zum Hauptinhalt
Der Jugend ein Vorbild. Auch Bundestrainer Jogi Löw engagiert sich beim Halbwuchs.

© dpa

Willmanns Kolumne: Schlüpferstürmer und Bommerlunder

Seit sieben Jahren versucht unser Kolumnist Frank Willmann zu verhindern, dass seinem Sohn Artur der Spaß am Fußballspielen verloren geht. Die Umstände sind widrig. Das liegt vor allem an den unfähigen Trainern.

Zu Beginn hatte er gleich drei Trainer. Keiner von ihnen verfügte über so antiquierte Dinge wie einen Trainerschein.  Zwei davon waren Väter kickender Kinder. Der eine schien ein sanfter Levantiner zu sein. Er hatte nur Augen für seinen Sohn. Er schnürte ihm die Fußballschuhe vorm Training und kleidete ihn nach dem Training um. Er hatte Essen und Trinken in ausreichender Menge dabei. Wenn der Sohn beim Training einen Fehler machte, schaute ihn sein Vater fest an und schüttelte den Kopf. Dann begann der Sohn zu weinen. Wow, dachte ich. Es gelang dem Vater, seinen Sohn zum Weinen zu bringen, ohne ihm körperliche Gewalt anzutun. Er trainierte seinen Sohn auch außerhalb der Trainingszeiten, er sprach mit ihm im Auto über das Training und orientierte sich bei der Nahrungsaufnahme seines Sohnes an den Essensplänen der Bundesliga.

Der zweite Trainer der 4. E-Jugend kam direkt vom  Kasernenhof. Er verwarnte seinen Sohn gern mit der Faust. Vor versammelter Kinderschar knöpfte er sich ihn zuerst vor. Wenn die Jungs gegen andere Siebenjährige eine vermeidbare Niederlage erlitten hatten. Sein Sohn schaute ihn dann hasserfüllt und stumm von unten an. Der Vater war beschwingt vom missionarischen Eifer, er hatte das große Talent seines Sohnes erkannt! Der dritte, der eigentliche Trainer, war ein spacker Sportstudent mit Hang zum zu spät kommen. Er verstand einiges vom Fußball, doch seine Unzuverlässigkeit stempelte ihn in den Augen seiner Co-Trainer zu einer Trainerform, den ihre künftigen Bundesligastars schnell überwinden mussten.

Anfangs fühlten sich die restlichen Väter vom Engagement der beiden motoviert, bald aber ging ihnen das überdrehte Getue der zwei einfach nur auf die Nerven. Bereits in der Winterpause trugen sich die beiden Väter mit Abwanderunsgedanken. Sie meinten, unser Kiezverein würde ihren Kindern die richtige Förderung versagen. Beim Training ginge es freudlos zu. Zack Zack, Kondition und Disziplin. Die Mannschaft gewann fast alle Spiele. Die Hälfte der Eltern meldete daraufhin ihre Kinder ab, da ihnen der Spaß am Spiel zu kurz kam. Die nächste Saison regelte Maciej den Trainingsverkehr, ein ruhiger, netter Pole, der sogar über einen Trainerschein verfügte. Plötzlich konnten die Kinder wieder über den Platz toben, Maciej ließ sie herumwuseln. Die wild johlende Brut hatte anfangs viel Spaß. Leider verlor sie fast jedes Spiel, da ihr Trainer sich nicht an schnöden Resultaten orientierte. „Kinder solle Spaß“, sagte er und stieß mit diesen pädagogisch wertvollen Aktionen bei einem großen Teil der Elternschaft auf Missverständnis. Nach zu wenig Spaß nun zu viel Spaß.

In der nächsten Sommerpause war abermals die halbe Mannschaft verschwunden. Ebenfalls verschwunden war der bei den Jungs beliebte Trainer Maciej. Seine Aufenthaltsgenehmigung war abgelaufen, er musste zurück nach Polen. Nun versuchten sich zwei engagierte Väter. Binnen kurzer Zeit hatten ihre Söhne die Freude am Fußball verloren und sie kehrten unserem Verein widerstandslos den Rücken. Mein Sohn Artur spielte nun drei Jahre aktiv Fußball. Er hatte bereits sechs Trainer abgenutzt. Ca. fünfzig Kinder kamen und gingen. Artur war mit zehn bereits alteingesessen. Nur drei Jungs kickten länger als er. Ein schüchterner Milchbubi erklomm den Trainerthron. Um die zwanzig Jahre alt, wohnte bei seiner lieben Mutti um die Ecke. Erschien aber regelmäßig kurz vor der Schließzeit im Vereinsheim, um mit einigen alten Hasen der Jugendtrainerzunft im Kampf mit Bommerlunder, Schlüpferstürmer und kleinem Feigling zu brillieren. Die Mannschaft war wiederum neu zusammengewürfelt. Der Trainer konnte prima mit dem Kopf schütteln. Auch Grinsen konnte er gut. Und in die Luft starren. Obwohl er neumodische Methoden wie einen Sprinttrainer einführte, wurde er wegen kompletter Unfähigkeit und andauerndem Abwanderungswillen noch in der Winterpause entsorgt. Er und einige andere Kämpfer der KFF (kleine Feigling Front) wollten im neuen Jahr zum Lokalrivalen rüber machen. Zersetzung! Der Verein musste handeln. Wie man hört, soll es einer der Rebellen beim neuen Verein zum Fahrer des Vereinsbusses geschafft haben. Der Kopfschüttler soll zweiter Torwarttrainer bei den ganz Kleinen sein.

Als nächstes übernahm der Präsi die Mannschaft und erreichte den Nichtabstieg. Für genau drei Monate stimmte alles. Er übergab eine funktionierende Mannschaft an einen Kerl Marke Guter Onkel. Als erstes schaffte er den Sprinttrainer wieder ab. Sprints waren so anstrengend, das mochten die Jungs nicht. Der Kerl Marke Guter Onkel. Ganz gemütlich. Immer ein Ohr für die Jungs. Besonders für deren ganz private, intime Angelegenheiten. Als die Sache platzte, war es für die Jungs ein schwerer Schock. Er hatte das Vertrauen der Kinder verbal missbraucht, sich an ihrer knospenden Jungendblüte vergangen. Nun verließen auch die letzten Urgesteine die Mannschaft. Mein Sohn kam mit Glück in der höheren Altersklasse bei zwei verständnisvollen Trainern unter. So etwas gibt’s tatsächlich. Er spielt immer noch bei seinem Stammverein.

Ich bin neidisch auf meinen Sohn. Während meine Karriere als Fußballer sich im Spätwinter befindet, stehen ihm alle Tore zur Welt offen. Er darf jeden Sonntag um sieben Uhr früh aufstehen. Um dann in irgendwelche Berliner Vororte zu fahren, wo der liebe Gott Blumen auf die Grasteppiche genäht hat. Er kann in lauschigen Umkleidekabinen die Melancholie der Jahrhunderte an sich vorbei ziehen lassen. Bisweilen darf ich mitfahren. Dann sitzen wir gern stumm im Auto und passieren die Partymäuse, Putzfrauen und notorischen Frühaufsteher Berlins. Das Radio bleibt stumm. Nanu, da ist ja schon der Lietzensee! Es gibt keine größere Folter als zwei gut gelaunte Radiomoderatoren, die uns vorgaukeln, es wäre etwas heroisches, Sonntag früh Botschaften der Pein über den Äther zu husten. Uns ist am Morgen die Luft zu dick, der Kamm zu haarig, der Drops zu ungelutscht. Manchmal auch in umgekehrter Reihenfolge.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false