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Känguruh in der Mulde: Die Bohemians-Fans präsenieren das Wappentier ihres Klubs.

© Marco Bertram

Willmanns Kolumne: Derby, Wurst und Bier in Prag

Auf der Flucht vor seinem erfolglosen Heimatverein FC Carl Zeiss Jena hat sich unser Kolumnist in die tschechische Hauptstadt gerettet. Dort fand er Känguruhs, Bier, Wurst und den FC Bayern München Tschechiens.

Bohemka do toho! Senile Ballflucht trieb mich vergangenes Wochenende nach Prag. Ich hatte keine Lust mehr, meine geliebten Jenenser dabei zu beobachten, wie sie eine weitere Saison Regionalligaknast abwickelten. Der andauernde Blick in den Abgrund des fußballerischen Vergessens ist durch keine Thüringer Bratwurst der Welt zu versüßen.

Franz Kafka war leider kein Bohemiansfan. Und der Golem soll den Weg ins Heimstadion, liebestoll von allen Anhängern Ďolíček (Mulde) genannt, auch nie gefunden haben. Das Ďolíček liegt eine Stunde strengen Fußmarschs vom Stadtzentrum entfernt. Das Stadion ist klein, alt und eng. Presswurstgefühle. Es kann siebentausend Menschen einen Sitzplatz bieten. Gleich hinter dem Eingang beginnt das Eldorado aus Holzbänken und Holztischen. Eng an eng sitzen die Grünen in fröhlicher Runde im Rücken ihrer Tribüne. In der linken Hand appetitliches Pils, in der rechten Hand die hiesige Wurstspezialität, Klobasa genannt.

Längst wollte ein gelacktes Investorenkonsortium dort das xte Einkaufsparadies hingestellt haben. Doch sie haben ihre gierige Rechnung ohne die störrischen Fans gemacht, die bisher fast jeden Angriff auf ihre Heimat erfolgreich abwehren konnten. Die Fans gingen für ihr Stadion auf die Straße, gründeten eine Bürgerinitiative und stellten sich trotzig den Baggern entgegen. Eine kleine Hintertortribüne fiel 1996 Tina Turner zum Opfer. Angeblich um ein Konzert der Rockrentnerin zu ermöglichen. Das Stadion - ein Fels des Schönheitssinns. Möge die Kraft auf ewig mit den Fußballverrückten ein.

Im Zentrum Prags ziehen jeden Tag Herrscharen von Touristen in den Kampf um das beste Fotomotiv. Sie trifft man bei Bohemians nicht. Auch nicht die vielen hippen Engländer, Amis, Australier und Russen, die Prags Innenstadt partytechnisch unter sich aufgeteilt haben. Bohemians Prag ist der Club der kleinen Leute. Ein paar Hippies, Punks, Alternativszene. Im Gegensatz zu Sparta oder Slavia Prag, den zwei Großclubs. Hin und wieder sieht man an relevanten Plätzen Prags Aufkleber, auf denen sich Sparta und Slavia gegenseitig als Juden schmähen.

Die aktive Bohemiansszene steht hinter dem Tor wie ein Mann. Von einer Reise nach Australien beförderte der Club in den zwanziger Jahren zwei Kängurus als Gastgeschenk mit nach Hause. Die Beuteltiere kamen in den Prager Zoo. Ein stilisiertes Känguru ist seitdem Bohemians hochverehrtes Wappentier und überzieht das große fußballerische Ganze mit dem Mehltau des Besonderen. Schon als kleiner Bolzerbube fand ich Bohemians Prag toll. B-O-H-E-M-I-A-N-S! Das klang nach großer weiter Welt. Nicht nach biederem Sozialismus wie Motor, Dynamo oder Vorwärts. Obgleich mir später die etwas banale Entschlüsselung des Worts Bohemians, was nichts anderes als Böhmen bedeutet, Qual bereitete. Doch da war ich bereits vierzehn und hatte überdies mit anderen Schmerzensmännern wie Staatsbürgerkundelehrern, Parteisekretären und sogenannten Volkspolizisten zu tun.

Zu Besuch bei Sparta Prag - dem FC Bayern München Tschechiens

Die aktive Bohemians-Szene steht hinter dem Tor wie ein Mann.
Die aktive Bohemians-Szene steht hinter dem Tor wie ein Mann.

© Marco Bertram

Die tschechischen Polizisten der Neuzeit tragen kein Volk im Namen. Völkerverbindende Momente erlebte ich mit ihnen am Derbyabend nicht. Im Gegenteil, sie schlugen ebenso brutal wie ihre sozialistischen Polizeibrüder im Geiste auf schmalbrüstige, jugendliche Fußballfans ein, die sich des gigantischen Verbrechens des Zündens von zehn bengalischen Fackeln schuldig gemacht hatten. In ihren schwarzen Kampfmonturen hatten sie viel Spaß und sprühten auch Unbeteiligten ordentlich Reizgas in die Augen. Den Opfern standen wiederum Anti-Konfliktpolizisten bei, die kopfschüttelnd Mixturen zur Linderung der Schmerzen verabreichten. Unsere globale Fußballwelt ist doch überall gleich merkwürdig.

Am Tag vor dem Derby zwischen Bohemians und Slavia Prag besuchte ich Sparta Prag. Sparta steht kurz vor der Meisterschaft und empfing im heimischen Stadion Slovan Liberec. 12.000 Zuschauer feierten ihr Team. La ola, Popcorn, Bier und fette Wurst. Sparta ist das Bayern München Tschechiens. Ein Familienclub mit kleinem Ultraanhang. Stimmung ok, geringe Idiotendichte, kann man sich durchaus bei einem Pragaufenthalt genehmigen. Der tschechische Verbandspräsident heißt Pelta. Sparta mag ihn nicht, auch Liberec hält ihn für einen korrupten Mini-Blatter, es gab mehrfach Sprechchöre und Banner gegen den Herrn aus beiden Fanlagern. Vorm Stadion spielten derweil die Polizisten mit ihren Knüppeln. Sie hatten nichts Besseres zu tun. Noch nicht.

Prag ist trotz Pelta großartig, die beiden signifikanten Hochkulturelemente Bier und Wurst, möglicherweise noch gereicht von mandeläugigen Schönheiten, machen jede Pragreise zu einem Fest. Der zu erlebende Fußball ist nicht ganz so groß, aber wenn blühender Flieder seinen berauschenden Duft durch die Stadt wabern lässt, wird uns allen alles schön.

Am nächsten Tag: Derbystimmung bei Bohemians gegen Slavia Prag. Beide zieren den Popo der Tabelle. Das Stadion ausverkauft. Dicht gedrängt saßen Rotweiße Slaviafans und Grüne Klokani  (Kängurus) beieinander. Bohemka do toho! Slavia do toho! O weh! Slavia machte das Spiel, schoss Mitte der ersten Halbzeit das 1:0 und stellte sich dann hinten rein. Bohemians zog einen Flunsch, Mannschaft und Fans ergaben sich frühzeitig. Stümperfußball wie in Jena. Schlimmste Schnitzer, ein Weh und Ach. Die Schnauzbärte der Alten, die rotlackierten Fingernägel der Blondinen, die Bratwurstzangen der Bratwurstbrater – alles zitterte. Doch es zitterte nur kurz. Spieler wie Fans von Bohemians ergaben sich dem argen Schicksal. Kuriose Stimmung, Slavia auf der Schlachtbank, keiner traute sich ans Tranchiermesser.

Am Ende, als der Schiedsrichter voll der Gnade abpfiff,  sank Bohemians darnieder. Die Slaviaspieler halfen ihren Kollegen mitleidend wieder auf. Nützt ja alles nichts. Warum auch liegen bleiben, morgen Abend sieht man sich in der Disco. Bohemians vorm Abstieg, Slavia gerettet. So ist Fußball. Dann kniete sich die gesamte Slavia-Mannschaft vor ihrer Fankurve nieder. Ehre wem Ehre gebührt.

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