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Sport: Wir waren schon tot*

Mein WM-Moment (6) Deutschland liegt in der Verlängerung des Halbfinales schon 1:3 gegen Frankreich hinten, doch Klaus Fischer bringt sein Team per Fallrückzieher ins Elfmeterschießen

Gelegentlich werde ich gefragt, wie man eigentlich auf die Idee kommt, in der Verlängerung eines WM-Halbfinales mit einem Fallrückzieher ein Tor erzielen zu wollen. Ganz einfach: Auf eine solche Idee darf man gar nicht kommen. Die Situation hat es einfach verlangt. Es ging nicht anders.

Das Halbfinale gegen Frankreich bei der WM 1982 in Spanien ist für mich immer noch das beste und interessanteste Fußballspiel, das ich je erlebt habe. Schon die reguläre Spielzeit war richtig gut. In der Verlängerung wurde es dann noch besser. Welche Dramatik! Wir waren eigentlich schon tot, nachdem die Franzosen in der ersten Halbzeit zwei Tore zum 3:1 erzielt hatten; normalerweise holst du einen solchen Rückstand nicht mehr auf, und trotzdem hatten wir nie das Gefühl, das Spiel sei schon gelaufen. Eine deutsche Mannschaft gibt nicht auf. Notfalls gewinnt sie im Elfmeterschießen. So wie wir in Sevilla gegen die Franzosen. Elfmeter waren nicht meine Welt, trotzdem hätte ich als übernächster Schütze ran gemusst. Zum Glück blieb mir das erspart.

Erst einmal aber waren wir froh, dass wir überhaupt noch so weit gekommen sind. Karl-Heinz Rummenigge erzielte kurz vor der Pause der Verlängerung den Anschlusstreffer. Das hat uns noch einmal einen Ruck gegeben. Rummenigge war unser Kapitän, aber er hatte bei dieser WM mit Verletzungen zu kämpfen und war daher erst nach dem 1:2 als zusätzlicher Mann für die Offensive eingewechselt worden. Und auch wenn Rummenigge angeschlagen war – er war natürlich ein Spieler, der immer noch etwas bewegen konnte.

Eigentlich hätte es gar keine Verlängerung geben dürfen. Ich hatte in der regulären Spielzeit ein einwandfreies Tor erzielt. Warum der Schiedsrichter es nicht gegeben hat, weiß ich bis heute nicht. Andererseits: Wenn wir 2:1 gewonnen hätten, würde heute niemand mehr von dem Halbfinale gegen Frankreich sprechen – und damit auch nicht von meinem Fallrückzieher zum 3:3. Es war vielleicht das wichtigste Tor meiner gesamten Karriere. Das ist ein Moment, den man nie vergisst. Es sei denn, man bekommt Alzheimer. Das Tor ist später auch zum Tor des Jahres gewählt worden.

Bernd Förster spielt den Ball aus dem Mittelfeld hinaus auf die linke Seite zu Pierre Littbarski. Dessen Flanke fliegt Richtung zweiter Pfosten, wo Horst Hrubesch zum Kopfball hochsteigt. Der Winkel ist für ihn schon zu spitz, um direkt aufs Tor zu köpfen. Trotzdem laufen die französischen Verteidiger Richtung Tor – und lassen mich dadurch ungedeckt. Horst Hrubesch legt den Ball per Kopf zu mir zurück, ich stehe aber mit dem Rücken zum Tor. In einer solchen Situation darf man nicht überlegen, da muss man schnell handeln, sonst ist die Chance dahin. Mir bleibt gar keine andere Wahl, als es mit einem Fallrückzieher zu versuchen. Natürlich ist auch viel Glück dabei, dass ich den Ball mit dem rechten Fuß perfekt treffe.

Fallrückzieher sind so etwas wie mein Markenzeichen geworden: 1975 hatte ich für Schalke zum ersten Mal auf diese Weise getroffen, 1977 dann noch einmal in einem Länderspiel gegen die Schweiz. Vor kurzem, zum 60-Jährigen der ARD, sollte ich meine Spezialität noch einmal vorführen, das war überhaupt kein Problem. Speziell trainiert habe ich Fallrückzieher nie, aber den Bewegungsablauf habe ich heute noch drin.

Aufgezeichnet von Stefan Hermanns. Nächste Folge: Yannick Stopyra über das Viertelfinale 1986.

* WM 1982, Klaus Fischer

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