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Ein kurzer Moment für die Ewigkeit. Mithat Demirel wurde vor allem durch sein Dribbling zum Pokalsieg 2003 in letzter Sekunde zu einem der Publikumslieblinge von Alba. Foto: p-a

© picture-alliance / ASA

Sport: „Wir müssen immer Meister werden“

Mithat Demirel löst Henning Harnisch als Alba-Manager ab. Zum Play-off-Start reden sie über Basketball, Krawatten und ihren Streit

Herr Demirel, es gibt eine Spielszene von Ihnen, die noch jeder Berliner Sportfan im Kopf hat. Es ging um 4,6 Sekunden.

DEMIREL: Ja, es war im Pokalfinale 2003, wir lagen gegen Köln zurück, die Zeit verrann. Wir haben noch einmal den Ball bekommen, und ich bin übers ganze Feld gedribbelt zum Sieg.

HARNISCH: Das sind große Augenblicke im Basketball, dramatische Entscheidungen in letzter Sekunde. Das fängt mit Michael Jordan an und seinem letzten Wurf gegen Utah in den NBA-Finals ’98. Man weiß schnell, wenn etwas mehr ist als nur: Da hat einer ein Spiel gewonnen.

DEMIREL: Als Spieler habe ich das gar nicht richtig mitbekommen, man will ja einfach nur gewinnen.

In der kommenden Saison werden Sie als Albas Teammanager mit Krawatte auf der Bank sitzen, Herr Demirel. Sie dürfen nicht aufs Feld, wenn das Team Sie braucht.

DEMIREL: Das wird noch ein Thema, ich habe ja erst in diesem Jahr meine Spielerkarriere beendet. Aber ich werde nach und nach Abstand gewinnen. Ich wollte nie mit 38 Jahren auf dem Feld stehen.

HARNISCH: Im Sport sind das Spielfeld und die Umgebung sehr dicht beieinander. Ich habe das durchlebt. Die Krawatte war für mich als Spieler kein Thema.

DEMIREL: Die Krawatte gehört halt dazu. Ich vertrete den Verein und trage Verantwortung. Alba hat den Anspruch zu gewinnen – nicht morgen, sondern heute und sofort. Darum war es auch so reizvoll, für diesen Verein zu spielen und jetzt die neue Aufgabe zu übernehmen.

Jetzt hören Sie sich an wie Ihr Vorgänger.

HARNISCH: Es ist unser Ziel, dass wir eine klassische und gute Übergabe hinkriegen. Im Profisport ist es nicht so häufig, dass einer seinen Posten räumt, ohne rausgekickt zu werden. Der fließende Übergang kann für den Verein von großem Nutzen sein. Im Moment telefonieren wir viel und treffen uns oft. Es gibt viele Arbeitsinhalte abzustimmen – Reiseplanungen, die Spielerdatenbank. Die Wahl der Krawatte war noch kein Thema.

DEMIREL: Wir haben uns schon früher ausgetauscht. Als Henning als Profi zu Alba kam, war ich ein junger Spieler. Auch als er nach seiner Karriere studiert hat, sind wir in Kontakt geblieben. Und wir haben beide das Glück, einen erfahrenen Marco Baldi über uns und mit uns zu haben. Jetzt führen wir andere Gespräche – sehr konkret, genau und intensiv.

HARNISCH: Wir kennen Alba beide sehr gut, haben ähnliche Ziele. Das ist eine hervorragende Grundlage. Es war schon früh klar: Mithat ist der Kandidat, Punkt.

Haben Sie sich auch schon gestritten?

DEMIREL: Ja, erst vor kurzem.

HARNISCH: Idiot! (lacht)

DEMIREL: (lacht) Im Ernst: Mit Kaffeetrinken und guter Laune kommt man nicht weiter. Man muss auch streiten können. Es ist wichtig, wie man da rausgeht.

Worum ging es denn?

HARNISCH: Profisport dreht sich auch darum, dass man einen inhaltlichen Kern, bestimmte Themen und Strategien, unter sich hält – aber bitte nicht an die Mafia denken. Das ist ein Lernprozess, muss sich einspielen. Als Spieler hat man eine einfache Sicht auf den Klub, das ist ja auch das Schöne daran.

DEMIREL: Ich habe eine neue Perspektive. Und es wäre falsch, alles verändern zu wollen. Natürlich gibt es einige Dinge, bei denen Alba sich anpassen musste. Da ist die Änderung der Ausländerregelung durch die Liga, die totaler Quatsch war. Meine Spielergeneration ist in Berlin aufgewachsen und hat dafür gekämpft, in die Mannschaft zu kommen.

HARNISCH: Es gibt in der Stadt die tiefe Sehnsucht, Berliner Jungs auf dem Feld zu sehen. Das wollen wir alle. Als ich 1998 aufgehört habe, konnte ein Team maximal zwei Ausländer einsetzen. Ein Jahrzehnt später braucht man nur drei Deutsche pro Team. Heute würde der 18-jährige Mithat mit Profis zwischen 23 und 35 konkurrieren, die besser sind.

DEMIREL: Es ist ein hochgestecktes Ziel, Berliner Talente bei Albas Profimannschaft zu integrieren. Aber wenn man so ein Jugendprogramm aufbaut wie wir, schafft man sich die Grundlage dafür.

HARNISCH: Wenn man immer den Anspruch hat, Erster zu werden, ist das eine Gratwanderung. Sehnsucht ist ein schwieriges Motiv für Profisport. Mich interessiert das Grundsätzliche: Basketball war früher viel mehr Mode. Wenn man heute auf Freiplätze geht, sieht man wenige Kinder Körbe werfen, sondern 25-Jährige, die in den Neunzigern angefixt wurden.

Herr Harnisch, ist Ihr Wechsel vom Sportdirektor zum Nachwuchs-Chef nicht trotzdem ein Karriereknick?

HARNISCH: Ich kann verstehen, wenn andere das so verstehen. In Deutschland gibt es scheinbar nur Profisport und Medaillensport. Alles, was dazwischen ist, hat wenig Wert und Status. Wenn man sagt, ich will mich freiwillig genau darum kümmern, wird man beäugt. Das ist mir aber wurscht. Ich bin gespannt, ob meine Themen ab Herbst noch irgendjemanden interessieren. Es wird ein Kampf.

Werden Sie jetzt zum Sportpolitiker?

HARNISCH: Sobald man gesellschaftliche Dinge anpackt, ist man im politischen Raum. Wo wird über Dinge wie Schulsport und Jugendtrainer nachgedacht? Es wird gesagt: Kinder bewegen sich wenig, daran sind Computer schuld. Und jetzt? Die meisten Leute, mit denen ich darüber rede, gucken gelangweilt.

DEMIREL: So wie wir gerade...

HARNISCH: Das kann nicht nur an meiner langweiligen Redeart liegen. Sondern weil es Inhalte sind, die vielen nicht wichtig erscheinen. Jetzt kann ich da bei Alba etwas aktiv gestalten. Und in zehn Jahren werden wir wissen, was dabei herausgekommen ist. Im Leistungssport gibt es ja diese Pyramide: 1000 Kinder fangen an – am Ende stehen zehn, die es bis zum Profi geschafft haben. Unser Ziel ist, dass am Ende alle 1000 rauskommen: als Spieler, Trainer, Schiedsrichter, die alle das Spiel in sich tragen.

Ist Ihr Abschied als Sportdirektor auch ein Schritt aus der Profimühle mit vielen Reisen zwischen Quakenbrück und Mariupol?

HARNISCH: Das Problem war eher, dass es inhaltlich nicht mehr aufging. Vor vier Jahren hatten wir zwei Jugendtrainer, jetzt sind es 50. Nicht erschrecken, Mithat: Ich war im Schnitt 120 Tage im Jahr nicht zu Hause. Dadurch konnte ich den Themen, den Personen und mir selbst nicht gerecht werden.

DEMIREL: Ich habe das ständige Reisen als Spieler 14 Jahre lang mitgemacht. Das ist wie mit den Krawatten: Es gehört dazu.

HARNISCH: Auf zwei Sachen musst du dich gefasst machen. Stets bin ich gefragt worden: Was machst du als Teammanager eigentlich? Das hat mich wahnsinnig geärgert. Und zum Zweiten: Das Leben mit Sieg und Niederlage ist als Spieler einfacher. Da nimmst du die Niederlage nicht so lange mit, gehst zum nächsten Training. Wenn man aber als Teammanager in Trier verliert, sitzt das auch körperlich ganz tief. Auf dieser Grundlage kann ich mir auch viel besser vorstellen, wie es zum Beispiel Michael Preetz gerade geht.

An Michael Preetz kann man sehen, dass nicht alle erfolgreichen Spieler sofort erfolgreiche Manager werden. Haben Sie die Sorge, das aufs Spiel zu setzen, was Sie sich in 14 Jahren als Profi erarbeitet haben?

DEMIREL: Über Hertha will ich nicht urteilen. Aber klar ist: Von alten Erfolgen kann man sich nichts kaufen. Mein Sportlerleben ist abgeschlossen, die 4,6 Sekunden zählen nicht mehr.

Was wollen Sie mit Alba erreichen?

DEMIREL: Wir müssen immer Meister werden, so ist das nun mal bei Alba. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren regelmäßig in der Europaliga spielen und ein paar Mal ins Final Four kommen, haben wir uns überragend entwickelt. Der Verein funktioniert auf höchstem Niveau. Mein Gefühl ist, dass Alba dafür international mehr Anerkennung bekommt als national.

Liegt das daran, dass zu den Eisbären Berlin mehr Zuschauer kommen?

DEMIREL: Es gibt in Europa ganz wenige Basketballklubs, die mehr Zuschauer haben als Alba.

HARNISCH: Die Eisbären haben eine einzigartige Geschichte, das kann man nicht kopieren. Aber Alba ist der einzige Profiklub der Stadt, der viele verschiedene Menschen zusammenbringt und sich nicht über Ost oder West definieren lässt. Ich glaube, Mithat meinte, dass Alba in Basketballkreisen international mehr Anerkennung bekommt. National muss man manchmal um jeden Pups kämpfen. Zuletzt hatten wir das Schiedsrichterthema, wo unsere Kritik nicht wirklich aufgegriffen wurde. Es fragt niemand nach.

DEMIREL: Es reicht einfach nicht, wenn Leute beim Thema Schiedsrichter sagen: „Ach, Alba ist doch sowieso besser. Die sollen sich mal nicht beschweren, die brauchen das nicht.“

Herr Demirel, stand es für Sie je zur Debatte, nach ihrer Karriere als Spieler auch für einen anderen deutschen Klub wie zum Beispiel Bamberg zu arbeiten?

DEMIREL: Meine Aufgabe führt mich dahin zurück, wo ich mit dem Basketball angefangen habe. Ich bin als Jugendlicher mit dem Fahrrad am Wochenende zu irgendwelchen Hallen gefahren, um mir Spiele anzugucken. Auch zu Albas Vorgängerverein DTV Charlottenburg, der in „Wit Boy“-Trikots in der Ringstraße trainiert hat. Damals dachte ich: Mann, wenn ich da mal spielen könnte. Der Traum ist in Erfüllung gegangen.

Was könnte als Teammanager für Sie ein neuer 4,6-Sekunden-Moment werden?

DEMIREL: Ich muss erst einmal den Alltag erleben, aber es wird bestimmt Dinge geben, die mich genauso befriedigen.

HARNISCH: Nein, so einen Moment gibt es nur als Spieler. Klarer, schöner und besser geht es nicht, deswegen lieben wir das Spiel ja so. Der Kick als Sportdirektor ist ein anderer, das hat nichts zu tun mit 4,6 Sekunden.

Das Gespräch führten Robert Ide und Lars Spannagel.

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