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Selbst altgediente FCC-Fans lagen sich in den Armen und unterdrückten notdürftig heiße Tränen der Freude.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Die Beschissenheit der fußballerischen Dinge

Unser Kolumnist Frank Willmann sah am vergangenen Wochenende seinen Herzensklub Carl Zeiss Jena triumphieren beim Berliner AK. Der fast tausendköpfige FCC-Mob lag sich dabei in den Armen und feierte Bärtigmann Friedrich Engels.

Den Freitag verjammerte ich still im Gartenlokal. Ich pichelte Frankfurter Pilsener und gab mich den grausamsten Selbstbetrachtungen hin. Der Fußballklub Carl Zeiss Jena huscht wie ein Schatten vergangener Heldentage durch die Regionalliga. Um das Unglück vollkommen zu gestalten, haben uns die Wasser der Saale unser Stadion genommen. Jenas lokale Politgrößen möchten uns gern am Stadtrand ein neues Stadion spendieren. Darüber reden und diskutieren die Stadtbonzen einer der reichsten ostdeutschen Städte seit vielen, vielen Jahren. Worte wie Wasserhaushaltsgesetz, Vattenfall, Überflutungsgebiet, Geld. Aber wer verlegt freiwillig sein Wohnzimmer vom Paradies in die Vorhölle eines Neubaugebiets? Dort herrscht Schlagerterror und nicht Rock`n Roll! Die guten Kräfte Jenas wollen das alte Stadion nicht kampflos aufgeben, doch ich befürchte das Schlimmste. Die lebenswichtige Angelegenheit wird erst totdiskutiert, dann eingemottet, gepudelt und gehäckselt. Am Ende steht 2020 an der Autobahnausfahrt die Goetheschiller-Holzland-Arena mit direktem Rennsteiganschluss. Ob es bis dahin noch einen funktionierenden FC Carl Zeiss gibt?

Ich hätte durchaus gutes Radeberger schlürfen können. In Frankfurt. Entschied mich aber, die Beschissenheit der fußballerischen Dinge bedenkend, für wässriges Frankfurter Pilsener. Mein Budget reichte nur für Frankfurt an der Oder. Nicht das richtige Frankfurt. Am Main. Wo der Sage nach Deutsche Bank und Deutscher Fußball-Bund sitzen. In Frankfurt Oder sitzt Trödel-Micha und verkauft die Erinnerungen der Nationalen Volksarmee für schmales. Da aber ganz Frankfurt Oder früher Volksarmee war, bleibt er auf seinen Aluminiumschätzen sitzen. Ich wollte Entspannung vorm Spiel der Spiele. Nein, nicht FCC gegen AS Rom. Mein Jena musste am nächsten Tag beim Berliner AK ran. Einer dieser weitestgehend fanfreien Berliner Klubs, die eine Handvoll Sommer tanzen, um dann wieder im Nichts zu verschwinden. Hoho! In den klubeigenen Medien wurde dieser Tage die Gründung des ersten Fanklubs gefeiert. Jetzt geht’s also richtig los. Folgerichtig standen im Stadion vier BAK-affine Menschlein um eine Fahne herum.

Sonnabend Poststadion, Richtstatt oder Jungbrunnen… Ja, nein, Angst und dicke Backen, dann unerwartet dies: Der feierte Bärtigmann Friedrich Engels stieg zu uns hinab. Er hat den Namen gewechselt und heißt nun Tom Geißler. Weltuntergang oder Hoffnungsschimmer, diese zwei Möglichkeiten gab es vor dem Spiel für den FCC. Dann trat Geißler in der 72. Minute aus vierzig Metern Entfernung gegen den Ball. Der Torwart des BAK pflückte an der Strafraumgrenze Blumen. Der Ball schlug hinter ihm im Tor ein. Der fast tausendköpfige FCC-Mob tobte. Selbst altgediente Fans, die von Europapokal bis Oberliga Nordost alles gesehen haben, lagen sich in den Armen und unterdrückten notdürftig heiße Tränen der Freude. Jena nun auf Platz vier, ganze sechs Punkte hinter Spitzenreiter Neustrelitz. Das Spiel kostete mich viele tausend Empfindungsstränge. Noch ist in der Tabelle nichts zu Ende erzählt. Neunzehn Spieltage stehen uns bevor. Die mageren Freuden des Fußballs, wenn der Ball optimal läuft und die Fanseele ins Schwingen gerät. Der Akt des gemeinsamen Erlebens. Das ist immer das Gleiche. Egal ob Bayern München oder Energie Cottbus spielt. Die Überdrehtheit, der ganze Irrsinn des Fanseins.

Die Helden des Rasens sind leider auch Menschen. Nach dem Spiel huschte Lutz Lindemann an mir vorbei. Ein Jenagott von 1977 bis 1981. Lutz ließ mich nie den Glauben verlieren, Fußball wäre eine einfache Angelegenheit. Ein Mann mit innerem Auge. Ein drittes, manchmal ein viertes Auge, das ihn auf dem Platz mehr als alle anderen sehen ließ. Sein Spiel lebte von der Eingebung. Der Zaubermeister des tödlichen Passes. Mit einem Lächeln auf den Lippen machte er seinen Gegnern den Garaus. Heute ist er sportlicher Leiter bei Viktoria Berlin.

Fair Play ade, du altmodische englische Erfindung.

Wegen des vom Leverkusener Kießling erfundenen Tores gegen Hoffenheim, haben wir nun den Tatsachensalat per DFB-Gericht serviert bekommen. Dem DFB-Richter keinen Vorwurf, er entschied entsprechend der Regularien. Mir gehen aber die feixenden Leverkusener Spieler nicht aus dem Kopf. Die sich schelmisch angrinsten. Nach der Entscheidung des Schiedsrichters, ein Tor zu geben, das keines war. Ist das die hässliche Fratze des überdrehten, auf Profit ausgelegten Spektakels Bundesligafußball? Fair Play ade, du altmodische englische Erfindung. Macht das Geld unseren Fußball kaputt, weil im Interesse des Geldes gelogen und betrogen wird? Ich mag weder die Betriebssportgemeinschaft Chemie Leverkusen noch SAP-Hopp`s Hoffenheim in der Bundesliga haben. Gleichwohl möchte ich vermuten, 90% aller Spieler, egal in welcher Liga sie kicken, hätten wie die Leverkusener Grinsekatzen reagiert. Ob das dem Fußball schaden wird, wage ich zu bezweifeln.

Als meine Altherrenfreizeittruppe der Berliner Autoren im Frühsommer gegen die Altherrenfreizeittruppe der Grünen spielte, pfiff der Schiedsrichter  nach unserem Ausgleichstor in der vorletzten Minute Abseits. Es war kein Abseits. Das war einigen grünen Abwehrspielern auch bewusst. Trotzdem legten sie sich nicht ins Zeug und baten um Anerkennung des Tores. Auch die gutherzige, gründeutsche Mitte ist nicht gegen Schweinigelei beim Fußball gefeit. Beim nächsten Spiel haben wir die Grünen in ihrer grünen Hölle auf einem Nebenplatz des Poststadions bitter 6:4 vermöbelt. Unser erstes Tor müffelte verdächtig nach Abseits. Auch der beste Fußballer der Welt ist nicht gegen sein kleines Fußballherz gefeit, das leise lass mich bitte, bitte gewinnen schreit!

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