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Sport: „Wir entscheiden intuitiv“

Herthas Trainer Götz und Thom über ihre Rollen, Freundschaft und getrennte Wege von Ost nach West

Herr Götz, Herr Thom, warum ist die morgen endende BundesligaSaison für Hertha BSC eine erfolgreiche?

GÖTZ: Schauen Sie auf die Tabelle. Und schauen Sie auf die Tabelle zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr.

THOM: Das Erreichen eines internationalen Wettbewerbs, egal welcher es wird, ist das Ergebnis der Arbeit über ein ganzes Jahr. Das ist eine Art Belohnung.

GÖTZ: Wir sind belächelt worden, als wir gesagt haben, Ziel ist nur ein einstelliger Tabellenplatz. Insgeheim dachte jeder, dass diese Mannschaft einen Spitzenanspruch haben kann. Das haben wir unter Beweis gestellt. Jetzt geht es darum, die Champions League zu erreichen.

Wie sehen Sie sich: als Glücksfall für Hertha BSC, oder ist Hertha ein Glücksfall für das Trainergespann Falko Götz und Andreas Thom?

GÖTZ: Sowohl als auch. Wir sind beide Berliner und haben eine hohe Identifikation mit dem Verein. Wir kennen uns seit vielen Jahren, da sind bestimmte Abläufe automatisiert. Ich muss manchmal gar nichts sagen, und der Andreas weiß genau, was ich will. Durch unsere lange Bekanntschaft, ja Freundschaft, wissen wir beide, wie wir ticken.

Wir wollen über das persönliche Verhältnis von Trainer und Kotrainer sprechen. Ihre Beziehung ist gekennzeichnet von wichtigen Begegnungen miteinander.

THOM: Na, jetzt wird es ja interessant.

Beide waren Sie Spieler beim BFC Dynamo. Beim Europapokalspiel 1983 in Belgrad flüchteten Sie, Herr Götz, über die bundesdeutsche Botschaft in den Westen. Und Sie, Herr Thom, rückten dadurch in die Mannschaft.

GÖTZ: Für Andreas war das damals der Start in eine große Karriere. Er war ein junger, ruhiger Typ. Von dem haben alle gesagt, er sei ein Riesentalent. Aber ich habe ihn gar nicht recht bemerkt.

THOM: Ich hatte tierisch Respekt. In der ersten Mannschaft hatte ich nur fünf Minuten gespielt, in der Oberliga gegen Jena.

GÖTZ: Für das Rückspiel in Belgrad hast Du gar nicht bei uns mittrainiert.

THOM: Stimmt. Und dann hatten wir keine Zeit mehr, uns kennen zu lernen.

Umso emotionaler fiel Ihre zweite Begegnung aus, kurz nach dem Mauerfall.

THOM: Genau. Ich war ja der erste DDR-Spieler, der offiziell in den Westen wechselte – zu Bayer Leverkusen.

GÖTZ: Kein Wunder. Du warst ja im Ostfußball allgegenwärtig.

THOM: Der Vertrag wurde im Dezember ’89 unterschrieben. Rüber bin ich im Januar. Du warst damals in Köln, und wir haben uns einen Tag später getroffen.

Was haben Sie bei Ihrem Wiedersehen empfunden?

THOM: Ich war froh, dass Falko so schnell Kontakt zu mir aufgenommen hat. Für mich war alles Neuland.

GÖTZ: Ich habe mich wahnsinnig für ihn gefreut und ihm Hilfe angeboten: die Behördengänge, der Ämterkram. Später haben wir ein Bierchen getrunken. Ich habe damals neben einer kleinen Dorfkneipe gewohnt, da haben wir uns getroffen.

Wie viel Vergangenheit spielt heute in Ihrer Arbeit eine Rolle?

GÖTZ: Die Basis unserer Philosophie liegt im Ausbildungsfußball vom BFC. Ich glaube, dass wir eine sehr edle Ausbildung genossen haben. Unsere Lebenserfahrung spielt in der Führung der Mannschaft eine große Rolle. Das heißt nicht, dass wir immer derselben Meinung sind. Wir fetzen uns schon mal.

Wann haben Sie sich das letzte Mal durchgesetzt, Herr Thom?

THOM: Wir diskutieren unterschiedliche Meinungen ganz sachlich aus.

GÖTZ: Es gibt fast täglich Momente, da sagt er mir: Lass uns doch die Dinge so machen. Das ist ein Geben und Nehmen.

Anders gefragt: Sie, Herr Götz, waren ein Spieler, der sich alles hart erarbeiten musste. Sie, Herr Thom, besaßen außergewöhnliches Talent und wurden populärer. Heute aber sind Sie der Assistent von Falko Götz.

GÖTZ: Er war einer der besten deutschen Spieler überhaupt, aber vom Wesen ist er ein ruhiger Typ geblieben. Das, was er sagt, sitzt. Aber er tut es selten.

THOM: Sicherlich kommt mir zugute, dass ich auf dem Platz noch was vormachen kann. Ich versuche immer mehr, den Spielern Dinge auch verbal rüberzubringen. Ich fühle mich in meiner Rolle als Kotrainer unter Falko Götz äußerst wohl. Das kommt meinem Naturell entgegen.

GÖTZ: Ich bestärke ihn jeden Tag in den Teamsitzungen, sich mehr einzubringen. Er hat ja ein solches Wissen und solche Erfahrung. Seine Qualität ist die individuelle Arbeit mit dem Spieler. Ich sehe ihn in einer Position zwischen Spielern und Trainer. Er hat eine klare Meinung. Aber: Ich bin der Chef, ich muss die Entscheidungen treffen.

THOM: Falko Götz weiß jeden einzelnen Spieler gut einzuschätzen und so zu knipsen, das er das Optimale rausholt. Das war schon so, als wir den Job vorübergehend übernommen haben und er das erste Mal Trainer war.

Finden Sie es nicht komisch, dass ausgerechnet zwei Ost-Berliner den Westverein Hertha nach oben führen?

GÖTZ: Wir sind beide erfahrene Spieler, die sich im Osten wie im Westen sportlich durchgesetzt haben. Ich habe schon als Jugendkoordinator hier bei Hertha wesentliche Dinge aus meiner Ausbildung einfließen lassen, die Konzepte für die Hertha-Akademie haben viel damit zu tun – die Parteiversammlungen lassen wir natürlich weg. Ich glaube, was uns die Spieler abnehmen, ist die Fachautorität. Wir versuchen einen Fußball zu spielen, der den Stärken der Spieler entgegenkommt.

Das müssen Sie uns erklären.

GÖTZ: Wir wollen, dass die Spieler auf dem Platz gut aussehen. Dazu gehört, dass sie auf den Positionen spielen, auf denen sie ihre Stärken haben. Das verpacken wir in ein vernünftiges System, mit klaren Anforderungen an Defensive und Offensive. Jedes Spiel dient dann der Optimierung.

THOM: Im Gegensatz zu früher hat sich der Fußball doch sehr verändert. Wir haben heute eine große Gruppe von 26 Spielern. Es hängt viel vom persönlichen Tageseindruck ab. Manchmal hast du dir Übungen vorgenommen und entscheidest oft intuitiv um.

Beim BFC Dynamo wurde intuitiv entschieden?

THOM: Die Gruppe war da wesentlich kleiner, aber Trainer Bogs hat auch intuitiv entschieden, aber ja doch.

GÖTZ: Also, ich habe bei Dynamo gelernt, meinen Schweinehund zu überwinden. Manchmal habe ich mich gefragt, ob der Trainer überhaupt ein Gefühl hat. Wir haben damals grenzwertig trainiert. Bei der Saisonvorbereitung wurde täglich an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit gegangen. Das könnte man heute gar nicht mehr machen, da springen dir die Spieler im Viereck.

Heute trainieren Fußballer anders?

GÖTZ: Alles, was ich im Westen kennen gelernt habe, erschien mir wie ein Klacks. Manchmal stand ich als Spieler auf dem Platz und habe mich gefragt, was machen die hier eigentlich. Heute arbeiten wir viel enger mit der Wissenschaft zusammen. Aber mit der Wissenschaft kommst du bis zur 80. Minute, nach der 80. Minute kommst du nur weiter mit der Bereitschaft, deinen eigenen Schweinehund zu überwinden.

THOM: Heute kann jeder Bundesligaspieler seine Marktposition einschätzen und sagen, er möchte hier oder da spielen. Das konnte ich damals nicht. Ich hätte mir vorstellen können, irgendwo anders zu spielen, aber ich wollte mein Land nicht verlassen – vor allem wegen meiner Familie. Falko hat es damals gemacht. Da war ich 18.

Sie beide haben sich in beiden Systemen durchgesetzt. Macht Sie das stärker?

GÖTZ: Stärker? Ich weiß nicht. Ich bin groß geworden an der Sonnenallee, auf der anderen Seite. Jeden Morgen hab ich gesagt, da drüben will ich mal sein. Als ich im Westen war und es von der anderen Seite sah, konnte ich nicht auf die andere Seite zu meiner Familie. Verstehen Sie, ich war immer in der Situation: Die eine Sache geht, die andere nicht. Das ist aufgesprengt worden durch den Mauerfall. Mich hat die Wende wirklich frei gemacht.

THOM: Für beide Welten galt: Talent allein reicht nicht aus. Und du kannst dich nicht auf fremde Hilfe verlassen. Heute bin ich schon viel mutiger – da lerne ich von Falko Götz.

Das Gespräch führten Robert Ide und Michael Rosentritt.

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