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Mesut Özil will keine Kante werden.

© AFP

WM 2014 - Deutsches Team: Mesut Özil ist kein Anführer, aber trotzdem unverzichtbar

Mesut Özil ist sehr oft ein genialer Ästhet am Ball, aber manchmal scheint es so, als würde ihm die Wettkampfhärte abgehen. Ein Anführer wird er nie sein – und ist doch unverzichtbar.

Da ist nun plötzlich dieses Foto über Instagram aufgetaucht. Es zeigt Lukas Podolski und Mesut Özil in Reih und Glied mit bulligen Militärpolizisten. Die Arme vor der Brust verschränkt, Beine und Rücken stramm durchgedrückt. Eine heikle Motivwahl, die Podolski da in die digitale Welt gepostet hat. Weswegen der Schuss bei vielen nicht so gut ankam, wo doch die Polizei durch die Straßen Rios und Sao Paulos gegen Demonstranten rollt. Selbst hier im entschleunigten Fischerdorf Santo André, dem Ort des deutschen WM-Quartiers, kommen die vielen Maschinenpistolen nicht gut an.

Doch dieses Foto hat noch eine zweite Ebene. Zu gern würden die deutschen Fußballfans auf dem Spielfeld einen Özil mit gerecktem Kinn sehen.

Zuletzt hat Mesut Özil, dieser kunstvolle Kicker, oft ein anderes Bild abgegeben. Es ist ein Bild, das im Entstehen wohl immer den gleichen Auslöser hat. Wenn dem jungen Mann mit dem fast schon überirdischen Geschick im Fuß wieder etwas nicht gelungen ist. Es sind Szenen wie im Champions-League-Viertelfinale seines FC Arsenal gegen Bayern München, als er einen Elfmeter verschießt. Oder neulich im WM-Test gegen Kamerun, als er noch in der ersten Spielminute eine für ihn eigentlich todsichere Torchance versiebt. Es sind Szenen, die dem jungen Mann zu schaffen machen, die ihn fortan förmlich zu verschlucken scheinen und für den Rest des Spiels unsichtbar werden lassen.

Das Bild des Anstoßes. Macht man sowas?
Das Bild des Anstoßes. Macht man sowas?

© instagram.com/poldi_official

In seinen großen Momenten, und davon gab es zu Genüge, lässt Özil den Ball für den Gegner unsichtbar werden. Solche Szenen haben etwas Magisches, wenn er mal wieder einen Pass aus seinem linken Gelenk schüttelt, wie andere in der Manege Menschen verschwinden lassen. Für diesen Zauber sind schon Menschenmassen im Tempel des Fußballs von ihren Sitzen aufgesprungen, im Bernabeu, wo Real Madrid spielt und die verwöhntesten Zuschauer der Welt unterhalten werden wollen. Gleich zweimal in drei Jahren ist Özil bester Vorlagengeber in der Primera Divison geworden, bevor er für 50 Millionen Euro zum FC Arsenal musste.

Bundestrainer Löw fordert eine bessere Körpersprache von Özil

Doch dieses erste englische Jahr, das jetzt hinter ihm liegt, war nicht seins. Özil startete famos, bis er müde wurde und sein Spiel zerfiel. Özil verletzte sich, sechs Wochen Pause. Anschließend kam er langsam in Tritt, holte kurz vor der WM noch den FA-Cup, es war sein dritter Pokalsieg im dritten Land nach Deutschland (mit Bremen) und Spanien (Real Madrid). Nun ist er wieder geladen, wie er sagt, und will Deutschland zum Titel führen. Das heißt: Wenn Deutschland mitreden will bei der Vergabe des Weltpokals, braucht es einen großen Özil. Und er braucht dafür unbedingt ein großes Spiel.

Das wird er haben, wenn es nach Joachim Löw geht. Für den Bundestrainer ist der 25-Jährige immer noch derjenige, der „die entscheidenden Bälle in die Spitze“ spielen könne, der „ein kleines Tief durchlebt“, inzwischen aber wieder einen „frischen und wachen Eindruck“ hinterlasse. „Für uns ist er ein ganz wichtiger Spieler“, sagt Löw. Für den Bundestrainer steckt in Özils linkem Fuß noch immer ein großes Versprechen auf den Titel, wären da nur nicht die Signale, die sein Körper sendet. Deswegen hat Löw das eine oder andere Gespräch mit seinem Spielmacher geführt, ihn gebeten, an seiner Körpersprache zu arbeiten und für die Turniertage „totale Hingabe“ eingefordert.

Özil ist extrem ehrgeizig und möchte unbedingt erfolgreich sein

Das mit der Körpersprache sei ihm manchmal gar nicht bewusst, sagt Özil. „Jeder kleine Fehler, das war schon als Kind so, ärgert mich maßlos.“ Er sei ein sehr ehrgeiziger Mensch, der erfolgreich sein will, „deswegen ärgert mich das so sehr. Aber richtig ist, dass ich mich mehr konzentrieren muss, dass ich einen Fehler abhaken muss. Im Nachhinein ärgere ich mich auch über mein Verhalten und sage mir: Komm, mach weiter!“ Özil ist ein gefühliger Kicker, sein Tun lebt von der Fantasie, von Einfällen, vom Moment und nicht von Vorgaben, Automatismen oder Matchplänen. Löw schenkt ihm die Freiheit. „Er kann Pässe spielen, die einfach aussehen, aber wahnsinnig schwer zu spielen sind“, schwärmt Löw. Es sind oft Pässe, die einen Angriff erst gefährlich machen und dem Spiel Leichtigkeit verleihen.

Wehe aber, ihm misslingt etwas. Dann droht sein Spiel zu kollabieren. „Ich müsste dann einfach mal abschalten“, sagt Özil und erzählt, wie er nach solchen Momenten künftig in Zwiesprache mit sich treten wolle. „Ein Spiel dauert eineinhalb Stunden, da ist es doch egal, wenn einem mal ein Fehlpass unterläuft. Jeder Mensch macht Fehler, und das muss ich mir auf dem Platz dann auch schnell bewusst machen.“ Mesut Özil schaut aus seinen großen Augen. Nicht fordernd, nicht unsicher. Vielleicht muss man ihn einfach mal so nehmen, wie er ist. In der zurückliegenden WM-Qualifikation war er mit acht Toren erfolgreichster deutscher Torschütze, was schnell in Vergessenheit gerät. Sollte eine große Mannschaft einen solchen Spieler nicht aushalten können, auch wenn aus ihm kein Anführer im klassischen Sinne mehr wird? Es sind andere Qualitäten, durch die er das deutsche Spiel bereichern kann. Inspiration, Geschmeidigkeit, Anmut. „Ich will gar keine Kante werden“, sagt er und kichert dem Satz schüchtern hinterher.

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