zum Hauptinhalt

Sport: Wimbledon: Bleiben, bis Madonna singt

Es war die Abiturfeier des deutschen Tennissports. Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren zelebrierte der beste Jahrgang, der je in Deutschland zum Schläger griff, in Wimbledon sein größtes Fest.

Es war die Abiturfeier des deutschen Tennissports. Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren zelebrierte der beste Jahrgang, der je in Deutschland zum Schläger griff, in Wimbledon sein größtes Fest. Der Klassenprimus Boris Becker ließ dabei in der entscheidenden praktischen Prüfung seinem Hauptkonkurrenten Michael Stich den Vortritt, während bei den Damen Stefanie Graf alle anderen Mitbewerber abhängte. Wie so oft in jenen Tagen. Alle drei sind längst in ein Leben nach dem Tennis entlassen, inzwischen betreut der Deutsche Tennisbund (DTB) einen neuen Jahrgang. Der allerdings zu Sorge Anlass gibt: Er feiert keine Feste mehr.

"Sie sind jetzt in einem Alter, in dem sie ihre größten Erfolge feiern müssten", kritisierte Daviscup-Kapitän Carl-Uwe Steeb nach den French Open. Er meinte seine Vorzeigespieler Thomas Haas und Nicolas Kiefer, doch seine Worte können auch für Anke Huber gelten. Alle haben seit ein paar Jahren die Weltspitze vor Augen, doch nie reichte es zu einem ganz großen Erfolg. "Unsere Spieler sind nicht top", sagt Werner Knapper, der bis vor einem Monat Sportdirektor beim DTB war, "aber sie sind auch nicht so schlecht wie bei den French Open." Das Grand-Slam-Turnier in Paris gilt als ein Tiefpunkt des deutschen Tennissports. Abgesehen von Lars Burgsmüller kam kein Deutscher in die dritte Runde.

Beim heute startenden Turnier in Wimbledon soll sich das nicht wiederholen. "Ich traue Nicolas Kiefer einiges zu, und bei Anke Huber kommt es drauf an, wie sie ihre Verletzung überwunden hat", sagt Knapper, der Direktor des Hamburger Turniers am Rothenbaum ist. Kiefer, der im Champions Race auf Platz 37 liegt, überzeugt gegenwärtig durch eine professionelle Vorbereitung. Mit dem Schweden Lars Wahlgren engagierte er kurz vor dem Turnier im Londoner Stadteil SW19 einen neuen Trainer. "Er hat den großen Vorteil, dass er selber ein guter Spieler war", sagt der 23-Jährige. Thomas Haas hingegen, der am Dienstag gegen Wayne Black startet, geht mit seiner gefürchtet lockeren Einstellung in das Turnier. Nach seinem traurigen Aus in Paris hatte Haas gesagt: "Hey, es kommen auch wieder bessere Wochen."

Aber wann? "Das Herrentennis ist noch nicht aus der Talsohle heraus", sagt der ehemalige DTB-Sportdirektor und Vizepräsident Knapper. Ein wenig besser geht es schon den Damen. Die 18-jährige Bianka Lamade arbeitete sich durch ihren ersten Turniersieg in Taschkent auf Rang 62 der Weltrangliste vor, auch Jana Kandarr steht mit Rang 44 so gut wie noch nie in ihrer Karriere. Vor ihr rangieren noch Marlene Weingärtner (42) und Anke Huber (20), die heute als erste deutsche Spielerin gegen die Australierin Elena Dominikovic startet. "Wir haben Damen, die jung sind und die Zukunft noch vor sich haben", sagt Knapper. Auch DTB-Teamchef Markus Schur sagt bezüglich des Frauentennis: "Wir haben die Talsohle lange hinter uns."

Das gilt aber nicht in Sachen Popularität. Erneut versteckt sich Wimbledon, das wichtigste Tennisturnier der Welt, in Deutschland im Pay-TV-Kanal "Premiere World". Als das ZDF im Juni das Turnier in Halle/Westfalen live übertrug, schalteten nur noch durchschnittlich 760 000 Zuschauer ein. Im Vorjahr interessierten sich noch 860 000 Zuschauer dafür. Der Popularitätsverlust lässt sich auch international feststellen. "Es fehlt den heutigen Stars an Ausstrahlung", sagt Walter Knapper. Andre Agassi hätte noch diese Ausstrahlung, doch Pete Sampras oder Juan-Carlos Ferrero seien zwar sehr professionell. Aber auch langweilig. "Vor zwanzig Jahren hatten die ersten 16 eine viel größere Ausstrahlung", sagt Knapper. Bei den Damen ist das noch besser, weshalb der Herrentennisverband ATP eine gemeinsame Turnierserie mit der Frauenserie der WTA einführen will.

Doch ein paar der Probleme des deutschen Tennisverbandes sind auch hausgemacht. Längst machen Frankreich, Spanien oder Belgien dem mitgliederstärksten Verband vor, wie man Talente besser fördert. Erst jetzt beginnt ein neues Nachwuchskonzept zu greifen: die verstärkte Zentralisierung. "Die Trainer müssen auf allen Ebenen besser zusammenarbeiten", sagt Knapper. Das föderale Konzept, in dem jeder Landesverband vor sich hin arbeitet, hat keine Zukunft mehr. "Für die WTA-Tour hatte das Ganze keine Perspektive", sagte Schur in Berlin. Zu Beckers Zeiten hatte man die Nachwuchsarbeit lange Zeit vernachlässigt.

Das Resultat ist ab heute in Wimbledon zu besichtigen. Dort sagt Kiefer: "Nächste Woche spielt Madonna in der Royal Albert Hall - da möchte ich gerne noch hier sein." Früher haben sich Becker oder Stich in London aufgehalten, um das Turnier zu gewinnen. Wie gesagt, ein anderer Jahrgang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false