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Mia Hamm, 39, ist eine der bekanntesten Sportlerinnen der USA. Mit dem Fußball-Nationalteam holte sie 1991 und 1999 den WM-Titel.

© Getty Images

Sport: „Wir fingen bei Null an“

Mia Hamm erklärt die Leidenschaft der USA für den Frauenfußball, warum beinahe ein Film nach ihr benannt wurde und warum sie Steffi Jones gut kannte – und trotzdem nur wenig über sie wusste

Frau Hamm, auf Ihrem WM-Plastikausweis steht unter Vorname: Mariel Margaret. So nennt Sie doch niemand ernsthaft?

Doch, doch, meine Mutter, aber nur, wenn Sie streng sein will und etwas Wichtiges mit mir zu bereden hat. Ich höre das dann schon an ihrem Ton: Mariel, kommst du mal...! Aber sie war es auch, die mir meinen Spitznamen gegeben hat. Meine Mutter hat früher Ballett getanzt, und eine ihrer Lieblingstänzerinnen war eine Ballerina namens Mia. Also hat sie mich auch so genannt.

Ihr Name ist ein Markenzeichen. Zu Ihrer aktiven Zeit waren Sie in den USA so bekannt wie Zidane und Ronaldo zusammen. Sie sind in Werbespots mit Michael Jordan aufgetreten, Nike hat einen Schuh nach Ihnen benannt, und der Film Kick it Like Beckham sollte in Amerika ursprünglich Move it Like Mia heißen.

Ja, aber glauben Sie bitte nicht, dass das meine Idee war. Die Filmverleiher wollten damit die Vermarktung in den USA ankurbeln. Es hat mich auch nie jemand gefragt, ob der Film meinen Namen tragen soll, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das so toll gefunden hätte. Egal, vergessen und vorbei, aber der Film ist sehr schön.

Sie haben ihn wahrscheinlich tausendmal gesehen.

Nein, ich habe ihn genau einmal gesehen. Im Kino, wie alle anderen. Großartige Geschichte, wirklich sehr schön.

In dem Film geht es um eine junge Londonerin indischer Abstammung, die sich gegen den Widerstand ihrer Eltern für eine Fußballkarriere entscheidet. Das große Vorbild dieses Mädchens ist Mia Hamm. Hat man Ihnen damals eine kleine Rolle angeboten? Sie hätten ja sich selbst spielen können.

Nein, nein, ich weiß, wo meine Talente liegen. Ich bin eine Sportlerin, keine Schauspielerin.

Hat Kick it Like Beckham etwas verändert für den Frauenfußball?

Ich glaube nicht so sehr, jedenfalls nicht in den USA, nur da kann ich das beurteilen. Kick it Like Beckham war kein Film für die USA, mehr für den Rest der Welt.

Weil der Frauenfußball bei Ihnen sich schon so sehr von dem der Männer emanzipiert hat? Die amerikanischen Frauen sind sehr viel erfolgreicher als die Männer. Sie waren Weltmeister und Olympiasieger, auch bei dieser WM in Deutschland zählen die USA zu den großen Favoriten. Davon können die amerikanischen Männer nur träumen.

Das stimmt, aber es hat ganz einfache und logische Gründe. Fußball hat bei uns keine so große Tradition wie bei euch in Europa. Wir haben dieses Spiel sehr spät kennen gelernt, es war offen für Jungen und Mädchen, wir haben beide bei Null angefangen, und im Gegensatz zu den Jungen war für uns Mädchen die Alternative Eishockey, Football oder Baseball nicht sehr attraktiv. Und vergessen Sie nicht: Fußball ist ein billiges Spiel, Sie können es in Tennisschuhen spielen, und brauchen nur jemanden, der einen Ball hat. Da kommt der Zulauf wie von selbst. Auch deswegen spielen so viele Mädchen in den USA Fußball.

Dennoch: Haben Sie als ballsportbegabte Athletin nicht irgendwann mal bedauert, dass Sie sich nicht einen anderen Sport ausgesucht haben? Sie hätten eine noch viel größere Popularität erreichen können.

Pardon, aber nicht ich habe mir diesen Sport ausgesucht, er hat mich ausgewählt, und zwar nicht in den USA, sondern in Europa.

Wie und wann und wo?

Das war Mitte der siebziger Jahre. Ich war zwei, zweieinhalb Jahre alt, und wir waren mal wieder unterwegs, wie so oft, mein Vater war beim Militär, unsere Familie ist andauernd umgezogen. Damals haben wir in Italien gelebt, in Florenz. Eine wunderschöne Stadt. Mein Vater hatte viele italienische Freunde, sie haben ihn mit zum Fußball genommen, das war ein Spiel, von dem er noch nie gehört hatte. Und er war sofort begeistert, von der Stimmung im Stadion, von der Leidenschaft, die ihr in Europa für dieses Spiel empfindet. Das hat ihn tief beeindruckt. Diese Begeisterung hat er an uns Kinder weitergegeben.

Ihre Fußballkarriere hat in Italien begonnen?

So sagen es meine Eltern. Meine Erinnerung reicht nicht so weit zurück, aber meine Mutter erzählt mir immer noch, dass ich jeden Tag im Park mit den italienischen Jungs gespielt habe, dass ich nicht genug bekommen konnte. Wir haben zu Hause ein paar Fotos, ich müsste mal wieder nachschauen, ob man mich darauf mit dem Ball sieht.

Damals war Fußball in den USA noch weitgehend unbekannt.

Richtig, aber mein Vater hatte Feuer gefangen. Aus Italien sind wir nach Texas gezogen, und dort hat er meine älteren Geschwister trainiert. Wir waren sechs, ich war die Jüngste und noch zu klein, um in einer Ligamannschaft mitzuspielen. Das durfte man erst ab fünf. Also bin ich jeden Tag mit zum Training und habe zugeschaut und die Bälle eingesammelt, immer in der Hoffnung, dass auf dem Platz mal einer fehlt und mein Vater mich mitspielen lässt. Irgendwann durfte ich dann richtig dabei sein, und weil ich so früh angefangen hatte, gehörte sich sofort zu den Besten. Das war sehr gut für mein Selbstbewusstsein.

Sie waren ein schüchternes Kind?

Glauben Sie mir, es ist nicht leicht, wenn der Vater beim Militär ist und die Familie andauernd umzieht. Sie müssen immer wieder neue Freunde kennen lernen und sich auf neue Situationen einstellen. Die anderen Kinder brauchten nicht mich, aber ich brauchte sie. Dabei hat mir der Fußball geholfen. Auf dem Platz war ich wer, ich war gut, so gut, dass die anderen mit mir spielen wollten. Das war unglaublich wichtig für mein Selbstbewusstsein. Über die Schiene Fußball habe ich vieles anderes ausgleichen können. Ich war ein guter Athlet, aber nicht immer eine tolle Schülerin.

Sie haben einen akademischen Abschluss in Politikwissenschaften.

Ja, aber Sie hätten mich mal in Mathematik erleben sollen. Oder nein, lieber nicht. Als ich Mitte der neunziger Jahre die Uni verlassen habe, stand ich vor der Frage: Willst du weiter Fußball spielen oder etwas anderes machen? Ich habe mich für den Fußball entschieden, aber auch nur, so ehrlich muss ich sein, weil Nike mir einen Werbevertrag angeboten hat. Das war nicht wirklich viel Geld, aber es hat mir die Möglichkeit gegeben, mich auf den Fußball zu konzentrieren. In der amerikanischen Profiliga konnten wir ja erst später Geld verdienen.

Das war zu Beginn des dritten Jahrtausends. Damals ist auch Steffi Jones als Profi nach Amerika gegangen. Heute ist sie Präsidentin des WM-Organisationskomitees.

Steffi ist eine großartige Frau. Ich kenne sie schon lange. Wir haben zusammen für Washington Freedom gespielt und sind dort Meister geworden.

Als Steffi Jones im Jahr 2002 aus Frankfurt nach Washington ging, hat sie gesagt: Das Größte ist, dass ich jetzt in einer Mannschaft mit Mia Hamm spielen darf.

Oh, vielen Dank, Steffi! Das ist typisch für sie. Steffi ist so ein unglaublich positiver Mensch, fragen Sie mal Spielerinnen aus der amerikanischen Mannschaft, jede bringt ihr allergrößten Respekt entgegen. Sie hat damals ein ganz neues Niveau in unsere Mannschaft gebracht, einen viel höheren Grad an Professionalisierung. So kannte sie das aus Deutschland, denn das ist ein Land, in dem Fußball sehr ernst genommen wird. Was sie uns vermittelt hat, war die Botschaft: Fußball ist euer Job, ihr müsst dafür leben. Sie hat nie ein Training verpasst, war immer mit Spaß bei der Sache und hatte jeden Tag den Ehrgeiz, besser zu werden. Wir alle haben viel von ihr gelernt. Ich auch.

Steffi Jones ist in sehr schwierigen Verhältnissen in Frankfurt aufgewachsen. Der Vater war amerikanischer Soldat und hat die Familie früh verlassen. Ihr Bruder hat in der US-Army gedient und im Irak-Krieg beide Beine verloren.

Steffi hat nie viel darüber geredet. Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht wollte, dass das in der Mannschaft ein Thema ist. Ich glaube, sie wollte nicht bemitleidet werden. Als sie im letzten Jahr zu Besuch bei uns in den USA war, hat sie ein bisschen was erzählt. Die ganze Geschichte kenne ich erst seit meinem Flug aus den USA hierher zur WM. Ich glaube, im Bordmagazin der Lufthansa habe ich mehr über ihr Leben erfahren als in unseren gemeinsamen Jahren in Washington. Aber so ist Steffi. Sie kommt nicht einfach daher und sagt: Hier bin ich, das ist mein Leben, das ist meine Geschichte. Aber schließen Sie daraus bitte nicht, dass Sie eine verschlossene Frau ist, ganz im Gegenteil. Schauen Sie sich die Begeisterung Ihrer Landsleute für diese WM an, und ich sage Ihnen: Das ist Steffis Werk. Dafür steht sie wie keine zweite!

– Das Gespräch führte Sven Goldmann.

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