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Brasilien erlesen - wie hier auf der Frankfurter Buchmesse.

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Willmanns Kolumne: Was sie schon immer über Brasilien lesen sollten

Der DFB blamiert sich mit abgehängten Antifa-Bannern, die WM in Brasilien lässt auch auf nicht allzu viel Gutes hoffen. Zum Glück gibt es aber noch die Literatur, findet unser Kolumnist.

Unsere wilden Fußballherzen schlagen jeden Tag Pässe in die Laufwege des Glücks. In wenigen Wochen startet der Weltfußball seinen einmonatigen Besuch in den Wohnzimmern, Kneipen und Lasterhöhlen der ungerechten Welt. Die Fußball-Weltmeisterschaft, trotz allen Kommerzes noch immer ein Höhepunkt für Fußballfreaks. Die deutschen kickenden Millionäre werden auch vor Ort sein. Um sich als Marke zu präsentieren, um den Traum vom Glück ohne Ende zu verwirklichen, um das Runde ins Eckige zu treten.

Tage des nationalen Gedöns. Schwarzrotgoldene Partymonster, bierselige Fahnenschwenker, Grillfett, Fanmeilen, Politiker als Menschen verkleidet, Big Business. Der Deutsche Fußballbund zeigte in Hamburg schon mal, womit wir gemarterten Feingeister zu rechnen haben. Die Schmach der Woche – ein potemkinsches Dorf auf St. Pauli. Der großväterliche DFB hat am Millerntorstadion ein Banner "neutralisiert". Wo früher „Kein Fußball den Faschisten“ zu lesen war, stand am Montag „Kein Fußball“. Die folgenden Worte bedeckte eine grüne Plane. Angeblich solle der Fußball von politischen Botschaften frei gehalten werden.

Was für eine beschämende Heuchelei. Wie will der DFB mit dieser Haltung glaubhaft gegen Rassismus sein? Anscheinend sind Statements gegen Rassismus, Gewalt und Homophobie für Niersbach und Co. leeres Stroh und lästiges Scheinheiligtum. Muss man machen, machen ja alle. Folklore für die Gutmenschen, hüstel, hüstel. Faschismus, äh, was war das nochmal? Jogi, kannste nicht mal was zu Boateng, Khedira und Poldi schwafeln? Irgendwas mit Integrationskram und so. Lass mal Jimmy Hartwig in die Kamera feixen. Der wird schließlich als Integrationsbotschafter dafür bezahlt. Außen auf hui gewichst, innen doch nur ein kleinkariertes pfui.

Frank Willmann ist die WM nach der Vorrunde vorbei

Mal schauen, wie sich die Funktionäre aus dem Schlamassel winden. Vielleicht ein entspannter Besuch in einer „befriedeten“ brasilianischen Favela mit anschließender Trikotspende. Den armen Kindern mit den traurigen Kulleraugen Gutes tun. Wir lieben unser Land. Ich bin trotzdem wie bei jeder Weltmeisterschaft für England. Ja, ich weiß. Das bedeutet Rausschmiss in der Vorrunde. Na und. Danach entspanntes Chillen hinterm Knallerbsenstrauch. Anfang Juni fahre ich ne Woche nach Rio und Sao Paulo. Mal nachschauen, welchen Bock die kleinen Leute auf WM haben. Mit Blatter schnattern und den Apokalypso tanzen.

Zum Glück gibt es die Literatur. O süße Droge, die du alle Torheiten der Gartenzwerge wegzauberst. Uns in traumschwere Landschaften torpedierst.

Ich betrete freudentrunken die Heiligtümer der Dichtung. Lesen als Notdurft. Um der Klapsmühle der Gegenwart zu entkommen. Mein Vorschlag für die nächsten vier Wochen: Lesen, Lesen, Lesen!

Für alle Brasilienfahrer habe ich zwei Tipps parat. Zuerst: Gebrauchsanweisung für Brasilien von Peter Burghardt. Ein Sachkundiges, amüsantes und kritisches Buch voll fesselnder Geschichten. Lasst euch ein auf eine Tour durch seltsame Wüsten des Mammons, Orte bitterster Armut und mysteriöse Dschungel. Das Ganze gedichtet in purer Lebenslust, als wilder Tanz auf dem Zuckerhut oder im Kokainpalast, je nach Fasson. Brasilien ist groß, Brasiliens Fußball noch größer. Peter Burghardt gelingt ein prima Panorama widersprüchlichster Kulturlandschaft. Er taucht tief in die Seele des Landes, treibt den naiven Lesern einige Klischees aus und nimmt sie mit auf eine Tour der Schrecken und der Schönheit gleichermaßen. Brasilianisches Leben pur. Ein Buch für Neugierige.

Um das Leben vor Ort zu organisieren, gibt es nichts Besseres als den Lonely Planet Reiseführer Brasilien. Launig geschrieben, auf der Höhe der Zeit, voll exzellenter Tipps, Pläne und Anregungen. Unverzichtbarer Reiseführer, geniale Kladde, verantwortungsbewusst, ehrlich, praktisch. Ein Muss für jeden Brasilienreisenden. Lonely Planet ist schwer zu schlagen, da die Autoren für jede Neuauflage abermals vor Ort recherchieren und die neusten Entwicklungen und Trends im Auge haben. Auch für die daheim gebliebenen Couchkartoffeln ein Standardwerk, um die Ödnis der fußballfreien Zeit zu überbrücken.

Willmanns Buchtipps zur Fußball-WM in Brasilien

Unter dem doppelbödigen Titel Flügelwechsel hämmerte Albert Ostermaier einen Band opulenter Fußballlyrik auf den Büchertisch. Mit brachialer und mehrzungiger Sprach-Kraft widmet er sich der Schönheit unseres Fußballsports. Ostermaier ist bekennender Bayern München Fan (es sei ihm verziehn) und Torhüter. Oliver Kahn nimmt in des Poeten Wirklichkeit eine herausragende Position ein. Gleich mehrere seiner Oden sind der blonden Alt-Katze gewidmet. „…sein herz ist zehnmal heiterer als sein blick spröd und wild…“. Ostermeier spielt mit Pathos. Das ganze Leben als Spiel. Er versteht es, die Klaviatur großer Themen wie Liebe, Verzweiflung und Tod (Karriereende) in die Fußballspielerei zu transportieren. „…ob ich dich liebe weiss ich nicht/seh ich nur einmal dein gesicht/schwoll der knöchel dir einmal/schauderst herz vor deiner qual…“).

Auch dem brasilianischen Fußballheiligen, Armenarzt und Freiheitskämpfer Sokrates ist eine der Oden gewidmet: „…ein ball ohne zweite luft/immer wieder gegen alle wände/ geschlagen aufgeschürft wie ein/gesicht das kein träne weint/sondern den letzten tropfen gin…“

Ostermaier findet wunderbare Worte jenseits allen frotzelnden Anbiederns und erfreut die Herzen der Leser aufs eleganteste durch fein nuancierte Anspielungen aus dem Alltag unserer Fußballhelden. Eine mutige Gute-Morgen-Dichtung für zivilisierte Freunde unseres Sports. Ostermaier kann die feinen Rhythmen wie die lauten Töne. Das ist mal hart und gewaltig, mal exzellenter Schmalz, mal genial mal banal – das ist unser Fußball.

„ …unsere körper sind wie kampfmaschinen/du siehst sie in allen livestylemagazinen/jeder muskel ist hier völlig durchtrainiert/jeder muskel ist hier sauber definiert/schau wie so ein muskelbau sie fasziniert/wie jede frau nach uns giert uns anstiert/weil wir nacken haben wie wütende stiere/gepiercte schwänze in den gelenken schmiere …“

Als Fest für die Augen sei zu guter Letzt der Fotoband Fußball Brasil empfohlen. Er bietet einzigartige Fotos fußballaffiner, brasilianischer Orte. Egal ob Slum, Strandpanorama, gewöhnlicher Fußballplatz oder die Straße: Pillitz hält allerorts seine Kamera drauf und schuf ein voluminöses Bilderfeuerwerk des WM- Gastgeberlandes.

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