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Stimmgewaltig: Jenas Sänger machen sich warm.

© Willmann

Willmanns Kolumne: Kotzen Koksen Kommunismus

Unser Kolumnist Frank Willmann räumt mit dem Mythos der Staatsamateure in der DDR auf und betrachtet die Lage in der aktuellen Zonenliga.

Man muss sich das mal vorstellen. Ich springe am Montag aus den Federn und dann DAS. Der Berliner AK führt vor der TSG Neustrelitz die Tabelle der Regionalliga Nordost an. Bitterer Schmerz durchbohrt mich und ich weine Tränen stumpfer Empörung.

Am Wochenende soll neben dem Spiel SV Babelsberg 03 gegen den FC Carl Zeiss Jena angeblich eine Bundestagswahl in Deutschland stattgefunden haben. Einige Babelsberger Fans hoben während des Kicks ein bemaltes Bettlaken in die Höhe. Darauf stand der Spruch: "Unsere Wahl: Kotzen Koksen Kommunismus." Wollten sie damit ihren Steckenpferden Ausdruck verleihen? Es wäre insgesamt für das Volk der Deutschen gewiss bedauerlich, wenn neben den Freizeitbeschäftigungen des Feuer Machens und des Kotzens auch die des Kommunismus auf der Tagesordnung stünden.

Ach ja, der gute alte Kommunismus. Sollte in der DDR ja mal Staatsreligion werden. Bis 1989 den Ossies das große Kotzen kam und sie sich für etwas wie Freiheit und D- Mark (Kohle oder Koks genannt) entschieden. Rein fußballtechnisch war es bis 1989 eine güldene Zeit für den FCC. Der einzig wahre Biermann, von 1975 bis 1989 sozialistischer Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena, hatte immer das große Füllhorn dabei. Um seinen und meinen geliebten Zeiss-Kickern ein Bad in frischen Aluchips (genannt auch Mark der DDR) zu ermöglichen.

Der Kapitalismus hat gesiegt. Wie wir alle wissen, ist das Baden im Geld 2013 perfektioniert worden. Doch der schändliche Bale-Transfer, oder die an Katar verkaufte Fußball-Weltmeisterschaft sollen heute nicht Thema sein. Im Thüringer Tulpe Verlag erschien 2012 ein sachkundiges Buch aus der Feder des Erfurter Historikers Michael Kummer. Er lüftet darin das Geheimnis der DDR-Trägerbetriebe - am Beispiel des FCC. Jeder große DDR-Fußballclub wurde von einem Kombinat oder einer staatlichen Einrichtung alimentiert. Offiziell brüstete sich die DDR, dass alle Fußballer auf immer und ewig Amateure seien. Um sich vom bösen Westen abzugrenzen, wo der unglückliche Bundesligaspieler nur eine Ware in der Hand von dunklen Geldmännern ist. Eine etwas tollpatschige Lüge, da jedem Fan durchaus klar war, dass die Kicker niemals in der DDR eine ölige Werkbank aus der Nähe sahen bzw. einen Truppenübungsplatz in Frankfurt Oder, wo der Armeeklub Vorwärts stattfand. Im Westen nannte man die Ostfußballer Staatsamateure. Es gab professionell geführte Clubs wie den FCC, die nicht umsonst über viele Jahre das fußballerische Geschehen bestimmten. Und es gab jämmerlich geführte, zänkische Clubs. Beispielsweise den FC Rot-Weiß Erfurt, die Thüringer Dauerniete. Die Vieselbacher, wie der Club zärtlich in Jena genannt wird. Die Vieselbacher standen das kurze DDR-Leben lang, bis auf einige Ausnahmen in den 50er Jahren, immer im Schatten der Jenaer Übermannschaft. Kummers Verdienst ist es, die Machenschaften (aus Erfurter Sicht), bzw. die hervorragenden Errungenschaften (aus Jenaer Sicht) Biermanns und seiner Mischpoke, ausführlich erforscht und zwischen zwei Buchdeckel gepresst zu haben. Handgelder, Haushälften und formschöne Automobile waren bei Vereinswechseln unbedingt förderlich und an der Tagesordnung. Jena schöpfte aus dem Vollen und legte immer eine Schippe mehr drauf. War schon ungerecht, ich weiß.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Magdeburg in der Zonenliga Zwickau 6:0 mit dem Popo schlägt, um dann von Neustrelitz gedemütigt zu werden.

Indes die Anzahl der Spielerwechsel sehr begrenzt gewesen ist und keineswegs mit munteren Wechselspielen im Westen vergleichbar. Im Allgemeinen blieben die Kicker ihren Vereinen treu, wenn auch eher zwangsweise. Über bezaubernde Ziffern schwiegen die betroffenen Spieler. Trotzdem kursierten im Fanvolk utopische Zahlworte. In den achtziger Jahren sind bei Spielerwechseln Summen um die 50.000 DDR- Mark geflossen. Dafür musste ein Arbeiter drei Jahre den Buckel krumm machen. Kummer als gelernter RWE-Fan, litt unter den fußballerischen Verhältnissen und hat in seiner aktengemäßen Darstellung die wahre Wirklichkeit für die Ewigkeit festgehalten. Jena hui, Erfurt pfui. Er bestätigt, was alle auch schon vorher wussten. Dazu genügt ein Blick auf die ewige Tabelle des DDR-Fußballs. Jena auf Platz eins, Erfurt auf Platz sieben. In Jena wurde segensreicher gewirkt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Natürlich waren beide Vereine bis in die letzte Ritze staatskonform. Widerständler gab es bei keinem der Clubs, alle waren brave Rädchen im Getriebe. Sie wollten ja auch nur spielen.

Heute lungert Jena Auf der Straße der Verdammten. Im zweiten Jahr heißt der Nasenstüber für all unsere Sünden Regionalliga. Am Sonntag zeigten sich die Babelszwerge barmherzig und überließen den lieben Jenenser Brüdern die Punkte. Nach sieben Spieltagen steht Jena auf Platz sechs. Fünf Punkte hinter dem Spitzenreiter Berliner AK. Beheimatet im Poststadion zu Berlin. Meist vor wenigen hundert Heimzuschauern gegen den Ball tretend. Sportlich ist der Club sehr gut aufgestellt. Man kann auch ohne Fans Tore schießen. Klappt aber nicht überall. Wie ein weiterer Fanfreier Berliner Club in der Regionalliga beweist.  FC Viktoria Berlin. Als glitzernde, neue dritte Berliner Kraft gestartet, rollt die Murmel vor wenigen hundert Südberlinern irgendwo hinter der Trabrennbahn Mariendorf über den Rasen. Mit wem ist ansonsten in der Zonenliga zu rechnen? Der 1. FC Magdeburg zeigt sich divenhaft wie immer. Erst Zwickau 6:0 den Popo versohlen. Dann von  Neustrelitz 1:2 zu Hause gedemütigt werden. Der FCM scheint sich bis zum Lebensende in der Regio einrichten zu wollen. Von Torgelow bis Meuselwitz, von der Bode bis an die Panke, der zweite Sieger FCM. Und Neustrelitz? Bitte nicht! Klingt fast so schlimm wie Zipsendorfer Fußballclub Meuselwitz e.V… Der SV Meppen des Ostens. Ende Oktober kommt es zum ersten Duell zwischen dem BAK und Jena in Berlin. Vor zwei Wochen jagte Jena Herrn Sander wegen Erfolglosigkeit aus dem Paradies. Seither hat Herr Zimmermann zwei Spiele gewonnen. Ich glaub, ich find den Trainerwechsel toll.

Nach dem Spiel schlugen einige zugereiste St.Pauli Fans die Jammer-Laute. Piep, piep, piep. Wer´s noch nicht weiß, St. Pauli und der SV Babelsberg haben sich lieb. Beim Barte Biermanns, mir blieb ihr verworrenes Begehr rätselhaft. Sie wurden von einem mächtigen Nazis raus! aus dem Jenenser Block übertönt. Dem sich voll Leidenschaft eilends der Babelsberger Ultrablock anschloss. Als schöner Ausklang.

Buchtipp: Die ungleichen Bedingungen des FC Rot-Weiß Erfurt und des FC Carl Zeiss Jena in der DDR, Tulpe Verlag, Eisenach 2012, 329 Seiten, 18 Euro

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