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Partners in crime. Pezzey und Breitner (r.) nach dem Spiel vor 32 Jahren

© Imago

WM 2014: Deutschland - USA: Wiederholt sich der Nichtangriffspakt von Gijón?

1982 einigten sich Deutschland und Österreich irgendwie auf ein 1:0. Wiederholt sich die Geschichte gegen die USA? Natürlich nicht, sagen alle Beteiligten. Jedenfalls nicht bewusst.

Hans-Peter Briegel und Walter Schachner merkten nichts. Sie rannten wie die Wahnsinnigen. Die Frage, wer wen an jenem 25. Juni 1982 in der spanischen Küstenstadt Gijon zu Höchstleistungen trieb, ist vermutlich genau so zuverlässig zu beantworten wie die, was zuerst da war: die Henne oder das Ei. Es hat sich irgendwie so entwickelt, wie sich vermutlich das ganze unwürdige Schauspiel irgendwie so entwickelt hat, das als „Schande von Gijon“ in die Fußballgeschichte eingegangen ist. Zehn Minuten lang war die letzte Vorrundenbegegnung der Gruppe 2 ein normales Fußballspiel, dann erzielte Horst Hrubesch das 1:0 für die Deutschen gegen Österreich. Es war das Ergebnis, das beiden Mannschaften den Einzug in die zweite Finalrunde sicherte. Nach und nach stellten die Spieler ihre Bemühungen ein – nur Hans-Peter Briegel und sein Gegenspieler Walter Schachner rannten weiter wie die Wahnsinnigen.

Aus gegebenem Anlass wird gerade wieder häufiger an jenes Spiel bei der Weltmeisterschaft in Spanien vor 32 Jahren erinnert. Das liegt daran, dass es am Donnerstag bei der WM in Brasilien eine Konstellation gibt, die wie gemalt ist für eine Wiederholung von Gijon – und wieder könnten die Deutschen daran beteiligt sein. Am Donnerstag trifft die Nationalelf in ihrem letzten Gruppenspiel auf die USA, und beiden genügt ein Unentschieden zum Einzug ins Achtelfinale.

In einer komfortablen Situation

Unmittelbar nach dem 2:2 der Deutschen gegen Ghana sah es noch so aus, als könnte das Duell unter Brüdern eine besondere Brisanz bekommen. Die hat es tatsächlich, allerdings muss Bundestrainer Joachim Löw nun nicht mehr fürchten, von seinem Vorgänger und Förderer Jürgen Klinsmann aus dem Turnier befördert zu werden. Beide müssen fürchten, der Kungelei bezichtigt zu werden.

Schreit die Konstellation nicht geradezu nach einem schiedlich-friedlichen 1:1? Könnte man nicht auf dem kleinen Dienstweg eine entsprechende Vereinbarung unter Freunden treffen? Quatsch, sagt Jürgen Klinsmann, der Coach des US-Teams. „Es ist keine Zeit für Freundschaftsanrufe, jetzt geht es ums Geschäft. Ich denke nicht daran, was in den Köpfen anderer Leute vorgeht.“

Insgesamt befinden sich die Deutschen in einer komfortablen Situation. „Wir sind fast durch“, sagt Löws Assistent Hans-Dieter Flick. Aber das hätten die US-Amerikaner im Spiel gegen Portugal auch gedacht, ehe sie in der Nachspielzeit noch den Ausgleich kassierten. „Deswegen werden wir den Teufel tun, uns auf einem Unentschieden auszuruhen. Wir wollen das Spiel gewinnen.“

Ein Szenario, das es als Folge von Gijon nicht geben sollte

Partners in crime. Pezzey und Breitner (r.) nach dem Spiel vor 32 Jahren
Partners in crime. Pezzey und Breitner (r.) nach dem Spiel vor 32 Jahren

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Die ohnehin nicht schlechte Ausgangsposition hat sich durch das 2:2 der USA gegen Portugal noch einmal deutlich verbessert. Die Deutschen würden nun auch bei einem Unentschieden den ersten Tabellenplatz in ihrer Gruppe behaupten und damit im Achtelfinale vermutlich Belgien, dem am wenigsten geheimen Geheimfavoriten der Fußballgeschichte, aus dem Weg gehen. Selbst eine Niederlage müsste nicht zwingend das Aus bedeuten. Sollte die Nationalmannschaft zum Beispiel 0:2 gegen Klinsmann verlieren, müsste Ghana Portugal im Parallelspiel 4:0 schlagen, um an den Deutschen vorbeizuziehen, Portugal sogar 6:0 siegen. Ein ganz besonderer Fall ergäbe sich allerdings, sollte Löws Team 0:2 verlieren und Ghana 3:0 gewinnen. Dann müsste das Los entscheiden – weil Deutschland und Ghana punkt- und torgleich wären, selbst im direkten Vergleich (2:2).

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass es am Donnerstag in Recife zu einem Szenario kommt, das es als Folge von Gijon eigentlich nicht mehr geben sollte. Damals stand schon vor dem Spiel fest, dass sich Österreich im Estadio Municipal El Molinon fürs Weiterkommen eine Niederlage mit zwei Toren Differenz erlauben dürfte, um Algerien von Platz zwei zu verdrängen. Sanktionen gab es nach dem 1:0 der Deutschen nicht, allerdings zog der Weltverband Fifa eine Konsequenz für die Zukunft: Seit dem deutsch-österreichischen Nichtangriffspakt werden die jeweils letzten beiden Spiele jeder Gruppe zum selben Zeitpunkt angepfiffen.

Algerien könnte für Gijon Rache nehmen

Als sich in Gijon das entwickelte, was die holländische Zeitung „De Volkskrant“ damals „ein Stück Fußballporno“ nannte, wedelten algerische Fans auf den Rängen mit Geldscheinen. Der Manipulationsvorwurf steht immer noch im Raum. Walter Schachner hat behauptet, in der Pause habe es eine Absprache gegeben, nur er habe nichts mitbekommen. Wahrscheinlicher ist, dass beide Teams wussten, was zu tun war – nichts. „Das hat sich so entwickelt“, sagt der gebürtige Dortmunder Bernd Krauss, der damals für Österreich spielte.

Niemand kann ausschließen, dass sich das am Donnerstag wiederholen wird; jeder kann sich ausmalen, was dann passieren würde. Auch deshalb sagt Klinsmann: „Wir fahren nach Recife mit dem Selbstvertrauen, um Deutschland zu schlagen. Ich bin zuversichtlich, dass es ein gutes Spiel wird.“ Deutschlands Verteidiger Mats Hummels fände es „grob unsportlich“, sollte jemand bewusst auf Unentschieden spielen wollen. Das sei sowieso gar „nicht unser Ding. So was macht einen verrückt“, sagte er. „Wenn es allerdings in der 91. Minute 1:1 steht, werde ich nicht als letzter Mann gegen vier Mann ins Dribbling gehen. Vielleicht gegen zwei Mann.“

Eine besondere Pointe hält die Geschichte möglicherweise trotzdem bereit. Sollten die Deutschen durch ein Unentschieden gegen die USA tatsächlich Gruppenerster werden, müssten sie im Achtelfinale nach jetzigem Stand gegen Algerien spielen, den Leidtragenden der deutsch-österreichischen Kungelei. 32 Jahre später könnten die Algerier dann endlich Rache nehmen für Gijon.

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