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„Kruzliinge“ - Die Fans in der Kreuzlinger Whiskey-Kurve

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Zwetschgen-Lutz und die Whiskeykurve

Unser Kolumnist Frank Willmann war auf Fußball-Forschungsreise am Bodensee. Beim Schweizer Klub FC Kreuzlingen fand er Currywurst aus der Tüte, Alt-Profis auf dem Weg zur Schlachtbank und Viertliga-Helden, die nach Schnaps benannt sind. Eine Entdeckungstour.

Meine Lieblingsbeschäftigung ist die Fußballfeldforschung. So konnte es nicht ausbleiben, dass ich mich eines schönen Tages in die Schweiz aufmachte. In Berlin ruht wetterbedingt seit Monaten der Ball, in der Schweiz sollen der Sage nach in Bodenseenähe Ballspielende Buben gesichtet worden sein.

Schweizer wie Berliner werden vom gleichen Nachtmahr geplagt. Es ist der Schwabe, der in seiner vielfältigen Gestalt nicht nur die Hirne okkupiert. Ich kam auf meiner kleinen Reise mit drei verschiedenen Dialekten des Schweizerdeutsch in Berührung. In Kreuzlingen am Bodensee, klang die Schweizer Bezeichnung für uns Deutsche nach „Schwaab“. In St. Gallen hörten meine Ohren ein „Schwoobe“. In Bern wandelte sich der Begriff in „Schwoabeoi“. Oder so ähnlich. Gemeint ist sozusagen immer das Gleiche: der dicke Bruder aus dem Norden, der über die Jahrhunderte das Schweizer Paradies berückt. Deutschland = Schwaben. Wir Deutschen erfreuen uns im Ausland nicht überall außergewöhnlicher Beliebtheit.

Kreuzlingen und Konstanz sind heute für die jüngere Generation praktisch eine Stadt. Das ließ sich auch beim Fußball beobachten, etwa zehn Prozent der 150 Zuschauer des FC Kreuzlingen sind deutsch. Kreuzlingen kickt in der vierten Schweizer Liga, Konstanz ist fußballerisch bedeutungslos. Obwohl dort, im Gegensatz zu Kreuzlingen, ein massiges Stadion steht. Warum weiß keiner. Gehört sich wahrscheinlich für die ortsansässigen Schwaben so.  

Forellen, Wölfe und Schützengrabenbier

Der Bodensee wird bestrahlt von der Sonne. Lange, bereifte Gräser lugen aus dem See und grüßen den Reisenden. Ich halte aus Neugierde an und betrachtete den sehr sauberen See. Ich sehe unter mir in zwei Meter Tiefe den Forellen beim Liebesspiel zu. Der schluchzende Nordwind, der mich aus der fernen Ostzone bis in die Schweiz begleitet hat, bringt bissige, feuchte Kälte. Nebel steigt. Ich denke kurz an ungute Wölfe, erinnere mich aber schnell daran, wie man in den Alpenrepubliken Problemtiere kuriert.

Der Schweizer trinkt zum Fußball gern Schützengrabenbier (oder so ähnlich) und verwöhnt sich mit Currywurst. Die Wurst steckt in einer Tüte. Wenn man beispielsweise in St. Gallen Senf auf die Wurst packt, schütteln die Leute die Köpfe. In Kreuzlingen und Bern wiederum, schütteln die Leute die Köpfe, wenn man keinen Senf auf die Wurst macht.

Spielentscheide Pöbeleien zum Penaltyschießen

Rotwein, Bier und Fußball.
Rotwein, Bier und Fußball.

© Frank Willmann

Die Schweiz hat noch eigenes Geld. Ist vielleicht besser so. Zehn Franken Eintritt kostet das Pokalspiel der beiden Vierligisten. Wer gewinnt, kann im nächsten Jahr einen der Schweizer Topklubs zugelost bekommen. Ich stelle mich zu den Herren und Damen der Whiskykurve. DIE Kreuzlinger Fans. Heute sind es etwa zwanzig. Ich brülle mit ihnen „Kruzliinge“. Jemand neben mir sagt, die Städte bestehen aus Krebszellen. Für das Bier berappt man vier Franken, der Schiedsrichter ist ne echte Pfeife, war uns schon vorm Spiel klar. In der Kurve wird neben Bier auch Bio-Rotwein und biologischer Prosecco getrunken. Jedenfalls beweist das ein frohsinniger Schweizer mit gut gefülltem Weinglas.

Ecke heißt Corner und der Rotweinschweizer meint kurz nach Anpfiff, das Spiel würde heute eh im Penaltyschießen entschieden werden. Die Schweiz ist fußballerisch von England kolonialisiert worden. Die Whiskykurve hat zwei Fanzines, eins heißt Hafenschlampe und wird von einem Archäologen heraus gegeben. Feinster Lesestoff. Neben mir ein exilierter Rathenower, leider war DER ESTE nicht da, der gern mal die ganze Kurve mit nur sehr wenig müffelndem estnischem Trockenfisch abfüllt.

Bei Kreuzlingen kickt mit Konde ein ehemaliger Bundesligaprofi. Meist trabte er gelassen übers Feld. Die Schweiz scheint für viele Altprofis kurz vor der Schlachtbank eine nette Adresse zu sein. Wie überall auf der Welt, ist unter den Zuschauern ein Ostler. Der Rathenower meint, womöglich würden die Deutschen wegen der dicken Autos und des ewigen Kopfnickens „Schwaab“ genannt.  Das mit dem Kopfnicken habe ich nicht verstanden, mag am Schützengrabenbier (oder so ähnlich) gelegen haben.

Die Hoffnung heißt Zwetschgen-Lutz

Ein Herr Bela Volentik begründete 1935 seine Trainerkarriere in Kreuzlingen, die ihn über diverse europäische Großvereine wie Sporting Lissabon, irgendwann zum BFC Dynamo nach Ostberlin führte. Um 1967 betreute er die Dynamokicker. Dieser Umstand ist die Ursache der  letztjährigen Forschungsreise einiger Kreuzlinger ins Berliner Schwabenparadies Hohenschönhausen.

Kurz vor Spielende fällt endlich das erste Tor. Leider für den Gegner. Nun wechselt der Kreuzlinger Trainer Zwetschgen-Lutz ein. Der schiebt ein feines Bäuchlein vor sich her und ist mir auf Anhieb sympathisch. Mein vom Schützengrabenbier (oder so ähnlich) verfeinerter Schnabel tiriliert gemeinsam mit der Whiskykurve in den höchsten Tönen.

Der Schiedsrichter hat ein Einsehen und lässt etliche Minuten nachspielen. Wer sollte es anders sein als Zwetschgen-Lutz (vielleicht habe ich, was den Namen betrifft, etwas falsch verstanden), der mit einem feinem Solo auf der linken Seite Kreuzlingen glücklich macht. 1:1 in der 96. Minute, es geht in die Verlängerung. Nach jeweils zwei weiteren Toren muss das Elfmeterschießen, bzw. das Schützengrabenbier (oder so ähnlich) entscheiden. Ich trabe mit vielen neuen Freunden hinter das Tor.

Wir haben dort nicht spielentscheidend gepöbelt. Glaube ich. Den Schiedsrichter juckt's nicht, den gegnerischen Torwart schon. Kreuzlingen gewinnt selbstverständlich das Elfmeterschießen. Im Vereinsheim lerne ich nun ein weiteres Nationalgetränk der Schweizer kennen. Es besteht aus einem kräftigen Teil Zwetschgenschnaps. Hinzu kommt ein wenig warmes Wasser, ein Schuss Kaffee und etwas Zucker. Es hört merkwürdigerweise ebenfalls auf den Namen Zwetschgen-Lutz.

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