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Sabine Lisicki ist die letzte verbleibende Deutsche in Wimbledon.

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Wimbledon: Katerstimmung im deutschen Frauentennis

Die Euphorie, die in den vergangenen zwei Jahren um das Quartett aus Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Andrea Petkovic und Julia Görges aufkam, ist mittlerweile deutlich abgeflaut In Wimbledon ist nur noch Lisicki mit dabei.

Angelique Kerber war den Tränen nahe. Sie kämpfte dagegen an, wie sie sich zuvor schon gegen Kaia Kanepi auf dem Rasen von Court No. 2 gewehrt hatte. Dort war es jedoch vergebens gewesen. Kerber hatte mit 6:3, 6:7 und 3:6 gegen die Estin noch verloren, obwohl ihr im Tiebreak nur zwei Punkte zum Sieg fehlten. „Ich konnte nichts machen“, sagte Kerber, und sie klang verzweifelt, „sie hat alles getroffen.“ Es fiel Kerber schwer, die richtigen Worte zu finden, für etwas, das sie selbst scheinbar nicht recht begreifen konnte. Vor einem Jahr stand sie in Wimbledon noch im Halbfinale, nun war sie plötzlich in der zweiten Runde draußen. Achtzehn Monate lang ist es für die 25 Jahre alte Kielerin nur steil nach oben gegangen, und so spürte sie diesen ersten, herben Rückschlag nun umso heftiger. „Mir war immer bewusst, dass es irgendwann passieren würde“, sagte sie mit zittriger Stimme, „aber ich brauche sicher eine Weile, um das zu verkraften.“

Betrübt und ratlos verließ die beste deutsche Spielerin den All England Club, und fast allen ihrer sieben Kolleginnen, die mit ihr im Hauptfeld von Wimbledon angetreten waren, erging es ähnlich. Nur noch Sabine Lisicki ist dabei, die Berlinerin schaffte mit einem 4:6, 6:2 und 6:1-Sieg gegen Samantha Stosur den Einzug ins Achtelfinale. Bei den Männern ist Thomas Haas nach seinem 4:6, 6:2, 7:5 und 6:4-Erfolg über Feliciano Lopez der letzte verbliebene Deutsche im Wettbewerb.

Bei den Männern sind solche Ergebnisse längst die Regel, das deutsche Frauentennis indes steht an einem sensiblen Punkt. Denn die Euphorie, die in den vergangenen zwei Jahren hierzulande um das Quartett aus Kerber, Lisicki, Andrea Petkovic und Julia Görges aufkam, ist mittlerweile deutlich abgeflaut. Die großen Erfolge bei den Grand Slams konnte keine von ihnen bisher erbringen. Petkovic war als Erste vorgeprescht und hatte die Top Ten gestürmt, doch dann wurde sie Dauergast in Reha-Zentren. Sie kämpft um den Anschluss, um die zweite Chance für ihre Karriere, und in Wimbledon gab es auch erste Lichtblicke. Für die Rückkehr zu alter Stärke aber braucht die derzeit 75. der Rangliste Zeit und viel Geduld.

Von der Jägerin zur Gejagten: Angelique Kerber schaffte es auf Platz fünf der Weltrangliste

Kerber vermochte die Lücke nach dem Ausfall von Petkovic zu schließen, obwohl Lisicki und Görges eigentlich mehr zugetraut wurde. Kerber spielte sich Ende 2011 überraschend bis ins Halbfinale der US Open vor und legte danach einen rasanten Aufstieg hin: bei 82 Matches brachte sie es in der vergangenen Saison auf 60 Siege, gewann zwei Titel und spielte sich bei den French Open ins Viertel- und in Wimbledon ins Halbfinale. Am Ende schaffte es Kerber auf Platz fünf der Weltrangliste – besser war seit Steffi Graf 1996 keine deutsche Spielerin mehr gewesen. Doch diese Leichtigkeit ist bei Kerber längst dahin. Sie muss für Siege mehr kämpfen, und nun ist sie nicht mehr Jägerin, sondern Gejagte. „Ich gewöhne mich langsam an diese Rolle“, sagte sie, „und ich versuche, nicht an die Punkte zu denken, die ich verteidigen muss.“ Doch das sind inzwischen eine ganze Menge. Nach ihrem frühen Aus in Wimbledon wird sie zwar nicht aus den Top Ten rutschen, doch der Abstand zu den anvisierten Rängen vier bis sechs ist nun gewaltig.

In den nächsten Wochen und Monaten muss sie sich beweisen. Dass Kerber in dieser Saison erstmals mit schweren Verletzungen zu kämpfen hatte, war ungewohnt für sie und nahm ihr den Rhythmus und damit ihre Konstanz. Auch Lisicki und Görges plagten sich oft mit Blessuren und konnten deshalb nicht mehr an ihre besten Leistungen heranreichen. Lisicki hatte sich zudem zuletzt mit Trainerwechseln aus dem Konzept gebracht. In Wimbledon wirkt sie zumindest wieder gefestigter. Das deutsche Quartett weckte mit seiner frechen Ouvertüre schnell Begehrlichkeiten. Sie zu erfüllen, ist aber wohl doch weit schwerer, als gedacht.

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