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Die Seekuh sieht nicht sehr sportlich aus, aber der Eindruck täuscht.

© dpa

Willmanns Kolumne: Seekühe, die Fußball spielen

Der BFC Dynamo rennt dem Glück seit der Wende 1989 stetig hinterher, weiß unser Kolumnist Frank Willmann. So manches Mal war der BFC nah dran, aber nie wirklich dabei. Doch in dieser Saison könnte sich das Blatt tatsächlich wenden.

He ihr da draußen! Habt ihr euch auch am Wochenende den ersten Schnupfen der Saison geholt? Oder sollte ich besser verdient schreiben? In höheren Ligen ist es nahezu unmöglich geworden, ein zugiges Stadion zu finden. In Berlin ist uns glücklicherweise eine große Anzahl an morschen Arenen inklusive darin aufspielender ehemaliger Großmannschaften zu Eigen. Und so war es mir ein leichtes, ohne größere Anstrengung einen Ort zu finden, der fortgesetztes Siechtum verhieß.

Obgleich vorher mich die Vaterpflichten in den Tierpark riefen. Traditionell mache ich da nur den Seekühen schöne Augen. Ihre Eleganz beim Kohlball ist makellos und tiertechnisch unübertroffen. Befindet sich das Objekt ihrer Lust einmal im Schwimmbecken, kennt die halbfaule Spielfreude der meist im Wasser treibenden Zylinder keine Pause. Unendlich bedächtig, aber allezeit präzise, bugsieren die Tiere den Kohlball durch ihr Areal. Dann wird nach rechts und links gestaunt, was der ehrenwerte Gegner wohl treibt. Erblickt die Seekuh mich und meinesgleichen, gibt’s eine ausufernde Pirouette als Zugabe. Das geht stundenlang so, Querpass hier, Tändelei dort, kurzes Nickerchen und weiter über viele, viele Stationen, bevor nach umfassendem Vorspiel der Kohlball gnadenlos weggemampft wird. Mit einem Mal ist alles vorbei und wir werden als Publikum allein gelassen. Kommt euch das bekannt vor?

Hohenschönhausen im November. Im Monat November spielt der Deutsche traditionell gern Revolution. Auch die Tierwelt ist nicht selten in Aufruhr. Diesmal bestrafte sie mich für meine Sünden durch ein Felltier. Es hatte sich wohnlich eingerichtet in der Lüftung meines schnieken Dacia. Auf dem Hohenschönhausener Stadionparkplatz zeigte das Tier Schwanz und Mähne, als ich übereifrig versuchte, das Laub aus dem Motorbereich zu nesteln. Es quiekte fies und schnappte mit seinen gelben Zähnen nach mir. Ich war auf diese Begegnung mit der Tierwelt nicht vorbereitet, ja noch positiv erregt. Positiv erregt nach einem Spiel des BFC Dynamo ist der gewöhnliche Zuschauer seit dreiundzwanzig Jahren eher selten. Zu finster sind die Erinnerungen an verpasste Gelegenheiten und zerplatzte Seifen- und anderweitige Blasen.

Der BFC-Fan bekommt den Mund vor Staunen nicht mehr zu

Bevor mich die städtische Tierwelt angriff, hatte ich doch tatsächlich einem 3:0-Erfolg des BFC Dynamo gegen Hansa Rostocks 2. Mannschaft beiwohnen können. Und das im Seekuhtempel des BFC! Wo es vorwiegend unlässig zugeht, die heimische Mannschaft versagt, es Plaste und Elaste regnet und Männer mit sehr hoher Stirn Ausgang haben.

Die Oberliga Nordost-Nord ist der langjährige Aufenthaltsort des BFC. Dort trifft er auf hoch motivierte Mannschaften, die in den verlorenen Regionen des Ostens ein armseliges fußballerisches Dasein bestreiten. Wenig bis keine Spielkultur reichte bisher meist gegen den heutigen BFC, der jedes Jahr mit einer runderneuerten Mannschaft den Zug nach Irgendwo verbummelte. Doch diese Saison stehen die Zeichen etwas günstiger. Ich sage absichtlich etwas. Ein langjähriger Beobachter der Ereignisse, ich nenne ihn Altfan T., zwinkerte kurz vor Schluss teilnahmslos mit den Augen und fürchtete nach der 3:0-Führung noch immer die WENDE. 1989 durchlief der BFC im Schnelldurchgang die Metamorphose vom Zuchtbullen zur sweet, soft and lazy vor sich hinlümmelnden und mümmelnden Seekuh. Immer ein Stückchen hinter dem Glück, nah dran, aber nicht dabei. Die Schwarzmaler sind in der Fankurve die Mehrheit, zu tief blutet die Wunde seit dreiundzwanzig Jahren.

Aktuell ziert der BFC als Viertplatzierter die Tabelle. Hinter den in Brandenburg sehr bekannten Teams aus Fürstenwalde, Luckenwalde und von Viktoria 89 Berlin. Da ist sie wieder, die magische 89. Doch die Fieberkurve zeigt nach oben. Natürlich wurde am ersten Spieltag gegen einen Aufsteiger verloren, seitdem versaute das Team um den knorken Trainerfuchs Volkan Uluc kein Spiel mehr, holte mindestens ein Unentschieden. Gegen Hansa stieß der BFC den Ball mit Wut im Wanst, kickte beinahe überragend. Aufgescheucht vom Ex-Unioner "Brunne" Brunnemann, der wechselbälgisch unter seinem weinroten BFC-Trikot ein langärmeliges, kleines rotes trug, spielte die Mannschaft mutig nach vorn. Ex-Unioner "Patsche" Patschinski macht ein feines Hebertörchen.

Colahool T. schwappte die Cola über und er bekam vor Staunen den Mund nicht zu, während sich ein weiterer Fan endlich mal nicht über das saumäßige Spiel, sondern über die schlimmen Farben der Fußballschuhe seines Kapitäns, des Ex-Unioners "Brunne", aufregen konnte. In diesem Moment ging auf der Gegengerade ein Böller in die Luft. Die Gruppe der BFC-Ultras, in deren unmittelbarer Nähe der Böller hochging, fand nach dem Spiel geordnete Worte und kritisierte diese entbehrliche Aktivität. Achthundertsechzig BFC-Fans zogen beim Heimweg keinen Flunsch, einigen hing tatsächlich etwas wie ein Lächeln in den Augenwinkeln. Nicht, das dieser Anflug von etwas Schönem noch bösen Druckschmerz reifen lässt und die Augengürtelrose in Hohenschönhausen ausbricht!

Die künftigen Gegner des BFC sind allesamt im unteren Bereich der Tabelle angesiedelt. Wenn Uluc weiterhin tief in den Zauberkessel greift und seinen Männern um "Brunne" und "Patsche" Flügelchen anpasst, kann adagio vom Licht am Ende des Tunnels gedichtet werden.

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