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Kaiser Franz Beckenbauer (im Bild mit Paul Breitner). 1974 waren die Haare lang, heute gibt es Geld von Gazprom.

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Willmanns Kolumne: Fußball, Politik und Bärenschinken

Eine Demokratie muss politische Proteste aushalten, weiß Frank Willmann. Im Sport allerdings wird heutzutage kaum noch protestiert. Stattdessen laufen Stars in Lederhosen über die Mattscheibe. Eine Unkultur, findet unser Kolumnist.

Das  Meinungsforschungsinstituts YouGov befragte kürzlich Erdenbürger in sieben europäischen Ländern, wie sie das politische Engagement gegen Homophobie und Rassismus der nationalen und internationalen Fußball-Verbände einschätzen. Über 1000 Menschen gaben ein Statement ab, etwa die Hälfte interessierte sich für Fußball. Nicht ganz unerwartet ist sich die große Mehrheit der Befragten einig. Weder die internationalen, noch die nationalen Verbände sind sonderlich interessiert an gesellschaftlichen Knacknüssen. Insofern wundert es wenig, dass sich nach der bekannt gewordenen menschenverachtenden Behandlung von Wanderarbeitern auf den WM-Baustellen in Katar kein kolossaler Protest in Politik, Wirtschaft und Fußballverbänden regt.

Wie der Guardian berichtete, sind allein zwischen 4. Juni und 8. August 44 nepalesische Menschen an Herzversagen und Arbeitsunfällen elend verreckt. Der Internationale Gewerkschaftsbund ITUC rechnet mit mindestens 4000 toten Menschen bis zum Anpfiff des ersten Weltmeisterschafts-Spiels. 4000 Tote. Alle hatten in ihrer Heimat eine vielköpfige Familie. 4000 Tote, auf denen die Hoffnungen eines besseren Lebens ihrer Familien ruhten. In Elendsbaracken vegetierende Arbeiter, viele warteten seit langem auf ihren Lohn. Die Reisepässe wurden ihnen weggenommen, sie hungerten. Kein Funktionär ging wegen dieser armen Teufel auf die Barrikaden. Politischer Protest seitens der Regierungen unserer Welt fand höchstens im Hinterstübchen statt. Aus den Gazetten verschwand die Empörung sehr schnell, ist ja nur eine Schreckensmeldung neben vielen anderen.

Bisher haben sich in Deutschland nur die Grünen deutlich kritisch zu Wort gemeldet. Haben die eventuell etwas gut zu machen? Jaja, die Grünen. Claudia Roth schunkelte sich vor knapp einem Jahr noch einen beim Promikäsehuhnzubereiter Tim Raue in Kreuzberg. Und erzählte Meister Ulf Poschardt via Springers Welt alles über das Leben, den Luxus und The Theo Zwanziger.  Den sie damals so sehr mochte. Blond, rund und gut gelaunt, spottete sie über spießige Linke und schlug Theo Z. bei einer möglichen schwarz-grünen Regierung als Bundeskanzler vor. Claudia, du Visionärin! Hast deine Partei bei der Bundestagswahl zwar in den Hitkeller geführt, trotzdem ist dir ein gewisses Näschen nicht abzusprechen. Eine runde, gut gebräunte politische Anstupsnase. Claudi, bevor der verdiente Ruhestand droht, geh doch mit dieser interessanten Personalie nach außen. Herr Kretsch (grüner Kosename für Winfried Kretschmann) mit seiner bestechenden Ehrlichkeit wird das sicher ganz toll finden. Das ist jetzt schon Kult. Politische Proteste muss eine Demokratie aushalten. Fußball an die Macht! Zwanziger statt Angie heißt die Losung!  

Wir haben grad die Wies`n. Das große Saufaus dummgeiler Promis. Schön im Dirndl die Bombe im Hippodrom, beim Käfer und im Armbrustschützenzelt krachen lassen. Bombe platzen lassen ist natürlich nur im übertragenen Sinne gemeint. Metaebene und so. Womit wir nun endlich bei einem einwandfreien politischen Protest landen. Der fand am Dienstagabend im Baseler Stadion statt, als Greenpeaceaktivisten gegen die Schweinigeleien des russischen Staatskonzerns Gazprom in der Arktis protestierten. Und das Spiel unterbrochen wurde! Das heilige Spiel, o weia! In Gelsenkirchen sollen ganze Heerscharen vom Sofa gefallen sein. Gazprom ist Hauptsponsor bei Schalke und hat sich ordentlich in die Champions League eingekauft.

Politische Proteste muss eine Demokratie aushalten. Dieser Satz stammt nicht von Franz Beckenbauer, der auch auf der Lohnliste von Gazprom steht. Die Älteren von uns werden sich noch an den genialen Fußballer erinnern. Der 1974 ganz oben stand. Chile si – Junta no! 14. Juni 1974, Westberlin. Fußball-Weltmeisterschaft, Vorrundenspiel BRD gegen Chile. Beckenbauer zu Breitner, der zog aus dreißig Metern ab, 1:0 für UNS. 86.000 Zuschauer, darunter etliche exilierte Chilenen nebst Westberliner Sympathisanten. Lange Haare und Bärte bis auf die Knie. Im Jahr zuvor hatte es in Chile einen faschistischen Putsch gegen die frei gewählte sozialistische Regierung unter Allende gegeben.

Im Olympiastadion demonstrierte die haarige Truppe gegen Diktator Pinochet mit Trillerpfeifen, Gesängen und Plakaten. Die Westberliner Polizei schritt nicht ein. Was, wieso? Politische Proteste im Stadion musste eine Demokratie damals aushalten. Hört und staunt: sogar in der heiligen Sportschau kam eine Vertreterin der chilenischen Protestierer zu Wort. Beim derzeitigen Zustand des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nur schwer vorstellbar. Heute dominieren bayerische Fußballer mit ihren langhaarigen und bartlosen Spielerfrauen in albernen Wies`n-Verkleidungen die Mattscheibe. Beim Käfer soll es diesmal Bärenschinken geben, von original zu Tode gekommenen echten Problembären. Na lecker!

Die Riege der unechten Problembären ist lang. Der eingeschnappte Jose Mourinho protestiert gegen die böse Presse, ein tobsüchtiger Jürgen Klopp als Vorbild für den deutschen Hooligannachwuchs. Die internationalen Fußballverbände als Sinnbild der Käuflichkeit. 4000 künftig tote Menschen in Katar. Wenn 2014 nach schier endlosen Koalitionsverhandlungen Freigeist Zwanziger endlich Bundeskanzler ist, wird sich alles ändern. Gazpromi Franz Beckenbauer übernimmt Außenpolitik. Olli Bierhoff Wirtschaft. Berti Vogts Verteidigung. Jürgen Bogs Sicherheit. Claudia Roth wird Sportmädchen für Alles. Und als Extraschmankerl: Uli Hoeneß wird Bundespräsident und lässt sich naturgemäß in seiner ersten Amtshandlung zum Kaiser aller Deutschen krönen. HaHa! Endlich hat er dem gefälschten Kaiser Franz den ganz dicken Daumen gezeigt. Aber Hola! Aber Hallo! Ich freu mich jetzt schon drauf. Unsere Demokratie wird es aushalten. Und ausbaden.

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