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Sport: „Wir brauchen uns wahrlich nicht zu verstecken“

Michael Ballack über taktische Varianten im deutschen Spiel und den Wert des Sieges gegen Portugal

Herr Ballack, was hat den Ausschlag für den Sieg gegen Portugal gegeben?

Wir waren gut drauf, ganz einfach. Nein, wir haben auf den Punkt hin frisch gewirkt, wir waren im Kopf klar, wir wussten, was zu tun war und sicherlich haben uns auch die Umstellungen geholfen.

Ein Stürmer wurde zu Gunsten eines Fünfer-Mittelfelds geopfert. Die Portugiesen wirkten überrascht von dieser Taktik.

Wir waren dadurch präsenter im Mittelfeld. So haben wir da mehr Kontrolle gehabt, und logischerweise auch bisschen mehr Ballbesitz. Das war heute wichtig gegen die Portugiesen, die ja gerade im Mittelfeld in Punkto Kreativität und Technik sehr stark sind. Mit der Umstellung haben wir dort einen Ausgleich, ein Gleichgewicht geschaffen.

Wieso hat das neue System sofort funktioniert – dazu noch gegen einen solch starken Gegner?

Wir sind eingespielt in dem 4-4-2-System, wie wir es in den letzten Monaten und Jahren gespielt haben. Das hat im Wesentlichen auch gut funktioniert. Aber man hat gerade in den letzten Spielen gegen Kroatien und Österreich gesehen, dass uns irgendwo so ein bisschen die Kreativität, die Spritzigkeit, die Ideen und die gedankliche Frische gefehlt haben. Wir waren vielleicht einen Tick zu statisch in diesem System. Da hat eine kleine Veränderung gut getan.

Inwiefern?

Die ganze Mannschaft hat von der Umstellung profitiert. Die Spielanlage war anders. Vor allem zeigt es uns, dass wir etwas anderes spielen können. Die kreativen Spieler haben wir dazu.

Wie ist es zu diesem Systemwechsel gekommen? Haben Sie mal mit dem Trainer gesprochen?

Wichtig ist doch, dass der Trainer so entschieden hat. Ich denke, man muss nicht gleich von einem großen Systemwechsel sprechen. Es geht doch darum, dass die Spieler, also dass wir selbst auf dem Platz Verantwortung übernehmen. Wenn wir beispielsweise mit zwei Stürmern spielen, dann muss der eine ein bisschen hängend stehen, sonst bringt es wenig. Es kommt darauf an, dass jeder für sich erkennt, was in der Situation am besten für die Mannschaft ist.

Die Spieler müssen mehr denken?

Du brauchst dieses Denken heute in der europäischen Spitze. Wenn es mal nicht so läuft, muss man in der Lage sein, ein bisschen umzustellen. Es reicht manchmal schon eine andere Interpretation deiner Rolle, kann aber auch mal ein Positionswechsel sein. In der Vorrunde haben wir ein bisschen statisch gewirkt. Ohne dass wir enttäuscht hätten, aber um den Titel zu gewinnen, brauchen wir mehr Flexibilität und Präsenz und Stärke im Mittelfeld. Das haben wir gegen die Portugiesen ganz gut gemacht.

Ist das der wichtigste Sieg seit der WM?

Natürlich ist auch die Qualifikation wichtig, damit man überhaupt zu einem solchen Turnier kommt. Aber wenn man bei einer EM das Viertelfinale gewinnt, ist das ein wichtiger Schritt. Dieser war noch wichtiger: Wir haben gut gespielt und immerhin Portugal bezwungen. Das ist doch was.

Welche Erkenntnis ist dabei wichtiger: Die, dass Miroslav Klose endlich mal ein Tor geschossen hat, oder die, dass die Mannschaft auch in einem anderen System erfolgreich spielen kann?

Gute Frage. Das Wichtigste überhaupt ist, dass möglichst viele Spieler ihre beste Form haben oder finden. Ansonsten haben wir keine Chance hier, den Titel zu gewinnen. Jetzt haben wir einen Schritt nach vorne gemacht, auch individuell. Dass wir drei Tore erzielt haben, zeigt, dass wir offensiv guten Fußball spielen können. Wir besitzen die Kreativität, die uns im internationalen Vergleich oft abgesprochen wurde.

Kann Deutschland so die EM gewinnen?

Wir sind zu dem Turnier mit einem gewissen Anspruch gefahren. Und dieser besteht weiterhin. Die Mannschaft hat jetzt gesehen, dass wir das Zeug dazu haben, gegen starke Mannschaften gut zu spielen und zu bestehen. Wir brauchen uns hier wahrlich nicht zu verstecken.

Dann haben die Kritik nach der Vorrunde und die interne Aussprache gefruchtet?

Die Kritik war nach dem Kroatienspiel da und auch berechtigt. Trotzdem ist wichtig, dass man seiner Linie treu bleibt, dass man weiß, was man kann. Gegen Österreich war es ein bisschen ein spezielles Spiel, in dem wir eigentlich nur verlieren konnten. Es ging nach diesen beiden Spielen ein bisschen bergab mit Rückenwind. Wir waren aus der Favoritenrolle weggerückt. Jetzt haben wir sie natürlich wieder. Mit einem guten Sieg gegen einen guten Gegner ist man schnell wieder in einer anderen Position. Damit muss die Mannschaft jetzt genauso umgehen können. Wir sollten jetzt nicht denken, dass wir hier die Besten sind.

Die Fragen stellte Michael Rosentritt.

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