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Prag Zizkov, Wurststand für den hungrigen Mann.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Fußballträume in Prag

Was gibt’s an einem lauen Wochenende schöneres, als Samstag fünf Uhr früh aufzustehen, ins Automobil zu hechten und die Autobahn Richtung Süden zu nehmen?

Leute, der Fußball im Freundesland ist Spaßgarant. Die Romantik eines Fußballvormittags, wenn der Nebel sich hebt und neben einer frischgemähten Wiese mit Toren drauf, schöne Frauen goldgelbe Biergläser zum Gruß schwenken. Ja, mir sind diese Bilder vertraut, ich bin unbeirrt auf Trab, hab einen Presseausweis und möchte meine Freude am Fußball an euch da draußen weitergeben. Letztlich sind wir alle kleine irre Bestien, die ihre Tage vor der Glotze oder in Stadien verbringen, immer gebannt vom Spiel und dem großen Drumherum, das manchmal so viel spannender als das Spiel selbst ist.

Das einzige, was Prag am Samstagabend wirklich interessierte: Wer gewinnt das 278. Derby zwischen Slavia und Sparta? Die beiden beliebten Clubs aus der tschechischen Hauptstadt belegen die Herzen der hungrigen Fußballfans, es ist die immer gleiche Frage nach der Clubzugehörigkeit, dem Quell der Freuden. Das Diesseits oder Jenseits vom Punkt X aus. Der imaginären Grenze, die das Fandasein bestimmt.

Da aber ein Spiel zu wenig ist, standen noch zwei Zweitligakicks auf der Liste. Die Autobahn nach Prag führt bei Dresden direkt durchs Elbsandsteingebirge. Großartiges Panorama, wenn links und rechts der Straße tollkühne Bergsteiger in den Seilen hängen und für einen 300 Meter hohen Gipfel Stunden brauchen, während ich schon nach drei Stunden Fahrt in Usti nad Labem das örtliche Stadion betrete.

Entspannte Biertrinker mit roten Wangen, eine uralte Holztribüne, nebst improvisierter Minitribüne mit Luke. Die direkte Verbindung zum Zapfhahn, der schon vormittags milde Gaben verspricht, wie sich ziemlich schnell herausstellt. Oh Tschechien, du Land des Bieres! Fünfhundert Menschen haben sich versammelt, um ihre Mannschaft 0:0 spielen zu sehen. Fast alle stehen um die alte Tribüne, bzw. sitzen auf ihr. Gegenüber erhebt sich eine neue Tribüne aus Plastik und Stahl. Obwohl auf die neue Tribüne die Herbstsonne scheint, stehen und sitzen die Zuschauer im Schatten. Wo sie schon immer ihren Platz haben. Und vor ihnen ihre Ahnen. Dorfbummsstimmung bei Bier, erlösenden Würsten und Totteho!

Ein satter Zirkus mit allem was dazugehört wartete in Prag. Dunkelheit, Nieselregen, Polizeihubschrauber, Polizisten auf Pferden und in martialischen schwarzen Uniformen gaben neben den beiden Fanlagern beim Derby einen Rahmen. Slavia mit Heimrecht im Stadion Eden. Was für ein fetziger Stadionname, wobei er sich anscheinend auf eine angrenzende Konsummeile bezieht. Trotzdem war`s fußballerisches Eden. Über tausend Spartafans erschienen als geschlossener Mob unter Geschrei, Böllern, Rauchbomben. Geschützt von einem Riesenaufgebot an Polizei, flankiert von geharnischten Polizeirittern zu Pferde, zogen sie vorbei an Slavia zum Gästeblock. Der Kick vor knapp 15.000 Zuschauern wurde mit einem Feuerwerk eröffnet, aus den Lautsprechern dröhnet I will survive, die Fans beider Konfessionen ließen es sich nicht nehmen, gleichermaßen ein Feuerwerk im Stadion zu entzünden. Mordsmäßige Stimmung von der ersten bis zur letzten Minute. Auf dem Rasen Sparta anfangs einen Kick besser, doch Slavia bestimmte mehr und mehr das spannende Spiel, das vom Niveau an einen guten Berliner Zweitligakick gemahnte. Auf den Rängen Erstliganiveau, Slavia überzeugte durch leidenschaftliche Choreographien. Immer wieder wurde auf riesigen Bannern der Geist von 1892, dem Gründungsjahr Slavias, beschworen

Unauslöschliche Schande für Sparta, dessen Gründung erst ein Jahr später erfolgte. Ein Faustpfand für die Ewigkeit. Selbst auf dem Kuchenbüffet im Presseraum mahnten kleine Törtchen mit der Jahreszahl 1892. Sparta antwortete mit Pyrotechnik, Schals wurden auf beiden Seiten verbrannt, die Feuerwehr löschte mit Wasserschläuchen ständig kleinere Brände in den Blöcken, Irrsinn pur, kurzzeitig glich das Stadion einer Räucherhöhle, ein Spartaflitzer querte den Platz, die Zuschauer tobten, keinen hielt es auf den Sitzen anlässlich dieser hitzigen Angelegenheit. Kuttenfans und Ultras standen zusammen und lärmten gemeinsam, ein schwarzer Spieler Spartas wurde von etlichen Slaviafans mit hässlichen Affenlauten begrüßt, einige Sparta – wie Slaviafans beleidigten einander als Juden, kakophonische Töne in einer ansonsten großartigen Derby-Symphonie. Mittendrin das junge fußballinteressierte Europa, auch viele deutsche Fußballfreunde frequentierten voll friedlicher Neugier das große Prager Derby. Slavia gewann durch ein Tor Mitte der zweiten Halbzeit, Slavias Gesänge klangen noch lange durch die Nacht.

Am Sonntag fand ein kleines Prager Derby statt, 10 Uhr 15 kickte Viktoria Zizkov aus dem gleichnamigen Prager Stadtteil gegen Bohemians Prag. Ein fauler Vormittag unter entspannten Kiezpatrioten aus dem schönen alten Zizkov. Das beschauliche Stadion liegt inmitten eines alten Gründerzeitviertels, die Polizisten sehen dort nicht aus wie Sternenkrieger, sie tragen ihre normalen Uniformen, sind freundlich, regeln ein bissel den Verkehr und erzählen mir in perfektem Deutsch, dass der Gegner, Bohemians Prag, das falsche Bohemians sei. Irgendwo in Prag würde noch das richtige Bohemians Prag existieren und ebenfalls in der 2.Liga spielen. Das böse und falsche Bohemians hätte sich vor Jahren den Namen Bohemians einfach geschnappt. Der Fall ging vor Gericht, ab Januar 2013 muss sich das falsche Bohemians einen anderen Namen suchen, vielleicht FC Stÿíÿkov Praha 9, so hießen sie bis 2005. Letztmalig kickte der Gast als Bohemians in grün und mit dem Bohemians-Känguru auf der Brust und hatte aus diesem Anlass gleich eine fünfköpfige Blaskapelle plus Trommler organisiert. Ein Wigwam steht in Zizkov, sie interpretierten das Spiel mit schrägen böhmischen Weisen und verballhornten Versionen altbekannter Fangesänge. Zu Spielende ein passender Trauermarsch, denn Viktoria gewann das Spiel mit 1:0.

Machs gut, falsches Bohemians. Deine Bläser mit ihren grünen Cowboyhüten werden mir auf ewig im Gedächtnis bleiben.

Vor, nach und während dem Spiel floss das tschechische Bier in Strömen, alle hatten sich lieb, mehrere Grillmeister reichten der knapp eintausend köpfigen Menge rote Riesenwürste, sehr grob und sehr fettig, namm namm! Ich schlürfte zum Abschluss ein Gambrinus und setzte mich mit roten Bäckchen ins Auto.

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