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Sport: Wimbledon: Den Sieg seiner Tochter Venus bezeichnet Richard Williams als "Zäsur im Damentennis"

Die Sonne hatte sich zur Kür der neuen Tenniskönigin von Wimbledon wieder einmal hinter schwarzen Wolkenbergen versteckt. Das konnte Venus Williams auf dem Centre Court jedoch nicht davon abhalten, ihr strahlendstes Lachen aufzusetzen.

Die Sonne hatte sich zur Kür der neuen Tenniskönigin von Wimbledon wieder einmal hinter schwarzen Wolkenbergen versteckt. Das konnte Venus Williams auf dem Centre Court jedoch nicht davon abhalten, ihr strahlendstes Lachen aufzusetzen. "Dieser Triumph war vom Schicksal für mich bestimmt", sagte Venus Williams an einem Tag, der als historische Wegmarke im Damentennis gelten kann.

Der 6:3, 7:6 (7:3)-Erfolg der älteren Williams-Schwester über Titelverteidigerin Lindsay Davenport manifestierte den seit langem postulierten Machtanspruch des Familienclans, der aus dem Armen-Ghetto von Los Angeles stammt. Venus Williams sagte sogar, dass sie am "Ziel eines Lebenstraums" sei. Gleich nach dem Matchball stürmte sie in die Ehrenloge und fiel ihrer Schwester Serena und Vater Richard tränenreich in die Arme. "Der 8. Juli 2000 ist eine Zäsur im Damentennis", erklärte Richard Williams später, "meine Kinder werden bald serienweise Titel gewinnen und die Nummer eins und Nummer zwei der Welt sein."

Genau mit dieser irritierenden Selbstsicherheit hatte Venus Williams (20) zwei Wochen lang auf dem Tennisplatz ihre Arbeit erledigt. "Ich habe immer an mich geglaubt und ich habe auch nicht verzagt, als ich mal in Bedrängnis gekommen bin", sagte die grazile US-Amerikanerin. Ihrem Powertennis waren in den letzten Turniertagen weder Martina Hingis, noch ihre Schwester Serena, noch Lindsay Davenport gewachsen.

Allein Venus Williams, die passionierte Design-Studentin, hatte einem mittelmäßigen Damenwettbewerb mit ihrem mitreißenden Spiel und ihrer erfrischenden Ausstrahlung so etwas wie Gestalt verliehen. Die neunmalige Meisterin von Wimbledon, Martina Navratilova, staunte über die Gewinnerin und glaubt: "Mit dieser Statur wird sie auf Jahre eine beherrschende Figur in der Szene sein."

Schon bei einem Zwischenstopp in Florida nach den French Open hatte die 195 Zentimeter große Venus Williams vor drei Wochen den Erfolgsdruck in eigener Sache beträchtlich erhöht und sich ein Ballkleid für das Champions-Dinner in Wimbledon gekauft. "Es hört sich lächerlich an, aber das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich siegen werde", sagte die ältere der beiden Williams-Töchter. Familien-Oberhaupt Richard, ein ehemaliger Nacht- und Parkplatzwächter, bezeichnet sie sogar als die "Cinderella aus den Slums".

An diesem geschichtsträchtigen Wimbledon-Tag, als feststand das in Serena und Venus Williams erstmals im Tennis zwei Schwestern einen Grand-Slam-Titel gewonnen haben, war der vorläufige Höhepunkt eines Sport-Märchens erreicht. Hollywoods Traumfabrik hätte es nicht besser erfinden können. Noch Mitte der 80er Jahre musste sich das Geschwisterpaar in Compton, einer der berüchtigten Suburbs im Großraum Los Angeles, auf dem Heimweg vom Trainingscourt vor Schusswechseln der Straßengangs in Sicherheit bringen. Um Leben und Karriere seiner Töchter nicht zu gefährden, arrangierte sich Vater Richard sogar mit einem Ober-Pistolero dieser Banden, einem gewissen "Leutnant Cool Aid" und leistete beträchtliche Schutzgeldzahlungen. "Nach allem, was wir erlebt haben", sagt Venus Williams, "ist es ein Wunder, dass ich heute hier als Wimbledon-Siegerin stehe."

Dass Venus sich zur ersten farbigen Siegerin in Wimbledon seit der legendären Althea Gibson (1957 und 1958) durchschlagen konnte und dass ein Siegeszug der kleinen Schwester Serena auch nur als Frage der Zeit erscheint, hat auch mit dem perfekten Drehbuch des heute millionenschweren Transportunternehmers Richard Williams zu tun. Der hatte verhindert, dass seine Töchter schon mit 14 oder 15 Jahren in den internationalen Nachwuchstenniszirkus einsteigen. "Um nicht kaputt zu gehen wie Jennifer Capriati oder Andrea Jaeger." Doch nicht allein die Sorge, dass es seinen Kinder wie jenen früh gescheiterten Kinderstars ergehen könnte, trieb Williams um. Der Stratege wusste, dass der Marktwert seiner "Cinderellas" steigen würde, je seltener er sie der Öffentlichkeit zeigte.

Der Aufstieg der Muskelmädchen, der im US-Open-Sieg von Serena im Herbst 1999 und dem Wimbledon-Erfolg von Venus gipfelte, ist vorbei. Die Geschwister Williams, die stets als die Zukunft des Damentennis bezeichnet wurden, sind nun engültig oben angekommen. Was Richard Williams während des Wimbledon-Finals als Botschaft der Familie auf eins seiner Plakate gekritzelt und auf dem Centre Court herumgezeigt hatte, könnte bald überall gelten: "Wir feiern eine große Party, und niemand kommt uns in die Quere."

Jörg Allmeroth

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