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Leben im Abseits: Vila Mimosa ist Rios Rotlichtviertel.

© ARC

WM 2014 - Brasiliens soziale Probleme: Das Leben im Abseits

Vila Mimosa? Nie gehört? Kein Wunder, das Rotlichtviertel passt so gar nicht ins Bild dieser WM, dabei liegt es unweit des Maracana. Hier gibt es Sex für wenig Geld – doch die Geschäfte laufen schlecht.

Bruna ist 28 Jahre alt und sie hat eine Tochter, die ist 14. Die Tochter ist zuhause und glaubt, ihre Mutter sei mit Freunden ausgegangen. „Aber sie ist auch nicht blöd und ahnt, dass das nicht stimmt. Ich bin hier, damit sie eines Tages nicht hierher kommt.“ Hier, das ist ein Ort mit dem schönen Namen Vila Mimosa. Ein schöner Ort ist es nicht.

Ein paar Fahrminuten vom Maracana-Stadion entfernt. Es geht unter einer Eisenbahnbrücke hindurch, dahinter Autowracks, Rockerclubs, ein toter Winkel der Stadt. Eine Straße, 500 Meter lang, Kopfsteinpflaster, darüber zieht beißender Rauch von Grillständen. In den Schwaden erkennt man halbnackte Frauen und Männer in Fußballtrikots. Brasilianer und Argentinier, Engländer, Franzosen. Vila Mimosa ist Rios Rotlichtviertel. Fernab der Copacabana und deshalb nicht vielen ein Begriff. Es hat etwas Schmuddeliges, dementsprechend niedrig sind die Preise. Vila Mimosa: der Puff des kleinen Mannes. Des WM-Reisenden mit schmalem Geldbeutel. Und der Frauen, die sich auf eigene Rechnung prostituieren, ohne Zuhälter. Beschützt von der Mafia. Sie beherrscht die Vila Mimosa, man bekommt sie aber nie zu Gesicht.

"Ich will nicht gerettet werden"

Die Mafia hat wohl auch verhindert, dass die Mimosa zur WM, anders als etwa zahlreiche Etablissements an der Copacabana, dicht gemacht wurde. Die verschlossenen Türen der Bordelle waren Teil einer neuen Stadthygiene. Saubermachen wollte in der Mimosa dann aber anscheinend niemand. Entlang der Gasse befinden sich kleine Bars, eine neben der anderen. Billardtische, Kickertische, Striptease-Stangen. Aus den Bars dröhnt durcheinander Favela-Funk und US-Rock. Frauen sitzen lässig auf Barhockern, lehnen an den Wänden, formen Kaugummis zu Blasen. Hier sitzen junge und alte Frauen, manchen kann man die vielen Jahre auf dem Strich ansehen, einige Frauen sind schwanger, einige vielleicht auch minderjährig. Hier ist ganz Brasilien im Querschnitt vertreten, jeder Fetisch kommt auf seine Kosten: Knappe Jeans, ausgeschnittene Tops, Bikinis – oder rein gar nichts außer Stöckelschuhe.

Es geht einen überdachten Gang entlang, noch mehr Frauen, noch mehr streunende Männer. Vor einer Bar steht eine junge Schwarze, lange Zöpfe, große Hipster-Brille, Converse-Sneaker, sehr schön. Neben ihr ein Mann, Glatze, rundlich, rotwangig, leicht schwankend. Die beiden sprechen eine Weile. Dann schwankt er weiter. Man spricht sie an. Sie heißt Bruna, und sie sagt: „Ich hoffe, du bist nicht so ein Gringo, der mich retten will. Ich will nicht gerettet werden.“ Der Glatzkopf war wohl Deutscher, und er wollte Bruna nicht mit aufs Zimmer nehmen, sondern mit nach Europa. „Er war schon sehr betrunken“, sagt Bruna. „Ein Romantiker!“

Bruna will nicht nach Europa. Sie will nicht mal ein Bier in dieser Nacht. Sie trinke nicht, sagt sie, hatte mal ein Alkohol-Problem, da war sie 20, Liebeskummer, Zerwürfnis mit der Mutter. Das ist acht Jahre her. Damals kam Bruna zum ersten Mal in die Mimosa, eine Freundin aus ihrer Favela hatte sie mitgenommen. Bruna ist nicht jede Nacht hier. „Nur wenn ich Geld brauche“, sagt sie, „wenn ich meiner Tochter etwas kaufen will, ein Videospiel, neue Schuhe“. Zurzeit laufe das Geschäft aber schlecht – „Ruim“, sagt sie. Die WM, mit der sie hier in Mimosa, diesem Strich im Abseits, große Hoffnungen verbunden hatten, ist eine Enttäuschung. Bruna sagt: „Die Argentinier sind arme Schlucker und glotzen nur. Die Deutschen wollen mich heiraten und die Engländer kommen zum Saufen.“

Sekretärinnen und Putzfrauen als Opfer des Systems

Tatsächlich ist es ein Mythos, dass Prostitution, Frauenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern bei sportlichen Großereignissen zunehmen. Neue Studien, etwa von der Universität Erfurt, belegen dies – und Wissenschaftler der Universität in Rio de Janeiro sagen sogar, dass das Geschäft unter der Weltmeisterschaft leide. Eher führen solche, von NGOs lancierten Berichte nämlich dazu, dass die Polizei die Prostituierten aus ihren angestammten Lokalen vertreibt. Es hat den Effekt, dass man ihre prekäre Stellung noch weiter schwächt. An der Copacabana kann man beobachten, wie die Mädchen nun während der WM unter freiem Himmel zusammenstehen, umkreist von neugierigen Fans, beobachtet von der Guarda Municipal.

Sie hat die Wahl.
Sie hat die Wahl.

© Lichterbeck

Bruna fährt nicht an die Copacabana. Sie ist ihr zu weit weg. „Eine Stunde im Bus stehen? Dafür müsste ich eigentlich Geld kassieren.“ Sie lacht. Bruna ist witzig. Vielleicht weil sie sich für privilegiert hält. „Ich habe mich noch nie verkauft“, glaubt sie, „ich gehe nur mit Männern, die mir gefallen“. Diese Haltung können sich andere nicht leisten. Die Preise, Verhandlungssache. Manche hier machen es schon ab 30 Reais, zehn Euro, 20 Minuten. Andere versprechen wildeste Praktiken und halten sich nicht daran. Einige bieten sich, gebrochen unter dem Konkurrenzdruck, gleich ohne Kondom an. „So bin ich nicht“, sagt Bruna, die sich ohnehin nicht als Hure betrachtet. Sie sagt: „Liebeshelferin!“ Und sowieso, sie hat ihre eigene Sicht auf sich, ihre Arbeit, das Frausein am Straßenrand: Die Vorstellung, dass sie ein Opfer des Systems sei, solle man sich aus dem Kopf schlagen.

Opfer seien Sekretärinnen und Putzfrauen, die sich jeden Morgen uniformiert in die Büros quälten, wo man ihnen den Mindestlohn zahle: 724 Reais, 240 Euro. Bruna verdient mehr, wie viel will sie nicht sagen. Nur dass sie Geld mag, verrät sie. Und sie lebe so, wie sie es wolle. „Mir redet keiner rein.“ Während sie erzählt, beobachtet sie, wie die Männer durch die Gänge ziehen, beäugt von einer viel zu großen Anzahl von Frauen. Dann geht sie ein paar Schritte, Instinkt, Erfahrung, sie weiß, wo und wie sie stehen muss. Plötzlich sind da drei Männer, halbe Jungs noch. Aus Dresden. Auf den Wangen die Schminke des Fanfestbesuchs. Nur mal so Frauen gucken. Einer sagt: Ola. Dabei bleibt es. Internationale Sprachlosigkeit.

Zwei Quadratmeter, ein Bett

Vor der WM berichteten viele Medien, dass Prostituierte in Belo Horizonte Englischunterricht nehmen würden. In Rio fand die Fortbildung offenbar nicht statt. Bruna war bei dieser WM schon mit einem Spanier zusammen. Er habe nicht schlecht ausgesehen, sei aber nicht gut im Bett gewesen. „Ich habe doch nichts gegen Spaß“, sagt sie. Den Spaß gibt es in der Etage über den Bars. In kleinen Kammern. Zwei Quadratmeter, ein Bett, nur mit Sperrholzplatten voneinander getrennt.

Man braucht viel Fantasie, um dort so etwas wie Erotik zu empfinden. Sagt Bruna. Lacht nicht mehr. Mit Männern aus sechs verschiedenen Ländern war sie schon oben. An einen Russen erinnert sie sich ungern. Er wurde rabiat, hatte zu viel Schnaps getrunken und kotzte dann aufs Bett.

Nun, zum Finale heute am Sonntag, rechnet Bruna mit einem Ansturm von Argentiniern auf die Mimosa. Sie nennt sie „Flüchtlinge“. Aber vielleicht sei ja ausnahmsweise mal ein Hübscher dabei. Sie ginge dann mit dem fußballerischen Erzfeind ins Bett. Egal. „Ich mache das ja“, sagt Bruna, „damit meine Tochter einmal auf die Uni gehen kann“.

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