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2006 feierten die Deutschen noch den Trainer Klinsmann, heute sind sie Gegner.

© dpa

WM 2014 - Deutschland - USA: Viel deutsches Know-how für die US-Boys

Wenn die Nationalelf am Donnerstag gegen die USA spielt, spielt sie auch ein bisschen gegen sich selbst. Denn US-Coach Klinsmann hat jede Menge deutsches Know-how importiert.

Der deutsche Teampsychologe Hans-Dieter Hermann hat neulich eine Episode aus dem Jahr 2004 erzählt, die einiges über den deutschen Fußball in jener Zeit erzählt, aber noch mehr über die Arbeitsweise von Jürgen Klinsmann. Es war die Zeit, als der deutsche Fußball im Reformstau steckte und deshalb sturmreif war für neue, mutige Ideen, die der schwäbische Kalifornier Klinsmann längst im Gepäck hatte.

Der neue Bundestrainer hat seinerzeit nicht nur Fitnesstrainer aus den USA geholt, die die Nationalspieler mit geheimnisvollen grünen Gummibändern an den Knöcheln über den Platz watscheln ließen; nach ein paar Monaten im Amt holte Klinsmann auch den Sportpsychologen Hermann hinzu. „Jürgen hat mich vor die Mannschaft gestellt und gesagt: Das ist der Hans, der gehört hier jetzt dazu“, erzählt Hermann. Noch bevor der erste Aufschrei verhallt war, kam Oliver Kahn um die Ecke, der nicht unbedingt den Sympathisanten des neuen forschen Bundestrainers zuzurechnen war. Klinsmann hatte ihm als eine der ersten Amtshandlungen die Kapitänsbinde entzogen. Doch was tat Kahn, als er befragt wurde, was nach den US-Fitnesstrainern jetzt auch noch der Psycho solle? Kahn zischte kurz sein Zischen und sagte, dass das ja wohl überfällig sei. Er habe sich auch schon einen Termin geben lassen.

Das war ein wenig geschwindelt, weil der Teampsychologe gar keine Termine verteilt, sondern eher informell mit den Spielern spricht. Aber es war eben auch die Zeit, in der alles, was Klinsmann tat, nach Revolution roch und kritisch beäugt wurde. Klinsmann brach damals Strukturen auf, er wollte den Blick weiten und scharrte deshalb Spezialisten aus allen relevanten Bereichen um sich.

Interessant daran ist aus heutiger Sicht, dass es Jürgen Klinsmann in seiner Wahlheimat ganz ähnlich ergeht. Als er 2011 Trainer des US-Teams wurde, musste er zwar niemanden vom Sinn der Spezialisten überzeugen, vielmehr war es seine Personenauswahl, die die amerikanische Öffentlichkeit hat stutzig werden lassen. Denn so wie er sich als Bundestrainer seine Mitarbeiter aus den USA geholt hat, so holt er sie jetzt als US-Coach aus Deutschland.

Made in Germany

Der bekannteste Import ist Berti Vogts. Der frühere Bundestrainer (1990 bis 1998) stieß erst in diesem Frühjahr zu Klinsmanns Team. Länger dabei ist Matthias Hamann, der frühere Profi unter anderem von Tennis Borussia und Bruder des früheren Nationalspielers Dietmar Hamann. Der 46-Jährige ist als Scout für Europa zuständig. Und dann sind da noch Kurt Mosetter als Teamarzt sowie der Bochumer Niklas Albers, der als Ass auf dem Gebiet der Myoreflex-Therapie gilt, die sich auf die eigenen Körperreflexe auswirkt und relativ schnell anschlägt. Die Therapie ist in den USA noch ziemlich unbekannt. Den Kontakt stellte einst Mosetter her, der Klinsmann wiederum vor einigen Jahren erfolgreich an der Bandscheibe behandelt hat.

Als Klinsmanns Assistent wirkt Andreas Herzog. Der 45-Jährige ist zwar Österreicher (103 Länderspiele), hat aber viele Jahre in Deutschland gespielt. Was sich schon deshalb gut macht, da das Soccerteam selbst eine starke deutsche Prägung hat. In Fabian Johnson (TSG Hoffenheim), Timothy Chandler (1. FC Nürnberg), John Anthony Brooks (Hertha BSC) und dem erst 18 Jahre alten Julian Green (Bayern München) stehen vier aktuelle Bundesligaprofis im Team, die allesamt in Deutschland geboren sind. Nicht zu vergessen der ehemalige Schalker Jermaine Jones, der sogar dreimal für die deutsche A-Nationalmannschaft gespielt hat. Johnson, Brooks und Green sind zumindest in deutschen U-Nationalmannschaften zum Einsatz gekommen. Johnson wurde 2009 sogar U-21-Europameister, zusammen mit Mesut Özil, Manuel Neuer und Sami Khedira, denen er morgen bei der WM gegenüberstehen wird.

John Anthony Brooks hatte gerade ein Bundesligaspiel bestritten, als er im vergangenen Jahr sein Länderspieldebüt für die USA gab, der Münchner Green hat – von einem Drei-Minuten-Einsatz in der Champions League abgesehen – sogar noch nie für die Profis der Bayern gespielt. Dass Klinsmann auf Talente setzt, die das breite Publikum nicht auf dem Schirm hat, hat er schon als Bundestrainer bewiesen. Damals bediente er sich in der Premier League. Thomas Hitzlsperger, Robert Huth und Moritz Volz waren als Teenager nach England gewechselt und in Deutschland weitgehend unbekannt, als sie von Klinsmann berufen wurde. Hitzlsperger musste sich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt sogar fragen lassen, wie es sich denn in London lebe. Er spielte damals für Aston Villa – in Birmingham.

Deutschland gegen Deutschland

Dass sich Klinsmann jetzt bei deutschstämmigen Spielern bedient, ist kein Zufall. Sie haben ihre fußballerische Ausbildung in den Leistungszentren der Bundesliga erhalten und bringen genau jene Eigenschaften mit, die Klinsmann auch im US-Team sehen will. Der amerikanisierte Deutsche hat sich aufgemacht, der Mannschaft einen neuen Spielstil zu verpassen: weg vom abwartenden Fußball, den die Amerikaner zuvor gespielt haben. Der neue Stil ist von Leidenschaft, Mut und Initiative geprägt und wird inzwischen entsprechend wertgeschätzt. „In der Offensive spielen sie sehr intensiv“, sagt etwa Hans-Dieter Flick, der Assistenztrainer der deutschen Nationalmannschaft.

Mut, Leidenschaft, Initiative – das sind jene Attribute, die Klinsmann vor zehn Jahren auch der deutschen Nationalelf eingehaucht hat, gegen viele Widerstände. Bei seinem Amtsantritt 2004 in Deutschland verkündete er: Wir wollen in zwei Jahren Weltmeister werden. Fünf Wochen zuvor war die Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Portugal in der Vorrunde ausgeschieden.

Morgen kommt es in Recife zum Duell mit dem Original. Einen deutscheren deutschen Gegner hat es nie gegeben – mit allem, was dazugehört.

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