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Der Spitzenreiter aus Halle (in Rot und Weiß) siegt locker und leicht bei Hertha II.

© Bransch

Willmanns Kolumne: Zu Besuch bei Herthas Resterampe

Reservemannschaften von Profiteams sind so überflüssig wie die FDP. Sie ziehen keine Sympathisanten und bringen durch komische Personalentscheidungen den Wettbewerb durcheinander. Herthas Zweite bildet da keine Ausnahme - wie das Spiel gegen Regionalliga-Spitzenreiter Halle zeigte.

Unser aller Berlin hat neben der maliziösen Tante Hertha mit der Lizenz zum Gebrechen noch ein zweites Herthateam im Rennen. Die Schäfchen der so genannten U23. Unbemerkt von der Öffentlichkeit kicken sie in der Regionalliga Nord vor sich hin. Meist gut versteckt auf einem Nebenplatz des Olympiastadions. Kommt allerdings ein Team mit Fanpotenzial von mehr als 99 Erdenbürgern vorbeigeschneit, weichen die U23er in den Jahnsportpark aus.

Am Samstag kam der unaufgeregte Spitzenreiter aus Halle zu Besuch. Der Hallesche FC ist die Überraschungsmannschaft der Liga. Wenn alles in der Regionalliga nach Plan gegangen wäre, hieße der souveräne Spitzenreiter RB Leipzig. Doch der sächsische Ableger des Red-Bull-Konzerns beweint den Erfolg der Hallenser gegenwärtig vom zweiten Platz. Und das ist gut so, meint die Mehrzahl der deutschen Fußballfans und drückt Halle die Daumen. Am letzten Spieltag kommt es in Halle zum Showdown der Ideologien. Ein Spiel mit Legendenpotenzial. Sollte Halle, nach Chemnitz im letzten Jahr, den Stier auf die Hörner nehmen und abermals in den Staub drücken? Schießt Geld doch keine Tore? Zählen am Ende Leidenschaft, Mannschaftsgeist und enge regionale Verbundenheit? Es wäre ein schöner Liebesroman, würde Halle im kommenden Jahr in der dritten Liga kicken.

Seit über zwanzig Jahren bewegt sich der Hallesche Fußball im profifreien Raum. Der Gerüchteküche nach sollen sie irgendwann Anfang der 90er mal in der Zweiten Liga gekickt haben. Angeblich war der Klub zu Zonenzeiten eine Erstliga-Mannschaft im Tabellenmittelfeld. Lang ist es her, die letzten Jahrzehnte schritt der HFC durch ein Tränental. Es gab sogar Zeiten, wo ein Hallenser Emporkömmling, dessen Namen mir gerade nicht einfällt, dem HFC die Show stahl. Den Fans blieben fußballerisch triviale Dauerderbys gegen den ebenfalls gefallenen Engel 1. FC Magdeburg. Dort drängelte sich dann einmal im Jahr der bitterböse Mob, um neben dem Platz für Schlagzeilen zu sorgen.

Halles Fans werden in Berlin sehr freundlich empfangen

Da alle Lust Ewigkeit will, hat langes Siechtum eines Tages ein Ende. Die Fankultur in Halle hat sich weiter entwickelt, gegen die U-dingsda hatten sich die Ultras etwas Besonderes einfallen lassen. Etwa fünfhundert Hallenser waren mit Bahn oder Auto nach Berlin gerauscht. In den letzten Jahren kam es bei Besuchen der Hallenser häufig zu Konflikten mit der Berliner Polizei. Das ist im Fußball unschöne Begleiterscheinung, sorgt aber andernorts durchaus mal für Nachdenklichkeit. In Städten wie Hannover, Meppen, Magdeburg oder Lübeck sinniert die Polizei gern über den Tellerrand hinaus. Dort stehen nicht nur Polizeibeamte in martialischer Montur als städtisches Empfangskomitee auf dem Bahnhof. Da leistet ein polizeilicher Konfliktmanager gute Arbeit fürs Gemeinwohl. Die Kontaktbeamten sind mit Signalwesten bekleidet und für alle Beteiligten leicht zu erkennen. Sie greifen bei Problemen schnell ein und bieten Lösungen an, wenn beispielsweise Auswärtsfans bei Sicherheitsspielen unbedingt geschlossen in ein Stadion marschieren wollen. Wenn Konfliktmanager von Fans wie Polizeikräften akzeptiert werden, ist das ein großartiges Konzept für die Zukunft. In Berlin ist man von solch neumodischem Kram weit entfernt.

Ultras als Konfliktmanager. Klingt seltsam, hat bei Hertha II gegen Halle aber funktioniert.
Ultras als Konfliktmanager. Klingt seltsam, hat bei Hertha II gegen Halle aber funktioniert.

© Bransch

Doch es gibt ja noch die Gegenseite. Am Wochenende tauchten plötzlich 100 Hallenser Ultras mit "Ultras-Konfliktmanagement"-Westen auf und überreichten den Einsatzkräften in Berlin Handzettel mit Informationen und Angeboten für einen entspannten Umgang miteinander. Und siehe: die Berliner Polizei reagierte schlau und listig. Durch ihr kreatives und kommunikatives Einsatzverhalten ermöglichten sie einen störungsfreien Ablauf des Gastpiels der Hallenser Fans in Berlin.

Ein Handzettel als Wundermittel.
Ein Handzettel als Wundermittel.

© Bransch

Im "Jahnsportpark" wurden die HFC-Fans von den Verantwortlichen des Gastgebers Hertha BSC sehr freundlich empfangen. Hertha lief unter der Obhut des Trainer-Dinos Karsten Heine mit einer komischen Mannschaft auf. Ihr bester Mann und Kapitän Fabian Holland weilte bei King Ottos Buben in Leverkusen und saß dort mit seinem Hinterteil die Ersatzbank platt. Die Hälfte der Stammmannschaft fehlte, im Tor und in der Abwehr spielten junge Kräfte. Herthas U19 kickte am Vormittag gegen Union Berlin. Dahin hatte man einen Schock toller Kräfte entsandt, um die Köpenicker klar zu machen. Die Resterampe trat dann gegen Halle an. Schön für Halle, die bis dahin gegen Hertha auswärts keinen Blumenkübel gewannen. Kann jedem in der Liga passieren, ist Hertha nicht zu verübeln, da gängige Praxis der zweite Mannschaften. Ein RB-Schelm, wer Wettbewerbsverzerrung vermutet. Trotz aller Schadenfreude für mich ein Argument mehr für eine eigene U23er-Liga.

Unterstützt von knapp dreißig jungen Menschen, welche den Zug ins Leverkusener Nirgendwo verpasst hatten, versuchte Hertha zwo Fußball zu spielen. Die sangesfrohe Hertha-Jugend verwöhnte uns mit feinen Shanties wie: "Hi Ha Höre – Hertha Amateure!" oder "Überall und nirgendwo – immer wieder Hertha zwo!"  Ein Fest der Volksmusikanten. Mit Halle als großem Gewinner. Ohne viel Mühe bezwang Halle Team Resterampe mit 2:0.

Die Hallefans begrüßten ihre Mannschaft in Berlin begeistert mit einem Derbysiegerbanner. Unter der Woche hatte der HFC den 1. FC Magdeburg gerupft. Ihr unaufgeregter Support passt zum Klub. Keiner macht sich wegen des Aufstiegs übermäßig verrückt. Obwohl daheim am Computer bzw. via Liveberichterstattung des Fanradios weit über 1000 Hallefans dabei waren. Klubpräsident Michael Schädlich und Cheftrainer Sven Köhler sind wahre Meister des Understatements. Seit Jahren ist Köhler im Klub entspannt aktiv und kann jede Stecknadel in der Geschäftsstelle mit ihrem Vornamen anreden. Sehen so Sieger aus? Ich glooob schon.

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