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Mindestens 20 Gedichte will Matt Harvey in Wimbledon schreiben.

© Graham Fudger

Wimbledon: Dichter dran

Matt Harvey ist der erste offizielle Turnierpoet von Wimbledon – er reimt über Schiedsrichter, Balljungen und Rasensorten.

Die Worte hüpfen über das Zeilenende: „For the game of lawn tennis there’s no better symbol than / Wimbledon“. Es ist ein kleiner, augenzwinkernder Reim, der eine große Tradition auf den Punkt bringt. Er stammt aus einem Gedicht des Autors Matt Harvey, der das diesjährige Turnier als offizieller „Championship Poet“ begleiten wird. Seit 1877 wird im Londoner Stadtteil Wimbledon Tennis gespielt, einen Turnierdichter aber gab es noch nie. „Wir suchen immer neue Wege, die Championships zu interpretieren,“ sagt Honor Godfrey, Kurator des Wimbledon-Museums, von ihm stammt die Idee für das Projekt. Er sei gespannt auf Harveys Perspektive auf die Veranstaltung – und auf die Reaktionen des Publikums auf die Gedichte.

Der 47-jährige Dichter, dessen leichtfüßige Texte regelmäßig im britischen Radio zu hören sind, ist entzückt über die Herausforderung: „Ich werde dafür bezahlt, die Atmosphäre aufzusaugen und Worte zu finden, um sie zu beschreiben“, sagt Harvey, „das ist doch eine tolle Position!“

Harvey hat sich verpflichtet, während der zwei Turnierwochen mindestens 20 Gedichte zu verfassen. In den Texten will er nicht nur sportliche Dramen verarbeiten, sondern auch die Traditionen des Turniers – wie die Erdbeeren mit Schlagsahne, von denen das Publikum jährlich rund 27 Tonnen verputzt.

Um sich rund um die Rasenplätze unbeanstandet bewegen zu können, hat Harvey sich extra einen beigefarbenen Leinenanzug gekauft. Denn in Wimbledon gilt nicht nur für die Spieler auf dem Platz ein strenger Dresscode – ihre Kleidung muss zu 90 Prozent weiß sein –, auch das Publikum kommt traditionell förmlich gekleidet. In seiner Tasche, sagt Harvey, führe er daher immer auch eine gelbe Krawatte mit sich, für den Fall, dass er mal in den Mitgliederbereich eingeladen wird. Da herrsche nämlich Schlipspflicht.

Während er mit dem Notizbuch in der Hand auf dem Turniergelände herumläuft, sammelt der Autor Wörter, Sätze, Ideen – die sich dann, irgendwann, „zu Gedichten vereinigen“, wie Harvey sagt. Gerade hat er eines über die Balljungen und Ballmädchen vollendet, er fand es faszinierend, wie hart und kompliziert ihr Training ist. Auch über die „Kontaktlinsen der Schiedsrichter“ plant er einen Text, und einen über die schönen Namen der Rasensorten, die „Jessica“, „Pontiac“ oder „Evita“ heißen.

Warum ausgerechnet ein Dichter eingeladen wurde, das älteste Tennisturnier der Welt zu beschreiben? „Es ist die besondere Aufmerksamkeit für Worte“, sagt Harvey. Journalisten liefen in Wimbledon schließlich viele herum. Ein Dichter aber habe einen anderen Blick, und mehr Freiheit im Umgang mit Sprache. „Ich destilliere die Realität“, sagt Harvey.

Die fertigen Gedichte wird der erfahrene Stand-up-Poet live auf dem Gelände vortragen, aber auch aufnehmen und ins Internet stellen, abrufbar über die Homepage des britischen Dichternetzwerks „The Poetry Trust“. Zudem will Harvey über seine Wimbledon-Zeit bloggen und twittern – das altehrwürdige Turnier ist offensichtlich im Multimedia-Zeitalter angekommen.

Harvey kannte Wimbledon allerdings schon, als das Internet noch gar nicht erfunden war. 1978 war er das erste Mal auf der Anlage, auf einem Schulausflug schmuggelte der damals 15-Jährige sich ins Publikum. Damals kam ihm der Centre Court größer vor, erinnert Harvey sich, respekteinflößend findet er ihn aber noch immer. Zumal der Tennisfan auch selbst spielt – „aber nur im Park, ich bin in keinem Klub“. Gerade deshalb macht ihn seine neue Rolle stolz: „Mir ist bewusst, dass dies das einzige Mal sein wird, dass ich in Wimbledon der Erste bin – in irgendetwas.“

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