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Aufstand gegen das Böse: Die Union-Fans hüllten sich als Zeichen des Protests in Schwarz.

© dpa

Willmanns Kolumne: Der RB-Bestie in den Rachen geschaut

Das Gute (Union) peitscht das Böse (RB) mit der unsichtbaren Rute der Gerechtigkeit (die es im Fußball nicht gibt) aus der Alten Försterei. Unser Kolumnist war natürlich mittendrin - und sogar auf der dunklen Seite der Macht.

Friedlich gurgelte die Wuhle und der Herbst begann, Köpenick sein buntes Kleid über zu werfen. Der September ging seinem Ende entgegen, Schwärme schreiender Vögel kündeten von der Endlichkeit alles Schönen. Die Kleinhirnrinden und die Großhirnrinden der Menschen bebten. Die schwarze Sonne schob sich vor die Köpenicker Fußballweihestätte. Wo des Schmerzes Linderung liegt, dort wächst eine Blume von unbekannter Größe. Ihrer Blüte entsteigen Strahlen, ihr Duft ist Kühle. Bewegt sie sich, erklingt die schönste Musik. Ihr Stoff ist Eis. Sie wächst an einem Ort, wo jedes Tun und Denken ein Ende hat. Berührst du die Blume, stirbt dein rechter Arm. Es ist die Blume des Bösen.

Der Kapitalismus. Der alte Schlawiner hat den Fußball fest in der Hand. ER ist seelenlos und ruhelos. ER ist ohne Fug und ohne Form. Sein Ziel ist die Mitte. Das Herz.

Das Stadion An der Alten Försterei. In den mythischen Gesängen der Union-Anhänger lebt die alte Zeit fort. Als die Grenzen zwischen gut und schlecht noch klar definiert waren. Hier die „asozialen Sachsen“, die gern Faxen machen. Dort die „asozialen Preußen“, deren Größenwahn keine Grenze kannte. Bis eines Tages der Herr der Fliegen seinen Stab in sächsischen Boden rammte und dieser sofort Wurzeln schlug. Sich binnen kurzem gar in die Körper der Sachsen pflanzte. Erst waren es ihrer zehn, dann tausend, inzwischen besuchen weit mehr Menschen die Heimspiele von RB Leipzig, als man beispielsweise An der Alten Försterei antrifft. Wo Menschen sind, wird gefeiert, tragen die Lüfte gesalbten Gesang.

Red Bull: Süß wie die Hoffnung, klebrig wie die Macht

Manche Geschöpfe kommen erst mit dreißig in die Pubertät. Plötzlich merken sie, irgendetwas stimmt nicht. Einige beginnen zu onanieren, andere lehnen sich auf gegen Revolutiönchen, denen sie sich einst angeschlossen hatten. Von einem Tag auf den anderen verachten sie das, was sie noch eben wahrhaft liebten. Das Oben wird das Unten. RB ist Leipzig. RB ist nicht Rasenball, sondern Red Bull. Ein Erfolgsgetränk. Süß wie die Hoffnung, klebrig wie die Macht. Red Bull entflammt und bringt den Endverbraucher direkt ins Elysium. Wo Red Bull ist, wohnt der Erfolg.

Es gibt sie tatsächlich: Fans von RB Leipzig. Ganz normale Fans von RB Leipzig.
Es gibt sie tatsächlich: Fans von RB Leipzig. Ganz normale Fans von RB Leipzig.

© Kowalski TV

Unser schönes Berlin bot am Sonntag interessanten Anschauungsunterricht in Sachen Fankultur. Feldforschung an der frischen Luft. Das bekennende Köpenick protestierte gegen „den Aufsteiger“ im deutschen Fußball. Es geht um existentielle Dinge wie Mitbestimmung und Teilhabe. Der Rote Bulle hob sein Haupt in den Kulissen der Alten Försterei. Er schnaubte, zeigte Horn. Sein Ziel sind die alten Tempel, deren Säulen er zum Bersten bringen will.

Ein Spiel wie ein Gottesdienst

Saturnische Gefilde, Köpenick schmückte sich in den dunklen Farben des Schmerzes und hob den Finger. Zeigten die Unioner, gewandet in schwarze Mülltüten, RB den Daumen? Den Mittelfinger, oder am Ende gar den freien Ringfinger? Wolkenschatten fielen auf die letzte Schlacht des Fußballs. Das Spiel hatte den Charakter eines Gottesdienstes im Freien. Die Unioner sind ihrem Club näher als beispielsweise Jesus im Himmel oder Mielke in der Hölle. Alter Schwede, ich hatte ganz vergessen, wie eine Idee die Menschheit entzücken kann. Christian Arbeit, Unions Presse- und Stadionsprecher betritt ganz in schwarz den Rasen. Er bittet um eine Gedenkminute für den verstorbenen Unionheroen Wruck. Danach verkündet er die Aufstellung des heutigen Tages. Jedem der Spieler wird seitens der Fans Göttlichkeit attestiert. Für einen Moment glaube ich, Johnny Cash schwebt herab und singt "And the mercy seat is waiting/And I think my head is burning."

Knapp zwanzigtausend Menschen protestieren gegen ein globales Unternehmen, das sich aus Gründen des Marketings einen Fußballklub gegönnt hat. Sogar im VIP-Bereich stehen die Menschen auf. Nach dem Anpfiff schweigen die Unionfans fünfzehn endlos lange Minuten. Diese Stille. Von drüben leuchtete das Stiergehörn. Alles kann sich in sein Gegenteil verwandeln. Der französische Schauspieler Gerard Depardieu trinkt bis zu vierzehn Flaschen Wein am Tag. Er trinkt, weil ihm langweilig ist. Er wird nie betrunken, egal wie viel er trinkt.

Leipzig-Fans sind tatsächlich normale Fußballmenschen

„In Leipzig stirbt die Fußballkultur. Fußball braucht Mitbestimmung“. Ein atemberaubendes, ein verstörendes Bild. Ob die gleichen Menschen beim Betrachten eines Formel 1 - Autorennens auch demonstrieren? Wir sind alle begierig nach der Sonne, die uns zum Leuchten bringt. Wo ist unsere Herkunft in diesem All? Du weißt es nicht und ich weiß es nicht. Wir Brüder und Schwestern des Tags und der Nacht.

Ich bitte um Nachsicht. Ich habe der RB-Bestie in den Rachen geschaut. Vor dem Spiel mischte ich mich ein wenig unter die Leipziger Fans. Man erwartet Teufel in Menschengestalt. Aber es sind tatsächlich normale Fußballmenschen. Männer, Frauen, Kinder, Ultras. Wie ihre Pendants auf der Gegenseite, gekleidet in die Insignien ihrer Zunft. Sie wissen wie und wann man den Schal zu heben hat. Die stolzen RB-Fans unterschieden sich in nichts von den stolzen Unionern. Ihre Gesänge waren nicht besser oder schlechter als jene der Unioner. Weltniveau, um es mit einfachen Worten auszudrücken.

Das Spiel gewann Union. Obwohl eigentlich RB den besseren Fußball spielte. Das Gute (Union) peitschte das Böse (RB) mit der unsichtbaren Rute der Gerechtigkeit (die es im Fußball nicht gibt) aus der Alten Försterei. Fußballfolklore ist schon eine feine Sache.

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