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Bock auf Wurst: Der Magdeburger Block im Stadion Lichterfelde.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Sex on the Platz

Beim Regionalligaspiel zwischen Viktoria Berlin und dem 1. FC Magdeburg ging es nur um die Wurst, wie unser Kolumnist Frank Willmann berichtet. Der eigentliche Burner findet sich deshalb auch abseits des Spielfeldes.

Die rechtschaffenen Häuslebesitzer waren schon vor Sonnenaufgang im Einsatz. Machte doch das Gerücht in der Randberliner Vororten die Runde, die weltbekannten Magdeburger Bördefüchse wären beim hiesigen Fußballverein zu Gast. Eifrig türmten die verängstigten Bürger riesige Laubhaufen vor den Einfahrten ihrer Häuser und auf die freien Flächen am Straßenrand, die in fortschrittlichen Gegenden normalerweise als Parkplatz benutzt werden.

Noch mit dem Rechen in der Hand beäugten sie misstrauisch Menschen im blauweißen Gewand, welche auf der Suche nach Abstellplätzen ihr trautes Heim berückten. Selbst die Spatzen im Knallerbsenstrauch machten einen auf dicke Hose. Es tut sich ja sonst wenig hier. Nicht mal eine Asylantenunterkunft trübt die Idylle. Trotzdem.  Man weiß es ja nicht. Im letzten Jahr wurden nach einem Spiel vier leere Bierflaschen gefunden und ein Baum sei zum Abort...

Viktoria Berlin fühlt sich ganz schön Lichterfelde an. Drei Meter weiter beginnt die Brandenburger Wüste. Die Magdeburger tauschten verschlagene Blicke aus. Endlich konnten sie sich mal wieder wie Halbstarke fühlen. Hinter den Gardinen saßen die reizenden Töchter der Häuslebesitzer. Sie waren mit schweren Ketten an ihre Schminktische gefesselt. Ihre Blicke waren voll Sehnsucht nach draußen gerichtet. Wohin eine dunkle, unbekannte Welt Boten der Freiheit gesandt hatte. Wilde Diener des Fußballs, mit schwarzen Haaren und Eisbeinresten in den Zähnen. Und F6 in der Hemdtasche.

Dabei ist Rauchen so schädlich. Die geschundenen Töchter schworen ihren Vätern immerwährenden Hass. Wer weiß, vielleicht entstieg am nächsten Morgen eine neue Ulrike Meinhof dem elterlichen Heim.

Um es den Lichterfeldern ein wenig zu danken wurde nach dem Spiel immerhin ein Böller gezündet, dessen Detonation den Anwohnern wie das Zünden einer Atombombe erschien. Auch das Spiel des Europapokalsiegers von 1974 gegen die seit neustem als Traditionsverein firmierenden Fastbrandenburger bot tatsächlich einige feine Momente. Und es fanden sich außerdem ein paar Heimzuschauer ein. Über 1600 Citoyens folgten dem Spiel, knapp die Hälfte davon dürfte aus Magdeburg gekommen sein.

Das Stadion ist nicht hässlich. Was aber nicht heißen soll, es wäre schön. Groundhopper plärrten nicht sofort beim Anblick der geschwungenen Tribüne los. Lachten sie dem ungeachtet auch nicht aus. Sie ist von brillanter Mittelmäßigkeit. Viktoria hat jetzt echte Fans drauf stehen. Ich zählte sieben Bettlacken schwenkende Gestalten. Auch ein kleiner Finger ist Teil einer Faust.

Die Wurst in Berlin schmeckt fast immer Scheiße

Um es vorweg zu nehmen, die Stadionwurst schmeckte. Das ist in Berlin nicht immer so. Im Grunde schmeckt die Wurst in Berlin fast immer Scheiße. Als ob die Wurstmacher den Kunstdarm mit ranzigen Fleischabfällen und Sägespänen stopften.

Die Remiskönige von Victoria kickten im zehnten Spiel ihr siebtes sexy Unentschieden zusammen. Trotzdem, der eigentliche Burner war die Wurst aus dem Schleckerstübchen. Sensationell.

Was sonst? Meister Hähnge im Dress der Viktorianer. Hähnge war in seinem früheren Leben mal Spieler in Magdeburg und in Jena. Eingeweihte und Unwissende sind sich uneins in der Beantwortung der Frage, wie viele wichtige Tore Herr Hähnge in seiner bisherigen Laufbahn zu erzielen versäumte. Gegen Magdeburg hat er lässig nur eine Riesenchance vertan. Wohl aus alter Verbundenheit. Seine Tolle stand aber gut vorm Hirnkasten ab. Katzen rieben sich nicht an seinen Beinen. Und auch die Fliegen überlegten es sich zweimal, bevor sie ihre gierigen Rüssel in sein schweißiges Haar tauchten. Als der Viktoriatrainer nach der 2:0 Führung seines Teams spürte, hier geht noch was Richtung Unentschieden, wechselte er Hähnge schnell aus und ließ defensiver spielen.

Diese Einladung nahmen die bis dahin recht unlustig wirkenden Magdeburger gern an und schafften in den letzten fünfzehn Minuten den Ausgleich. Es ist vielleicht eine Übertreibung zu behaupten, der Viktoriatrainer hätte es gut mit dem FCM gemeint. Andererseits bleibt es mir und den anwesenden Zuschauern verhältnismäßig eleusinisch, warum er seine Mannschaft das Weiterstürmen untersagte.

Nach dem Spiel übte er Selbstkritik und meinte, man sei Aufsteiger und der eine oder andere noch unerfahren. Ich überlegte, ob ich ihn zu einer Wurst samt Brause am Kiosk einladen sollte. Ich hätte mit ihm über seine Hobbys geredet und wäre dann zum Beruflichen gekommen. Ließ es dann aber. Man möchte ja nicht unhöflich sein. Er kann sicher die Spreu vom Weizen trennen und hat Hähnge ausgewechselt, weil dessen Tolle einfach zu sexy war. Auffem Platz. Hätte für Unruhe gesorgt. Bzw. für zu viel Ruhe. Daran besteht kein Zweifel. Sicher werden noch, bevor er das fünfzigste Jahr erreicht hat, fünf  Babys nach ihm benannt.

In der Regionalliga blieb nach dem zehnten Spieltag alles wie es war. Der Berliner AK und die TSG Neustrelitz an der Spitze. Neustrelitz ist für seine Fischsuppe berühmt. Diese Suppe ist für den Höhenflug der TSG zuständig. Den Fußball spielen kostet Kraft. Man muss die ganze Zeit konzentriert sein. Archäologen erforschen ja immer gern den Müll. In zweihundert Jahren werden sie meine Suppentheorie bestätigen, vielleicht sogar schon in einhundertsiebzig.

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