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Tiefenentspannte Bero-Fans am Spielfeldrand.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Das letzte Biotop des Fußballs in Mitte

Mitten in Berlin-Mitte, umringt von sauteuren Eigentumswohnungen hält sich tapfer ein kleiner Club, der SV Blau Weiss Berolina. Irgendwie hat er es geschafft, nicht an den Rand der Stadt verdrängt zu werden. Unser Kolumnist gerät ins Schwärmen, wenn er an Bero denkt.

Dieser Tage machen Fußballfreunde allerorten grauenhaftes durch. Wir Ball-affinen Feinschmecker irren ziellos durch die Straßen, erkennen im glücklichsten Fall Gleichgesinnte und geben uns dann melancholischen Disputen über die Schönheit des letzten Regionalligaspieltags hin. Nur ein Hauch von letztem Glück befriedet unsere Häupter, denn wir befinden uns in der Länderspielpause. In allen Ligen ruhet der Ball. Länderspielpause heißt das zweitschlimmste aller Schreckensworte. Es kommt gleich nach dem allerschlimmsten Peinwort, das da heißt Sommerpause. Ich kann es nur gehetzt und spitzlippig auspressen. Dieser traumatisierende Zustand, wenn wir uns Trost bei Schopenhauer und Nietzsche holen, in Ausstellungen gehen und mit unseren Lebenspartnern die Sprossen der Kultur erklimmen. Wir durstigen Primeln auf den Gipfeln der Verzweiflung…

Obgleich in Berlin am Wochenende auf einigen Plätzen der Fußball tobte. Die regionale Pokalrunde rief die Lebensgeister an. In Berlin wird der Berliner Landespokal von einer Bierbrauerei gestiftet. Über den Sinn dieses Sponsorings müssen die Opis des DFB in der Steinzeit des deutschen Fußballs während der Regentschaft Meyer-Vorfelders entschieden haben. Als Mann noch Mann und Bier noch Bier war. In den guten, alten Zeiten, die gern mal alles andere als gut waren.

Berlin- Mitte bestand zum Ende der DDR aus abgeschmackten Plattenbauidyllen und heruntergekommenen Altbauviertelresten. Der Sehnsuchtsort des durchschnittlichen DDR-Bürgers hieß Neubauwohnung und lag JWD, in Marzahn und Hohenschönhausen usw. Wer 1989 in Berlin-Mitte in einer Altbauwohnung lebte, hatte entweder einen miesen Job oder keine Beziehungen (das Zauberwort in der DDR-Mangelwirtschaft), schlimmstenfalls beides. Heute nicht vorstellbar, wo Mitte neben dem sogenannten Prenzelberg als Synonym für schönes Wohnen gilt.

Inmitten der einst halbverfallenen Auguststraße kicken seit Anfang der 50er die Fußballer des SV Blau Weiss Berolina Mitte gegen die Kirsche. Der Platz wurde im zweiten Weltkrieg „geschaffen“, als alliierte Bomberverbände das faschistische Berlin in Schutt und Asche legten. Allen Veränderungen des Bezirks zum Trotze hat der Club nach wie vor sein Domizil an der kleinen Hamburger Straße. Thomas Meyer heißt seit einigen Jahren der schlaue Präsident, der Berolina durch die Haifischbecken steuert. Selbst Anwalt, kennt er die Fallstricke, Futtertröge und seligen Inseln unserer Demokratie gut. Das bekommt dem Club in der Gegenwart nicht schlecht.

Vor zwanzig Jahren noch ein Arbeiterklub, hat sich die Faktenlage deutlich geändert. Berlin-Mitte ist ein Bezirk der Besserverdienenden geworden. Diesem Umstand trägt man auch bei Bero, wie der Club liebevoll genannt wird, Rechnung. Bero als letzter Biotop des Fußballs in Mitte, der Platz wird umringt von sauteuren Eigentumswohnungen und einem privaten Museum. Bauspekulanten lecken sich die Finger, wenn sie das herrliche Grundstück sehen, doch irgendwie hat es der Verein bewerkstelligt, nicht an den Rand Berlins abgeschoben zu werden. Nächsten Sommer wird ein neuer Kunstrasen verlegt, ein untrügliches Zeichen für Bestandsschutz. Unzählige Kinder aus der näheren Umgebung spielen hier Fußball, der Sport ist längst salonfähig. Trotzdem muss Berolina jedes Jahr aufs Neue die Platznutzung beim Bezirksamt beantragen.

In den unteren Ligen geht es nur um den Spaß am Spiel

Der Fußball in den unteren Ligen hat etwas Heldenhaftes. Obzwar auch hier gelegentlich verwirrte Kleinsponsoren das Treiben verrückt machen, geht es den rustikalen Kickern und ihrem Anhang nur um den Spaß am Spiel. Blau Weiss Berolina trat im Pokal gegen Hertha 06 aus Charlottenburg an. Bezirksliga gegen Landesliga, glaube ich. Nach Verlängerung und munterem Scheibenschießen gewann der Gast aus Charlottenburg mit 5:4. Nur einer der Zuschauer wusste, welche Runde aktuell ausgespielt wurde, es war ihnen einfach nicht so wichtig.

Die Sonne traf uns anfangs mit voller Wucht, aus der Ferne grüßte der Fernsehturm, etwa sechzig Zuschauer guckten zu. Eintritt 3 Euro, ermäßigt 2 Euro, die Einnahmen werden zwischen den beiden Clubs geteilt. Vorher wird aber das Geld für das Schiedsrichtergespann abgezogen. Es blieben den Clubs nach meiner Schätzung jeweils um die 30 Euro. Fette Beute sieht anders aus. Die Kicker zahlen wahrscheinlich sogar ihren monatlichen Beitrag aus eigener Tasche, umsonst ist neben dem Tod manchmal das Schuhwerk, wie ein alter Berofan zu verkünden weiß.

Die meisten Zuschauer sind entweder Spielerfrauen, Freunde oder ehemalige Spieler der beiden Clubs. Der Fußball ist Marke Hausmannskost und in seiner soliden Einfachheit weit entfernt vom aufgeblasenem Geschäft der Bundesliga. Es dominiert das Prinzip des nach vorn Bolzens und hinter dem Ball her Rennens. Einige Berospieler leben tatsächlich noch in Mitte. Die Bero-Fans dagegen gehören einer aussterbenden Rasse an, nur wenige leben noch in ihrem alten Bezirk. Sie haben gänzlich nichts mit dem Mitte der Hipster, der teuren Klamottenläden, schicken Bars und Galerien zu tun.

Umgekehrt schicken die neuen Mittefamilien durchaus ihre Kinder zu Bero. Neben dem Platz befindet sich die Vereinskneipe, liebevoll betrieben von Vereinswirt Ralle samt Assistent und Bruder Fränkie. Die beiden pflegeleichten und gutaussehenden Bezwinger der Zapfhähne widmen sich ihrem schweißtreibenden Job mit großer Ernsthaftigkeit.

Mädchenteams gibt’s bei Bero ebenso, Ben Beckers Tochter soll mal mitgespielt haben, oder wars die Tochter des Galeristen Harry Lübke, beziehungsweise der langmähnige Sohn des früher berühmten Wolfgang Schnur? Einerlei, es macht einfach Laune, über den gegenwärtig verlodderten Kunstrasenplatz zu flanieren, nachts die Füchse beim Liebesspiel in den Gebüschen zu überraschen und den satten Flüchen der Männer und Männlein beim Training zu lauschen.

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