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Sport: „Wladimir fehlt die Härte“

Boxtrainer Fritz Sdunek über den Aufstieg der Klitschkos – und die Unterschiede zwischen Witali und seinem Bruder

Herr Sdunek, was machen die Klitschkos gerade?

Keine Sorge, die habe ich im Griff, ich habe gerade mit ihnen in Los Angeles telefoniert. Jetzt laufen sie.

Wie steuert man Boxer von der Ferne aus?

Bevor die beiden nach Amerika geflogen sind, haben sie von mir ihre persönlichen Trainingspläne bekommen. Einen Tag laufen, den nächsten Tag Krafttraining, anschließend Schlagschule. Das Programm ist hart. Am Montag fliege ich zu ihnen, dann beginnt die intensive Phase. Wladimir boxt am 10. April in Las Vegas gegen Lamon Brewster um die Weltmeisterschaft. Das passt. Witali macht eher zu viel, da müssen wir aufpassen. Bis zu seinem WM-Kampf gegen Corrie Sanders sind es noch sieben Wochen.

Sanders hat Wladimir Klitschko vor einem Jahr überraschend k.o. geschlagen und ihm den WM-Titel abgenommen.

Das weiß auch Witali. Er hat sich viel vorgenommen, ich muss ihn bremsen. Wer zu früh zu viel will, ist auch früher kaputt.

Zwischen beiden WM-Kämpfen liegen zwei Wochen. Witali ist der ältere und stabilere der beiden Brüder. Wäre es Ihnen lieber, wenn er zuerst boxen würde?

Nein, das ist egal. Wladimir weiß, was er will. Witali hat bei seinem WM-Kampf gegen Lennox Lewis…

…den er wegen einer Verletzung aufgeben musste…

… bewiesen, dass er es kann. Er ist momentan die größere Nummer von beiden.

Für wen von beiden wäre es bei einer Niederlage schwieriger zurückzukommen?

Wenn Wladimir noch einmal verlieren sollte, hat er es ganz schwer. Bei einer klaren Niederlage wäre der Ofen aus. Sollte er wieder durch k. o. verlieren, sollte er besser aufhören.

Beim WM-Kampf gegen Brewster werden Sie nicht allein in der Ecke stehen. Wladimir Klitschko hat den Amerikaner Emanuel Steward als zweiten Trainer verpflichtet. Empfinden Sie das als Vertrauensbruch?

Im Profiboxen ist es oft so, dass sich der Boxer den Trainer aussucht. In Amerika wechselt der Trainer nicht selten von Kampf zu Kampf. Wladimir hat mir am Telefon von seinen Plänen erzählt, und meine erste Reaktion war: Mit mir nicht! Ich habe ihn gefragt: „Was soll das? Hast du Angst, bist du unsicher, oder willst du mich zum Kasper machen?“ Aber Wladimir hat gesagt: „Fritz, bist du verrückt? Du bist für mich die Nummer eins, du bist der beste Trainer der Welt.“ Also habe ich mich darauf eingelassen, aber wenn ich merken sollte, dass das nicht geht, ist für mich Feierabend.

Was sagt Wladimirs Bruder Witali dazu?

Ich habe gerade mit ihm telefoniert. Er will auf jeden Fall mit mir zusammenarbeiten. Steward arbeitet nur mit Wladimir. Ich bin der Chef.

Wie soll das aussehen; Soll sich der Weltstar Steward ins zweite Glied stellen?

Kein Mensch wird als Startrainer geboren. Ich stelle mich heute noch zu meinen Trainern Michael Timm und Torsten Schmitz mit in die Ecke und sekundiere. Steward hat immer mal wieder gute Leute gecoacht, hat sich immer mal wieder bei guten Boxern reingehängt. Ich habe zehn Weltmeister gemacht, die ich selbst hochgebracht habe. Der nächste Kampf von Wladimir ist meine 75. Weltmeisterschaft. Ich denke schon, dass auch Wladimir Vertrauen zu mir hat.

Wie haben Sie die Klitschkos dazu gekriegt, Ihnen zu vertrauen?

Nur über Leistung. Ich habe ihnen den Sinn jeder Übung erklärt, warum das jetzt so und nicht so zu machen ist. Viel von dem, was wir hier gemeinsam gemacht haben, haben sie in ihre Doktorarbeit einfließen lassen. Wir haben abends stundenlang diskutiert. Das ist lustig mit den beiden, vor allem, wenn sie meinen Namen nennen, denn sie ziehen das i so schön lang: Frrriiiiitz.

Welche Rolle spielen dabei die Eltern der Klitschkos?

Die erkundigen sich regelmäßig bei mir. Neulich kam Wladimir zu mir und gab mir das Telefon. „Mama möchte dich mal sprechen.“ Sie sagt immer, dass ich außerhalb der Ukraine der Vater der beiden bin. Das ist für die Mutter sehr wichtig, denn sie sieht es ja nicht sehr gern, dass ihre Jungs boxen. Sie hat noch keinen Kampf gesehen, nicht mal vorm Fernseher. Sie war mal beim Training, aber als es zum Sparring kam, ist sie rausgegangen und hat sich massieren lassen. Und mit Vater Klitschko habe ich schon mal ordentlich einen gezwitschert. Wir sind ja quasi eine Liga, er ist nur eine Woche jünger als ich.

Ist die Arbeit mit den Klitschkos schwerer geworden?

Nein. Die erste Zeit war schwer. Da wollten sie nicht von ihrem sowjetischen Boxstil weg. Sie sind immer so umhergesprungen im Ring. Ich habe gesagt: Mein Gott, so steht ihr keine zehn Runden durch. Daran ist Wladimir in Kiew damals gescheitert…

…bei seinem ersten Profikampf daheim, den er gegen den Amerikaner Ross Puritty verlor.

Er hatte sich völlig ausgepowert. Das war lehrreich, denn so etwas wird ihm nie wieder passieren.

Sie sind damals in der elften Runde dazwischen gegangen und haben 15 000 Zuschauern den Lokalmatador aus dem Kampf genommen. Hat man Sie in Kiew beschimpft?

Nein, im Gegenteil. Man hat mich gefeiert. Da sind Leute auf mich zugekommen und haben gesagt: Du hast unseren Bruder gerettet. Sie haben es doch alle gesehen, dass es nicht mehr ging. Bevor er harte Schläge kassiert, habe ich den Kampf beendet. Wladimir war erst sauer, aber er hat sich dann am anderen Tag bei mir und vor aller Öffentlichkeit in aller Form entschuldigt.

Welche Niederlage war schlimmer: Die in Kiew gegen Puritty oder die in Hannover gegen Sanders?

Hannover, ganz klar. In Kiew hat er sich zwar vor seinen Landsleuten blamiert, aber danach ist er reifer geworden. Aber eine Weltmeisterschaft zu verlieren wie in Hannover, das ist schon hart. Vor allem, wenn man erkennt, woran es gelegen hat, dass nämlich die Niederlage völlig unnötig war. Daraus hat er hoffentlich gelernt, dass er sich im Vorfeld nicht einlullen lassen darf, von Journalisten und Freunden, die nur danach fragen, in welcher Runde er seinen Gegner ausknockt.

Könnte so etwas Witali auch passieren?

Nein, nie. Witali hat auch einen scheinbar leichten Kampf verloren, damals in Berlin gegen Byrd, aber das war ja eher ein Arbeitsunfall, die Sehne in der Schulter ist gerissen. Die Willensstärke von Witali ist enorm. Wie schnell er nach dieser Verletzung zurückkam, oder wie er die schlimmen Cuts aus dem Lewis-Kampf verkraftet hat. Das zeigt seinen Charakter und seinen Willen.

Was würde passieren, wenn beide getrennt voneinander wären, wenn der eine in diesem Boxstall und der andere in einem anderen Boxstall groß geworden wäre?

Das würde nicht gehen, sie würden getrennt voneinander nicht klarkommen. Sie sind wirklich unzertrennlich. Die machen sich gegenseitig so verrückt, der Große für den Kleinen und umgekehrt. Wenn der eine boxen muss, kommt der andere stündlich an und fragt: Frrriiiiitz, denkst du alles ist gut?

Wie sicher sind Sie sich, dass beide im April Weltmeister werden?

Die Chance ist für beide da. Es ist die Chance für beide ihren Traum zu erfüllen, zur selben Zeit Weltmeister zu sein. Und für mich ist es auch ein Traum, zwei Schwergewichtsweltmeister zu haben.

Beide Klitschkos waren schon einmal Weltmeister. Und beide haben ihre Titel verloren. Fehlt ihnen die Härte, große Champions zu werden?

Witali fehlt die Härte nicht. Denken Sie an den Kampf gegen Lennox Lewis, was er da ausgehalten hat. Der erste Cut kam in der dritten Runde. Und er hat sich gequält. Ich habe gesehen, wie seine Augenränder dick wurden vor Schmerzen. Dabei ist der Witali so schmerzunempfindlich. Als er sich nach einem Trainingslauf die Schuhe auszog, lief aus beiden Schuhen Blut raus. Das ist ein ganz harter Junge. Bei Wladimir denke ich schon, dass eine gewisse Härte noch fehlt.

Aber Wladimir gilt als der Talentiertere.

Ja, aber ich habe immer gesagt, dass Witali kommen wird. Wladimir ist von der Technik fast unschlagbar, aber Witali hat eine unheimliche Kraft.

Die Mischung aus beiden – wäre das der perfekte Boxer?

Witali allein ist schon ganz nah dran. Mit seinem Kampfstil kommt kaum einer zurecht. Es sieht alles nicht so elegant aus bei ihm, aber er ist unglaublich stark.

Was machen die beiden eigentlich am Tag eines Kampfes?

Sie gehen gerne ins Museum, sie wollen ihre Ruhe haben und wollen manchmal auch mich loswerden. In Atlantic City zum Beispiel sind die beiden zweieinhalb Stunden durchs Kennedy-Museum gegangen. Oder sie spielen eine Partie Schach.

Gegeneinander?

Nein, da muss immer der Masseur Matthias Böhme herhalten.

Das Gespräch führten Sven Goldmann und

Michael Rosentritt.

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