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Endlich wieder Jubel in Jena. Aber die Probleme bleiben.

© dpa

Willmanns Kolumne: Volkan Uluc gibt Carl Zeiss Jena ein wenig Würde zurück

Es war ein epochaler Sieg für Carl Zeiss Jena im DFB-Pokal gegen den HSV. Die zweite Runde wird für die Thüringer aber ungleich schwerer - und das hat auch mit mordlustigen Kaninchenbanden zu tun.

Unsere Welt bewegt sich weiter auf der nach oben offenen Verblödungsskala. Putin lässt dekadente = „westliche“ Lebensmittel vernichten. Donald Trump appelliert an die niedrigen Instinkte seiner amerikanischen Mitbürger. Wir leben in einer Dekade der größenwahnsinnigen Schreihälse und hirnlosen Muskelzeiger. Höchstwahrscheinlich verbindet Putin und Trump eine vollendete Männerfreundschaft. Es ist zum Wegrennen. Und in welche Richtung rennt der eloquente Feingeist, wenn ihm mal wieder die menschliche Spezies zu erdrücken droht? Wo holt er sich die nötige Kraft, um aller Kümmernis die Stirn zu zeigen?

Richtig! Am Wochenende examinierte ich den archaischen Kampf der Welten. Groß gegen klein. Dr. Merkel gegen Dr. No. Jena gegen den HSV. Noch immer berücken mich gigantische Wonneschauer beim Gedanken an das Spiel des FC Carl Zeiss Jena gegen den Hamburger SV. 3:2 nach Verlängerung. Ein Nachwuchsspieler kappte alle Hamburger Träume. Epochaler Sieg, trotz einiger putziger Schiedsrichterentscheidungen gegen Jena.

Gut gegrillt beobachteten neben mir viele tausend ThüringerInnen Volkan Ulucs bis ins kleinste Detail geplanten Wunderfußball. Denn niemand anderes als unser türkischstämmiger FCC-Trainer war für die entzückende Verwandlung der Jenaer Mannschaft zuständig. Noch vor wenigen Tagen mühten sich die gleichen Jenaer Spieler anlässlich eines 0:0 gegen Schönberg in der Regionalliga. Alles nur Fassade! List und Halluzination. Inszeniert vom schlauen Fuchs Volkan Uluc.

Er tünchte die Hamburger Augen mit Karbid und Sauerampfer. Er schleuderte betäubend Düfte in die Nüstern der schwerreichen Elbchaussee-Kicker. Er nähte ihnen in der Nacht den Bleistrumpf an. Er pumpte die Waden dick und ließ an der richtigen Hamburger Stelle viel Luft ab. Diese Luft zwirbelte er mit einem Wimpernschlag in die hungrigen Herzen seiner Spieler. Er machte sie groß. Er machte sie riesengroß. Er schuf einen unüberwindbaren Jenaer Wall. Bis hierher HSV, und nicht weiter! Jena wurde das Hamburger Canossa. Dabei legte der HSV eine ungewohnt passable Vorbereitung hin.

In Jena gibt es einen endlosen Streit um das Stadion

Seit einigen Jahren sind die Hamburger ja damit beschäftigt, auf den billigen Plätzen der Bundesliga für Pseudolärm zu sorgen. Fußballerisch auf kleinem Flämmchen agierend, bringt der HSV stets den Restverstand seiner letzten Getreuen mittels grausiger Ballstümperei zum Überkochen. In dieser Saison sollte alles anders werden. Nicht mehr abonniert auf Platz sechzehn, meinte man in der Stadt des Pfeffersacks zu sein. Dementsprechend selbstherrlich betraten die Herren Hamburger das Ernst-Abbe-Sportfeld zu Jena. Dieses, ich muss es leider verkünden, befindet sich in einem bedauernswerten Zustand.

Die reiche Stadt Jena, die sich selbst Lichtstadt nennt, sieht sich seit vielen Monden außerstande, ihrem einst mächtigen FC Carl Zeiss Jena eine Heimstatt, ein Stadion zu fabrizieren. Teile des Stadions sind für immer an mordlustige Kaninchenbanden verloren. Die Flutlichtmasten modern im Saalegrund. Und was tun die Herrscher der Stadt? Es mault mal der Bürgermeister Pittiplatsch der Liebe, dann wieder die Opposition um Schnattchen, Borstel, Onkel Uhu in diese und jene Richtung. Hauptsache, jeder mault in eine andere. Zwischendurch ist man sich fast einig, um plötzlich alles bisher Besprochene wieder zu vergessen und von vorn anzufangen. Weil auch Mauz und Hoppel unglaublich viel zu sagen haben. Und natürlich stets an die strenge Einhaltung von Sommer- und Winterpause zu denken ist. So wie Herr Fuchs und Frau Elster, Buddelfink, Frau Igel und Meister Schwarzrock als Volksversteher und Volksverdreher eine eigene Meinung haben. Die sich je nach Tageszeit, Wetter und Verpflegungssatz ändern kann. Geneigte Berliner Leser, wer, wenn nicht du, versteht deine Thüringer Brüderlein und Schwesterlein? Der du geplagt wirst von Kapriolen deiner preußischen Nassauer.

Doch zurück zum schönen Spiel! Lokalen Nichtigkeiten zum Trotz, jubelte blaugelbweiß im Kochtopf zu Jena. Volkan Uluc fand hernach warme Worte für seine überragenden Spieler. Auch die um Präsident Lutz Lindemann neuerdings geschickt agierende Vereinsführung der Jenenser nutzte die Gunst der Stunde, um den verschlafenen Hasenfüßen im Rathaus die ölige Möhre streitbar zu machen. Ja, Jena ist in Runde zwei des DFB-Pokal. Das bedeutet ein weiteres Heimspiel zu später Stunde im Monat Oktober. Herbstsonaten erklingen und gestandene Klubs schalten ihre Flutlichtanlage ein. Nur nicht in Jena. Oder regt sich doch etwas am Ende des Tunnels?

Wann sind eigentlich Kommunalwahlen? Es ist artig was los im Paradies, nach Jahren des Niedergangs regt sich ein laues Lüftchen. Uluc und Lindemann, diese beiden Schlingel werden doch nicht den FCC am Ende zu einem ernsthaften Kandidaten für die 3. Liga gestalten? Diesen Samstag spielt Jena beim BFC Dynamo. Ja, genau, Ulucs vorherigem Klub. Den BFC, welchen er von der Oberliga nach Jahren des Stillstands in die Regionalliga führte. Ich werde nun nicht gleich… Aber man kann doch mal… Oder etwa nicht?

Eine Auswahl von Willmanns Tagesspiegel-Kolumnen ist jüngst in dem Buch "Kassiber aus der Gummizelle" erschienen, das jetzt für die Auszeichnung "Fußballbuch 2015" der Akademie für Fußball-Kultur nominiert wurde.

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