand des Profifußballs. Den Fans bleibt nur die Hoffnung, die Zeit des Amateurfußballs möge eines Tages zu Ende sein. 

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