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Gegen Dynamo Dresden blieb das Stadion der Rostocker in dieser Saison sogar komplett fanfrei. Nach den Ausschreitungen gegen St. Pauli hatte der DFB Hansa mit einem Geisterspiel bestraft.

© dpa

Willmanns Kolumne: Hansa Rostock und das Fanproblem

Die Fans des Fußball-Zweitligisten Hansa Rostock haben nicht unbedingt den besten Ruf. Doch erst mit Verspätung hat der Klub verstanden, wie wichtig die Arbeit mit den eigenen Anhängern ist.

Die Wirklichkeit von Hansa Rostock heißt mit Vornamen Stagnation und mit Nachnamen Abstiegskandidat. Trotzdem im letzten Spieljahr via Kraftakt die dritte Liga nach einjährigem Intermezzo wieder verlassen werden konnte, trudelt die Hansa-Kogge über den Rand unserer Fußballwelt, die unzweifelhaft eine Scheibe ist. Es gibt nur oben oder unten. Wer unten ist, dem bleiben die Schrecknisse des Mittelmaßes. Dort heißen die Trainer nicht König Otto. Sie haben keine weltbekannten Namen und verbringen häufig ihr Privatleben im Hotel, da ihre hoffnungslose Berufung nicht selten in Monaten abgerechnet wird.

Joachim Fischer, von allen Schuppe genannt, ist nicht der aktuelle Hansa-Trainer. Er ist der offizielle Fanbeauftragte. In Rostock wurde etwas verspätet begriffen, wie wichtig Fanarbeit ist. Stadt, Land und Verein betrachteten die Fans lange als notwendiges Übel. Erst als sich die negativen Schlagzeichen häuften, handelte man. Nun gibt es seit etwa eineinhalb Jahren mit dem Fanhaus einen Ort für alle Fans. Dort sitzen neben Schuppe drei weitere Fanarbeiter in einem gemütlichen Büro. Sie betreuen die zahlreichen Anhänger bei Heimspielen und auswärts. Besonders auswärts sind sie wichtige Ansprechpartner. Sie bringen langsam Struktur in die Fanarbeit. Schuppe arbeitet sich von Spieltag zu Spieltag voran. Um das Band zwischen Fans und Verein enger zu knüpfen, und den Alltag der Fangruppen so entspannt wie möglich zu gestalten. Schuppes Arbeitstag ist seit August 2011 angefüllt mit Terminen. Heute ein Treffen mit der Bundespolizei, morgen debattiert er mit der Deutschen Bahn über Sonderzüge, mittendrin kommen immer wieder Fans mit Problemen.

Außer Hansa gibt es nicht viel in Mecklenburg-Vorpommern. Hansa zieht die jugendlichen Massen an. Nicht zuletzt wegen der Suptras, der wichtigsten Ultrafraktion Hansas.

Freitagabend. Ingolstadt kommt an die Küste. Vier meerblaue Strahler, die Reste des alten Ostseestadions, tauchen die DKB-Arena in hellen Schein. Schuppe ist an jedem Spieltag voll Adrenalin. Dann tigert er im kleinen Büro des Fanhauses vom Schreibtisch zur Wand und wieder zurück. Ein fieser Nordwind lässt unsere Knochen klappern. Schuppe im Hansawindbreaker, Hansapudelmütze und Hansahandschuhen. Die Ingolstädter Ultras haben sich erst gar nicht an die Küste gewagt, obwohl ihr Klub auch gegen den Abstieg kämpft. Elf handgezählte Rote stehen im Auswärtsfanblock. Zwei davon sind sechzehnjährige Mädels, die schon fünfzehn Stunden unterwegs sind. Die wahren Heldinnen des Spiels.

Wir gehen zuerst auf die Südtribüne. Auf die ehemalige Südtribüne. Die einstmals stolze Bastion ist seit dem letzen Aufeinandertreffen mit dem Intimfeind aller Rostocker, dem  FC St. Pauli, aus Sicherheitsgründen geschlossen. Damals bepflasterte man sich gegenseitig mit Leuchtraketen. Um die Menschen zu schützen, beschloss Hansa die Sperrung. Nur die hinterste Ecke der Kurve wird noch von knapp 1000 stehenden Fans bevölkert. Wie überhaupt im Ostseestadion Stehplätze nur in den vier Ecken angeboten werden. Eine davon ist den Gästefans vorbehalten. Bereits beim Stadionbau hatten die damaligen Verantwortlichen keine Stehplatztribüne für die eigenen Fans vorgesehen. Ein Versäumnis. Die Südtribüne hatten sich die Fans nach und nach erobert. Vom Sitzplatz- zum Stehplatzbereich umfunktioniert. Doch sie befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Gästeblock. Seit dem Novemberspiel gibt es keine Südtribüne und keinen Support der alteingesessenen Suptras mehr. Die Suptras reagieren mit stummem Protest. Die Situation ist verfahren. Viele Fans mussten in die zwei anderen engen Kurven umziehen.

Hansa verliert, die Fans sind betrübt

Hansas Fanbeautragter Joachim Fischer, genannt Schuppe.
Hansas Fanbeautragter Joachim Fischer, genannt Schuppe.

© Frank Willmann

Suptras ist Fanlyrik. Ein Wortspiel aus Supporters und Ultras. Die Rostocker waren bis vor kurzem in der Ultraszene berühmt und berüchtigt für ihren kreativen und stimmgewaltigen Support. Schuppe hat hier viel zu bereden. Die Suptras empfinden sich als  Stolz Hansas.

Die Hauptbaustelle Schuppes ist die fehlende Tribüne, die allen Fans eine Heimat gibt. Schuppe arbeitet an einem Konzept für die Zukunft. Doch er muss Kompromisse machen. Der Verein hat klare Vorstellungen, die Polizei auch. Sie wollen ein sicheres Stadion. Die Suptras wollen ihre Tribüne. Zwischen all den Interessensgruppen steht Schuppe. Im Spagatschritt versucht er zu vermitteln, Alternativen aufzuzeigen, am Althergebrachten zu rütteln. Das schafft Kritiker bei allen Fraktionen. Gerüchte werden gestreut, gegen die Schuppe ankämpfen muss. Wir treffen an diesem Abend viele Leute, die Schuppe auf die Schulter klopfen, ihn umarmen und ihm "Weiter so!" zurufen. Sie sind der Treibstoff für Schuppes Tun. Das 1:0 für Hansa fällt. Der Jubel der trotzigen Ultras gerät dürftig. Wir gehen weiter, zu den Auswärtsfans. Nicht viel zu tun für Ordner und Polizei. Mehr Polizisten als Fans im Gästeblock. Die elf Aufrechten stehen ganz unten im Block und vermeiden Blickkontakte in Richtung Hansafans. Nach dem Spiel sorgt Schuppe dafür, dass sie zügig von Polizei und Ordnern zu Taxen gebracht werden. Die elf behalten Rostock in guter Erinnerung.

An der Haupttribüne stehen in langer Reihe die Rollies der Behindertengruppe. Es gibt Platz für 75 Rollies. Zu jedem Spiel kommen zwischen 20 und 60 Rollstuhlfahrer, für günstige fünf Euro Eintritt. Einer lässt sich den Kümmerling reichen. Schuppe hat für viele ein Wort, schüttelt Hände, klopft auf Schultern.

In die nächste Kurve kommen wir in der Halbzeit. Hier steht der Nachwuchs, aber auch viel buntes Volk. Inzwischen ist sie für die Stimmung im Stadion zuständig. Zwei Vorsänger machen Alarm, etwa die Hälfte des Blocks fällt mit ein und treibt die müde wirkende Hansakogge nach vorn. Das 1:1 fällt. Der dunkle Block der Suptras ist hier nicht zu hören.

Wir erreichen die dritte Fanecke. Hier stehen viele ältere Fans und Leute, die sich einfach nur einen günstigen Stehplatz leisten können. Organisierten Support gibt es nicht, manchmal stimmt einer spontan etwas an, wenn die Masse Lust hat, stimmt sie ein. Freilich ist ein beständiges Grummeln zu hören, was sich zu einem ernüchterten Miniorkan steigert, als Ingolstadt das 2:1 erzielt. Wieder wird Schuppe von allen Seiten angesprochen. Zwischendurch klingelt ein paar Mal das Telefon, Schuppe sprintet kurz los, um kleinere Zwistigkeiten zu klären und Problemzonen zu befrieden.

Hansa verliert an diesem Abend das wichtige Spiel gegen Ingolstadt. Betrübte Fans machen sich auf den Heimweg zu ihren Lieben oder auf in die Kneipe, um Trost zu finden. Schuppe ist noch immer im Einsatz und besucht eine junge Fangruppe. Enttäuschung auch dort, aber auch Vorfreude. Auf das nächste Auswärtsspiel in Braunschweig. Schuppe wird dabei sein. 

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