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Anfassen verboten: Ohne Westverwandtschaft war es in der DDR kaum möglich an Sammelbildchen aus dem Westen zu kommen.

© dpa

Willmanns Kolumne: Fußball, der nach Schokolade roch

Der Ostfußball fristet nur noch ein Mauerblümchen-Dasein. Grund genug für unseren Kolumnisten mal wieder in Erinnerungen zu schwelgen: An Sammelbilder aus dem Westen und Europapokal-Alltag in Thüringens Tälern.

Die fußballerischen Dinge sind in ihrer Beschissenheit in unseren Ostelbischen Gefilden eigentlich nicht zu ertragen. Auch 2014 wird in der Bundesliga kein Ostclub anwesend sein. Mein Verein ruht in der Regionalliga Nordost und stirbt einen langsamen Tod. Vergangene Woche ergab er sich dem großen Dosenbruder aus Leipzig. Mit 5:4 schickte RB mein Jena unter die Dusche. Ob RB nächstes Jahr in der dritten Liga spielt, entscheidet sich in der kommenden Relegation.

Auch die schwer gestraften Dresdner Dynamos müssen in die Reli, ein trauriges Bild. Lasst uns alle guten Fußballgeister anrufen, mögen sie mit Dynamo sein. Der DFB zeigte sich kürzlich hart und ließ Dynamos Klage gegen den Ausschluss aus dem DFB-Pokal abprallen. Für mich unverständlich, da die Dresdner Fanszene in den vergangenen Monaten durchaus in Bewegung geraten ist. Klar kann man das Schmuddelimage nicht wie einen alten Latsch abstreifen. Gerade deshalb: Milde heißt das Gebot der Stunde. Positive Strukturen unterstützen, dem Verein an die Hand nehmen.

Doch der DFB reagiert mit Starrsinn und sitzt die Angelegenheit aus. Die unerbittlichen Lokalfürsten haben nein gesagt. Und nein bedeutet nein. Was dazu führt, dass sich die vermeintlich Betrogenen nicht ersprießlicher führen und Unschuldige für die Randale einiger weniger büßen müssen. Ich plädiere für die Waffen der Freundlichkeit. Der Teufelskreis aus Gewalt, eingeschnapptem DFB-Opi-Gehabe und scheinheiligem öffentlichen Gewimmer kann nur durch grenzenlose Liebe zum Fußball zum Schmelzen gebracht werden. Warum nehmen sich nicht mal alle bei der Hand und tanzen gemeinsam ums Lagerfeuer? Man muss auch Nachgeben können. Es geht doch um unser aller Fußball. Der uns in schöner Regelmäßigkeit die Tage versüßt, Mini-Dramen schürt, uns in das Schmerzenskleid stopft.

1974 brach die wunderbare Welt der Fußballsammelbilder über Weimar herein. Damals hatte Ernst Huberty die schöne Idee, unsere Fußballhelden mittels Sammelalbum unters Volk zu werfen. Leider lebte ich im falschen Deutschland, in der DDR war es ungemein schwer, an die insgesamt 89 Sammelbilder zu kommen. Vom Album ganz zu schweigen. Keiner meiner Freunde hatte jemals solch ein Album, worin die deutschen Helden der Weltmeisterschaften von 1966, 1970 und 1974 anzutreffen waren.

Allein der Geruch der Sammelbilder. Sie steckten in Schokoladenpackungen. Vorsichtig die Packung aufreißen, bloß nicht knicken, fummeln, dann endlich das Sammelbild in der Hand. Ich saß stundenlang allein in meinem Zimmer und starrte die Bilder an. In der Schule musste man achtsam sein, es waren ja westliche Produkte. Wenn man an den falschen Lehrer geriet, konnte es brenzlig werden. Trotzdem war es ungemein wichtig, die heiligen Schätze den Freunden zu zeigen. Anfassen durfte natürlich keiner, dafür war der Bestand zu kostbar. Ich schaffte es dank hartnäckiger Bettelattacken und gewiefter Tauschverfahren, an zwanzig Sammelbilder zu kommen. Dann war Ritze. Westverwandtschaft hatten wir keine, Pakete mit der begehrten Schokolade fielen aus.

Es blieb der Intershop. Ein Laden, in dem man für harte Währung westliche Waren kaufen konnte. Nur wie an Westgeld herankommen? Es war eine unbarmherzige Zeit, zumal die billig produzierten DDR-Zeitschriften keine Hochglanzfotos lieferten, die mein Leid etwas hätten lindern können. Es war aussichtslos, ich erkannte bereits damals, dass aus einem Land nichts werden konnte, dass seinen Kindern keine vernünftigen Fußballbilder bieten konnte. Die wöchentlich erscheinende Fußballwoche war schwarz-weiß, nur einmal, 1974, erschienen als farbige Poster die Mannschaftsbilder der Teilnehmer der Weltmeisterschaft 1974. Die Neue Berliner Illustrierte druckte sie in Serie ab. Das brachte ein wenig Sonne in unsere tristen Hütten, auch wenn die Fotos von minderwertiger Ost-Qualität waren.

Doch die fußballerischen Dinge waren für uns noch in Ordnung. Der FC Carl Zeiss vermöbelte regelmäßig RW Erfurt, jede Saison spielten wir im Europacup. Klar konnten wir nicht mit der Mannschaft zu Europapokalspielen in den Westen, doch uns blieben die Heimspiele, wo man auch richtige Italiener, Spanier, Engländer und Portugiesen im Stadion antreffen konnte. Thüringen war stolz auf sein Jena, es brachte die weite Welt in unsere Täler und bot die gesamte Woche Gesprächsstoff.

Heute liegt der Club darnieder, wie alle Ostvereine ist er ein Mauerblümchen. Gegen RB waren mal wieder über 5.000 Zuschauer im Stadion, in der Regel verlieren sich 3.000 Thüringer im Rund. Sehe ich ein Ende der Pein? - Nein. Die Fronten sind verhärtet, das Geld liegt woanders, Tradition ist ein Pups im Wind, wenn man sie sich nicht leisten kann. Auch 2014 grunzt die Morgenröte andernorts.

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