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Willmanns Kolumne: Hallo, ich bin Ziegelstein

Unseren Kolumnisten Frank Willmann verschlug es nach dem Union-Spiel gegen St. Pauli am vergangenen Sonnabend noch in den Görlitzer Park zum Fußball-Manager-Treff. Ohne Mitteschick, ohne Hipster, ohne Latte und Becks.

Das Herumstromern in den Unterklassen zum Wohle einer besseren Welt will gelernt sein. Denn selten zeigen deren krummbeinige Protagonisten Kunststückchen der Balltreterei. Ab und zu brauche ich deshalb eine anständige Dosis guten Fußball. Letzten Samstag stand im Stadion An der Alten Försterei das Spiel Union gegen St. Pauli auf dem Programm.

Der wahre Fan eines Kultvereins beansprucht den Titel Kultverein nur für seinen Klub. Er duldet keine Nebenkulte. Das liegt in der Natur des Kultes. Welche überlieferten Ereignisse freilich einen bestimmten Verein aus der Masse der anderen Vereine herausheben, weiß allein der liebe Fußballteufel. Dieser ist naturgemäß bestechlich und will auch nur geliebt werden. Die beinahe inflationäre Benutzung des Wortes Kultverein hat inzwischen aus Union und St. Pauli ehemalige Kultvereine gemacht. Trotzdem trifft das andauernde Neuerfinden der eigenen Besonderheit weiter auf beide Fanszenen zu. Union wie Paulifans sind tief überzeugt, den einzig authentischen Klub der Welt zu lieben. Sie lieben ihren Verein um genau 17,3 Prozent inniger als die Fans anderer Vereine ihre anderen Klubs lieben. Sie sind anders, anders, anders. Meine diesbezügliche Berechnung habe ich während des Spiels abgeschlossen, welches im Übrigen ein großes Fußballspiel gewesen ist. Wolkenungetüme boten eine Kulisse der Andacht. Bier und fette Wurst. St. Pauli schoss zwei schnelle Tore und hörte danach zu spielen auf. Klassisch. Die fieberhaften Chöre auf den Rängen wieherten, krähten, sangen sich die Seele aus dem Leib. Jede unsachgemäße Berührung des Gegners wurde zum Handspiel erklärt, jedes mutmaßliche  Foul mit einer Bierspritze getadelt. Die unsichtbaren Schwingungen der Union-Fans legten sich als zäher Hefekuchenteig um die Hamburger Glieder. Bier, Schweiß, Blut und Bratwurst. Die heiße Luft der Spiele. Natürlich siegte Union mit dieser Mischung nach langem Ringen mit 3:2. Kein Unioner wollte nach dem Abpfiff zurück an den heimatlichen Herd. Die folgende Kollektivparty der rot-weißen Gemeinde und ihrer Helden pumpte auch mir eine gehörige Menge Adrenalin in die Gelenke, und ich fragte mich etwas besorgt, wo denn die lustigen Stimmen in meinem Kopf herkamen.

Bunkerbrecher, Mörderabwehr und unberechenbare Sturmzombies

Der liebe Fußballteufel liebt euch, und wenn nicht, dann bin ich noch da. Natürlich konnte auch ich nach diesem Spiel nicht einfach so nach Hause waten. Zum Glück stand im Görlitzer Park das Treffen der Berliner Hattrickgesellschaft (HT) an. HT ist ein Fußball-Manager-Browserspiel, dem neben mir noch ungefähr eine halbe Million kleiner Uli Hoeneße verfallen sind. Als ich den Görlitzer Park betrat, wurde ich von einer Vielzahl netter Herren begrüßt. Sie hielten kleine Tütchen als Geschenk bereit und priesen in schrillen Stimmen manches Erzeugnis, das Mutter Natur hervorzubringen in der Lage ist. Der Park schien auf eine wohlige Art verkommen. Kein Mitteschick, keine Hipster, kein Latte und kein Becks. Es roch nach Armut, Emigrantenleid und jeden-Tag-in-den-Kampf-ziehen. Also genau der richtige Ort um in Hattricksprech über Bunkerbrecher, Mörderabwehr und unberechenbare Sturmzombies zu debattieren. Hat dein Rechtsaußen den großen Ballzauber? Heute wollte sich der Homo Hattrickus auf den Wiesen tummeln. Dieser einsame Mann, dessen Blicke sich tagaus tagein in den Tiefen seines Computerbildschirms verloren, der über dem Schicksal des ausgelöschten mongolischen Fußballs verzweifelte.

Frank Willmann im Görlitzer Park. Hinter ihm möglicherweise HT-Jünger.
Frank Willmann im Görlitzer Park. Hinter ihm möglicherweise HT-Jünger.

© Privat

HT ist Männersport. HT-spielende Frauen sind eine rare Spezies. Das war mir im Görli wichtigster Anhaltspunkt. Suche eine abseits stehende, unauffällige Gruppe Männer mit Brille. Die aussehen, als wäre die Sonne ihr schlimmster Feind. Deren Lieblingsplatz nicht auf den Traversen, sondern der Drehstuhl ist. Die Strategen der Nullen und Einsen. Ich wollte dabei sein. Tatsächlich chillten unweit des Fußballplatzes sechs Männer. Drei mit Brille. Dort könnte der Treffpunkt sein. Die Männer sahen aus wie echte Menschen. Vielleicht hatten sie sogar eine Freundin und studieren im vierzehnten Semester Philosophie. Augenscheinlich tranken sie Bier, wie meine Freundin feststellte. Sie sagte, ich solle nun endlich hingehen. Und sagen:

Manchmal ist es besser, ein Geheimnis für sich zu behalten

Hallo, ich bin Ziegelstein. Hallo, wir sind Grillhaxe, Renderbender, Raetscha, Hermundur, Wirzpilz und Februar. Dann würde ich meine Notizblock rausholen und rumschleimen. Die wir-sind-alle-Stars-Andy-Warhol-Nummer. Ihr seid doch mindestens Fünfte Liga. Ich bin leider in der Sechsten Liga. Wegen Bierbauch69. Der mich in den letzten drei Spielzeiten auf Rang drei verwiesen hat. Wir würden gemeinsam Bratfleisch essen. Und Tofu. Ich würde mein mitgebrachtes Bier dazustellen. Die Stunden würden schön sein.

Während ich mit meiner Freundin gen Ausgang schlenderte und eine Vielzahl neuer Freunde uns den Weg blumig zauberte, verschwand die amorphe Masse der sechs Männer langsam aus meinem Erinnerungsvermögen. Manchmal ist es besser, ein Geheimnis für sich zu behalten.

Der Fußballgipfel der Verzweiflung wurde am Sonntag vom  petricksanderlosen FC Carl Zeiss Jena in Magdeburg erstiegen. Höchststrafe MDR-Fernsehen. Bodo Blockbuster Boeck an der Schlaftablettenausgabe. Sieches Jena, 0:2.

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