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Mehr Schlammwüste als Fußballplatz. Eindrücke aus Frankfurt Oder.

© Frank Wilmann

Willmanns Kolumne: Erdarbeiten im Weinberg des Herrn

Unser Kolumnist Frank Willmann war mal wieder unterwegs in der Fußball-Provinz, diesmal im deutsch-polnischen Grenzgebiet. Eine Reise zu Schwimmbecken am Spielfeldrand, dubiosen Wurstspezialitäten und der Suche nach dem goldenen Ball von Bern.

Ein trauriges Lächeln schwebte über Charlys Face. Soeben war JR, der legendäre Bösewicht aus der amerikanischen Serie Dallas gestorben. Charly blickte nachdenklich aus dem Fenster seines Hauses in Lebus. Im Garten sah er die strammen Waden seines Sohnes tänzeln. Der Sohn trotzte dem Regen und spielte Fußball mit sich selbst. Der verlässliche Vorteil des Fußballspielens mit sich selbst liegt auf der Hand. Der gegen sich selbst Kickende gewinnt immer.

Wer nun ein Plädoyer zur Reform unseres geliebten Sports erwartet, muss leider enttäuscht werden. Ich liebe diesen Sport, altmodisch wie er ist. Und ich liebe  seine Fans und Förderer, die in ihrer Verschiedenheit unsere Welt bunt machen.

Charly ist Fan und Förderer in einem. Sehr zum Unwillen seiner Familie zieht es ihn in letzter Zeit vom heimischen Lebus häufig ins Berliner Olympiastadion. Die darniederliegende Tante Hertha, die der Fürsorge bedarf, erweckte sein Mitleid und Interesse. In ihrer unverblümten Armut, ihren sexy blauweißen Fetzen um den schwartigen Leib. So erscheint sie ihm gerade recht. Charly erkundet mit wechselnder Belegschaft das Olympiastadion und erfreut sich an den Gesängen der Ostkurve. Indes auch die Herthakicker gegenwärtig recht gepflegt ranklotzen, ist ihm alles schön. Wieder in Lebus verwandelt er sich vom Fan zum Förderer. Seine Tochter spielt in der Jugend von Blau-Weiss Lebus. Der ein Jahr ältere Sohn schnürt bei Union Frankfurt die Galoschen des Glücks. Charly ist immer dabei. Als Fahrer, Motivator, ehrenamtlicher Büdchenbetreiber. Spielt die Mannschaft seiner Tochter auf dem heimischen Sportplatz Lebus an der Kietzer Chaussee, bricht für Charly die Bockwurstzeit an. Er platziert etliche der braunen Früchtchen im Kochtopf  und stellt Mostrich und Senf kalt. Ob er die Kinder in der Halbzeitpause wirklich heimlich mit Cola dopt, oder ob das nur eine Legende ist, weiß allein der Waschbär im nahen Gebüsch.

Es gibt milde Sommertage, an denen das halbe Dorf über den Ground rammelt. Jungs, Mädchen, Männlein, Weiblein, auch Touristen dürfen mit an den Ball. Beim wilden Kick leuchten die Augen und pumpen die Herzen, während im nahen Gebüsch Papa Waschbär um die Gunst seiner Waschbärin girrt und der Biber an der Oder die fußballbedingte Abwesenheit von Dolf nutzt, um sich über dessen Koniferen am Wassergrundstück herzumachen. Nach dem Sport schmeckt dann das Bier an der Oder doppelt gut. Im Westen geht die Sonne unter, wir gucken mir roten Bäckchen in die andere Richtung nach Polen. Charly und Dolf stehen am träge fließenden Strom und berücken den Fischbestand.

Wenn die Schatzsucher den Garten umgraben

Die Oder zehn Kilometer zurück, liegen Slubice und Frankfurt Oder. Bis 1945 eine Stadt, gehört Slubice, auch Dammvorstadt genannt, heute zu Polen. In Slubice schläft das 1927 gebaute Stadion Slubickiego Osrodka Sportu i Rekreacji seinen Dornröschenschlaf. Es hieß bis 1945 Ostmarkstadion und ist, als beeindruckendes Zeugnis deutscher Baukunst, durchaus einen Abstecher wert. Momentan kickt dort ein unbedeutender Viertligist vor einhundert Zuschauern. Die leichte Hanglage des Stadions ist atemberaubend, man schaut bei gutem Wetter weit ins polnische Hinterland. Geheimtipp: Dem Spiel kann man badend zusehen, eine der Geraden ziert ein Schwimmbad.

Als ich mit Charly und dessen Sohn in Richtung Frankfurt aufbrach, erzählte mir Charly, in der Lebuser Kirschalle 19 sei der GBB (Goldene Ball von Bern) vergraben. Leider weiß Charly nicht genau wo, weshalb im goldenen Herbst, wenn die Blätter fallen, immer wieder fleißige Schatzsucher bei ihm auftauchen.  Und den zwei Hektar großen Garten auf der Suche nach dem Goldenen Ball wieder und wieder umzugraben. Charly meint der GBB sei eine Pressemeldung wert. Ich solle auch gleich seine Telefonnummer durchgeben und verkünden, für Unterkunft werde gegen ein gewisses Entgelt gesorgt.

Der Weg nach Frankfurt führt bei Charly über Slubice. Er macht dort gern beim Händler der guten Brühpolnischen halt, um sich eine der nahrhaften Würste einzuverleiben.

„Die schmecken erst richtig, wenn die fetten Grieben verzweifelt gegen den Kunstdarm drücken!“

Charly leckt sich die Lippen und bestellt noch eine der Fettbombenungetüme. Eine der aus dem Darm ragenden Grieben erinnert mich in Form und Farbe an Fußnägel, doch ich wage es nicht, Charlys Lobpreisung der guten Brühpolnischen zu unterbrechen. Wahrscheinlich würde er meine Anmerkungen für typisches Städtergerede halten. So wie ich seine despektierlichen Äußerungen bezüglich des Wirkens der drolligen Waschbären und putzigen Biber für reine Dorf-Propaganda halte.

Frankfurt, Dauerregen, kein Bockwurstbüdchen, selbst die Mülltonnen sind mit Ketten verschlossen. Sind das untrügliche Beweise für die Existenz von Biber und Waschbär im nahen Gebüsch? Haben die armen Tierchen alle Frankfurter weggefressen? Wir erleben die Erdarbeiten der Jungkicker auf einer Fläche, die früher mal ein Fußballplatz gewesen sein könnte. Die armen Oder-Unioner werden von Glückauf Brieske/Senftenberg mit 0:6 verdroschen. Drei der Tore sind Selbsttore. Vom Trikot der Bergwerker grüßt frech ein Bezahlsender, der uns in Deutschland den Fußball denaturiert. Wir stehen etwas abseits als schlechtes Vorbild für die Jugend mit Trostbier in den Tatzen. Ich bin immerhin seit einigen Stunden mal wieder Nichtraucher. Man will ja nicht unhöflich sein.

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