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Willmanns Kolumne: Wenn Dichter die Tiefe des Raumes durchdringen

Was macht der Dichter, wenn er nicht dichten tut? Er kickt, was sonst. Unser Kolumnist Frank Willmann berichtet von seinen Abenteuern in der Berliner Fraktion der Autorennationalmannschaft.

Samstag habe ich mal wieder gegen den Ball getreten. Ich tat es nicht allein. Neben mir standen zehn weitere Bücherschreiber und Wortschaffende auf dem Acker der Vornehmheit. Unser Ehrenfeld, unser Heimsportplatz ist der Kunstrasenplatz an der kleinen Hamburger Straße. Auch "Bero" genannt, nach dem Berliner Fußballverein Blau-Weiß Berolina Mitte, der dort mit zahlreichen Jugendmannschaften wirkt.

Die Berliner Fraktion der Autorennationalmannschaft treibt "auffem Bero" jeden Montag pünktlich 20 Uhr die magische Kunststoffkugel übern Platz. Wer auf halbnackige Dichter steht, sollte sich diesen Termin rot in seinem Kalender markieren. Unser Sportplatz ist in den letzten Jahren mehr und mehr von teuren Wohnbunkern zugekleistert worden. Es ist eigentlich ein Wunder, dass die Bewohner dieser Festungen uns noch immer nicht vom Hof gejagt haben. Regelmäßiger Ballschwund ist nur ein Thema. Denn eins ist gewiss: Für Spekulanten und Bauträger ist der Platz ein zartes Stück Filet.

Nach getaner Arbeit treibt uns der Durst in die Vereinsfarm. Dort kredenzen Ralle und Fränkie Spezialitäten, die unsere Sportlerherzen höher schlagen lassen. Die Räumlichkeiten sind auf das Schicklichste mit Fußball-Memorabilia ausgekleidet, zwei riesengroße Fernseher machen jedes Fußballspiel zum Fest. Das Bier kommt vom Fass und ist billig, fast ein Anachronismus in Mitte. An milden Sommerabenden trinken wir gern unsere Milch auf der Terrasse und schauen über das matte Grün des Kunstrasens auf den leuchtenden Fernsehturm. Stadtromantik, mitunter schaut Reinecke Fuchs vorbei und jault uns den Blues. Er jault ihn nur kurz, da er wie alle in diesem Viertel, sehr auf die Nachtruhe achtet. Die wilden Jahre Ostberlins sind vorbei.

Die meisten von uns haben mit sechs mit dem Fußball spielen begonnen. Nur Jockel Meyer hat, glaube ich, bis er sechzehn war Bodenturnen betreiben müssen. Das kann für einen kleinen Jungen ein Trauma sein, wenn er nicht wie alle gegen den Ball dreschen darf. Für einen erwachsenen Dichter ist es Bürde und Aufgabe zugleich.

Im Osten wurde naturgemäß in Autorenkreisen mehr der Flasche als dem Balle zugesprochen. Die Zahl der kickenden Zonis ist entsprechend gering. Besonders gesund ist die Schar der Bayern in unserem Team, das in guten Zeiten zwanzig Kicker ausmacht. Unser Kapitän Christoph kommt auch aus Bayern. Im Alltag eine zarte Singdrossel, ein richtig netter Mensch. Auf dem Platz wird er zum Biest. Ballbarbaren braucht es. Sie geben dem Spiel die nötige Ernsthaftigkeit. Denn gewinnen wollen wir immer.

Die Liste unserer Verletzungen ist lang

Von allen Berliner Autoren sind nur zwei gebürtige Berliner. Dazu noch Ostberliner. Vom Boden der Tatsachen betrachtet, scheint der Ostberliner gegenüber dem gemeinen Ossi eine größere Bereitschaft entwickelt zu haben, Sport zu treiben.

Das Auskurieren diverser Blessuren ist neben der Schreibtischarbeit unsere Hauptbeschäftigung. Die Liste unserer Verletzungen ist lang. Brüche aller Art kommen dauernd vor. Zerrungen, Prellungen, Risse und Quetschungen verdienen keine besondere Erwähnung. Gegenwärtig hüten mindestens sechs von uns das Krankenlager. Eifrig bewacht von ihren Lebenspartnerinnen, die unser loses Balltreiben mit Argwohn beobachten. Ich habe es immerhin auch schon zu einem Unhappy Triad geschafft. Das bedeutet vorderes Kreuzband, Innenband und Innenmeniskus im Knie gleichzeitig gerissen. Nach zweijähriger Pause stand ich wieder auf dem Platz. Wie ein kleiner Junge, der nur Fußball im Kopf hat.

Manche Autoren stellen ihren Fernseher ein, wenn sie sich einsam fühlen. Ich gehe auf den Fußballplatz. Dort bin ich gemeinsam einsam. Alle singen wir dasselbe Lied. Unsere Körper sind uns nicht nur Hülle, wenn wir als frohgemutes Ensemble dem Feind entgegen treten. Wir spielen auf der Klaviatur unserer Oberschenkelmuskeln. Selbst unser Fett hat an diesem Ort eine sinnstiftende Funktion.

Am Samstag wärmte es mich, denn plötzlich ging ein Hagelschauer darnieder. Lag es am brutalen Ende unseres Spiels gegen die Ungetüme vom Team Mischzone? Sandten Berthold Brecht, Heiner Müller, Heinrich Mann und Christa Wolf deshalb aus ihren Gräbern vom nahen Dorotheenstädtischen Friedhof erhabene Blitze? Uns zur Mahnung? Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof möchten wir alle mal landen, denn Unsterblichkeit ist neben Ballgewinn naturgemäß jedes kickenden Autoren hehres Ziel.

Zur Halbzeit führten wir gegen unseren Lieblingsgegner Mischzone mit 3:0. Zweimal traf Brachiosaurus Eile, der Meister des scharfen Schusses, einmal Neudeck. Seit er mit einer Art Taucherbrille spielt, gelingt ihm manchmal einfach alles.

Die allgemeine Maßeinheit für ein Spiel beträgt 90 Minuten. Traditionell bricht unsere Mannschaft spätestens in der 60. Minute ein. Das hat uns schon viele Lorbeeren gekostet. Womöglich liegt es an unserem geradezu biblischen Fußballspielalter. Ich bringe knapp neunundvierzig sportliche Lenze mit, wir sind Pied Beauties im wörtlichen Sinne.

Mischzone haut uns in der zweiten Halbzeit drei Dinger rein, am Ende sind wir über das 3:3 nicht unglücklich. Ohne Wechselspieler schleichen wir die letzten Minuten scheintot übers Großfeld. Immerhin gab es keine Verletzten. Wenn auch Ulis letzte Grätsche einen Millimeter Kunstgras vom Belag des Platzes sichelte. Zwei gerührte Zuschauer klatschen trotzdem Beifall. Romantischer Alltag eines Freizeitkicks. Fußball heißt das Spiel. Beim Gegner soll heimlich ein Talent von Union Berlin mitgespielt haben. Ich verorte das Talent eher bei Union 06. Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher und Fußball.

PS: Am 11. Mai spielen wir in einer Art Mini-Europameisterschaft gegen unsere  polnischen und ukrainischen Kollegen. Mehr dazu demnächst im Tagesspiegel.

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