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Fußball in der Schweiz ist, laut Frank Willmann ganz klar, die Beschäftigung einer Minderheit.

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Willmanns Kolumne: Fußballkultur in der Deutschschweiz

Bei seinen Lesungen in der Schweiz hat sich unser Kolumnist Frank Willmann mal in der lokalen Fußballszene umgeschaut - und Walther White aus der Fernsehserie Breaking Bad auf der Trainerbank einer Fußballrebellenstadt entdeckt.

Bern, Winterthur, St. Gallen und Basel lagen kürzlich auf meiner Reiseroute. Fußball in der Schweiz ist, ganz klar, die Beschäftigung einer Minderheit. Außer dem FC Basel spielt kein Club im sogenannten Konzert der Großen mit. Die Zuschauerzahlen in der heimischen Liga lassen meist zu wünschen übrig. Neben Basel schaffen es nur Bern und St. Gallen, regelmäßig fünfstellige Zuschauermassen zu akquirieren. Am Ende der Zuschauertabelle lümmelt der FC Vaduz, ein Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Liga. Weil Liechtenstein wegen seiner geringen Größe über keine eigene Nationalliga verfügt, dürfen die Liechtensteiner Clubs in den Schweizer Ligen mitspielen.

1931 gegründet, trat Vaduz fußballtechnisch ein Jahr „Österreich“ bei. Das genügte scheinbar, um sich im nächsten sofort von der Schweiz „vereinnahmen zu lassen“. Ach, ihr herzensguten Schweizer, fast für jeden Erdenbürger habt ihr ein Türchen offen. Ich liebe euch für eure Freundlichkeit und euer Interesse an fremden Fußballkulturen. Ok, eigentlich müsste ich Deutschschweizer sagen, da mir die Schweizer Viersprachigkeit verschlossen blieb. Ich berückte die Deutschschweiz, zumal einige verstörende Infos, beispielsweise aus Lugano, zu mir vordrangen. Dort soll man schweinigelige Geschäftsführer gern im See versenken, wenn man sie nicht anders loswird. Freunde der italienischen Oper? Legende oder Wahrheit?  Freilich tauchte der untergegangene Geschäftsführer immer wieder in den Berichten meiner Gesprächspartner auf. Obgleich für Schweizer das Leben in der Schweiz einfach scheint. Unter 4 % Arbeitslosigkeit und eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit Fremdlingen. Zumindest in den Städten. Na gut, sie wird nicht von allen praktiziert. Zumindest in Winterthur läuft es. Der einstige Industriestandort beherbergt heute den FC Winterthur.  Die Fans aus der legendären „Bierkurve“ sind eher links und jagen schon mal Nazis aus Zürich und anderswo durchs Viertel. Kann passieren, dass einem der Nazis im Anschluss ein paar gelbe Zähne weniger im Gebiss verbleiben. BierkurvenBär ist ein gemütlicher Mensch. Doch wenn die Rede auf Rassisten kommt, platzt ihm der Kragen.

Überdrehte Polizisten und sich radikalisierende Ultras

Klar kommen zu meinen Lesungen in der Schweiz keine Naziidioten oder Schwachköpfe ähnlicher Bauart. Da muss ich mich schon ein wenig in Stadionnähe herumtreiben, um die eine oder andere unangenehme Gestalt zu erspähen. Fußball war und ist in der Schweiz, wie fast überall, eine Beschäftigung der Arbeiterschichten. Soweit es die in der Schweiz noch gibt. In Bern spreche ich mit einer Fanarbeiterin des Vereins. Die Probleme sind allerorten die gleichen. Hier überdrehte Polizisten und Politiker, die jeden Kleinkram als Kriegserklärung verstehen. Der Knüppel und das Gummigeschoß werden oft und gern seitens der Polizei eingesetzt. Damit steht die Schweiz als liberales Land auf dem Prüfstand. Dort sich radikalisierende Ultragruppen, die auf jede Kleinigkeit anspringen und gelegentlich mit eher merkwürdigen Aktionen und Sprüchen auf sich aufmerksam machen.

Anfang 2015 jagten Luzerner Fans einen als Juden stilisierten St. Galler vor dem Spiel durch die Gassen. Beim Rückspiel zeigten St. Galler Fans ein Spruchband mit der Bemerkung „Fußball macht frei“. Weil die das Spruchband zeigende Gruppe dem linken Lager angehört, verwirrte der Schriftzug, der im Stil an die Toraufschrift „Arbeit macht frei“ des  Konzentrationslagers Auschwitz erinnerte, die Betrachter. Die St. Galler Fangruppe wollte damit der Schweizer Fußballwelt einen Spiegel vorhalten. Das verstand nicht jeder Fußballfreund richtig. Obgleich St. Gallen, wie auch Bern und Basel, durchaus angenehmen Fan-Szenen Heimat ist.

In Bern schnüffelte ich an den legendären Resten des alten Wankdorf, wo 1954 die BRD aus den Trümmern der Geschichte auferstand. Im Münster der Stadt wird an das Jahr 1798 erinnert. Damals schnappte sich Napoleon die Staatskasse und die Goldbestände. Allein in Bern wurde über 24 Millionen Franken erbeutet. Das Fuhrwerk mit der schweren Goldbeute ist unterwegs zusammengebrochen. Nebenbei wurde die alte Patrizierkaste verjagt, die lange die Stadt unterdrückte, und Liberté, Égalité, Fraternité in der Schweiz eingeführt. Ein bisschen eingeführt, wie mir die Berner lächelnd vermittelten.

Fußballrebellenstadt Winterthur: Walther White aus Breaking Bad ist hier Trainer

In der Fußballrebellenstadt Winterthur traf ich auf den leibhaftigen Walther White aus Breaking Bad. Er tritt dort als Trainer Seeberg auf und versucht die Winterthurer FC- Buben entkrampft irgendwann in die 1. Liga zu hieven. Stadt und Verein haben sich jüngst eine schmucke Tribüne hingestellt, die Zeichen stehen auf  Angriff. Wäre fein, wenn dieser sympathische Club, der sich ein wenig an St. Pauli orientiert, demnächst die oberste Schweizer Spielklasse aufmischen würde. Seit 1984 warten die Fans darauf, dessen Jugendarbeit top ist und regelmäßig die Clubkasse durch Weiterverkäufe füllt. „Walther Seeberg“ ist seit zwanzig Jahren Trainer und bringt die erforderliche Empirie mit. Im chilligen Gespräch vermittelte er eine klare Linie.

Neugier zeichnet fast all meine Schweizer Gesprächspartner aus. In Basel, der Schweizer Fußballhauptstadt, betreiben die Schweizer Brüder Pfister die Fußball und Kulturspelunke didioffensiv. Ein Muss für jeden fußballwütigen Besucher der Stadt. Besonders die Toiletten lassen die Herzen aller Panini-Fußballbilder-Freunde höher schlagen. Das Bier schmeckt in der Schweiz überall. Einheimischer Käse, geile Würste und vernünftiger Kaffee lassen den Stadionbesucher und weltgewandten Feingeist frohlocken. Für alle die es nicht so heftig mögen, fetzt die Schweiz mächtig gewaltig!

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