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Held für einen Tag: Hollands Tim Krul wird vor dem Elfmeterschießen eingewechselt und erlebt seinen bisherigen Karrierehöhepunkt. Bei zwei parierten Elfern darf man ruhig mal die Becker-Faust auspacken.

© dpa

WM 2014 - Elfmeterschießen: Ist die Torwartrochade die neue Elfmeter-Strategie?

Van Gaals Torwartrochade vor dem Elfmeterschießen gegen Costa Rica war ein WM-Novum. Im DFB-Pokal gab es das indes schon – mit gemischtem Erfolg.

Der Dank kam spät, aber er kam. „Vielleicht hat das jetzt geholfen. Danke, Hans Meyer“, schmunzelte Nürnbergs Ex-Trainer Gertjan Verbeek nach dem 2:1 gegen Braunschweig in der Rückrunde der vergangenen Saison. Ein verrücktes Spiel, Platzverweise, Tore und mit drei verschossenen Elfmetern in einer Partie ein neuer Bundesligarekord. An diesem Tag war die fränkische Welt in Ordnung. Raphael Schäfer, der Torwart der Nürnberger, hatte mit zwei parierten Elfmetern nicht nur den so wichtigen Sieg im Abstiegskampf festgehalten, er schien nach langen Jahren auch endlich eine Wunde geschlossen zu haben, „einen Knacks“, wie er es nach dem Spiel nannte.

Den Knacks, den Schäfer mit seiner Glanzleistung nun endlich ausgebügelt hatte, den hatte er sich sieben Jahre zuvor geholt, als ihn der damalige Nürnberger Trainer Hans Meyer in der 119. Minute des DFB-Pokal-Viertelfinals gegen Hannover ausgewechselt und den vermeintlichen Strafstoßkiller Daniel Klewer pünktlich zum Elfmeterschießen ins Tor gestellt hatte. Klewer kam zu diesem Zeitpunkt gerade auf überschaubare 16 Bundesligaspiele, Schäfer war Kapitän und Führungsspieler. Aber der Ersatzmann hatte in der vorangegangenen Runde gegen Unterhaching für den verletzten Schäfer gespielt und sich im Elfmeterschießen mit vier gehaltenen Schüssen quasi im Alleingang um den Einzug in die nächste Runde verdient gemacht. Klewer hielt auch als Einwechselspieler zwei Elfmeter, Nürnberg stand im Halbfinale und wurde später DFB-Pokalsieger. Schäfer, der Verlierer unter Siegern, einer, den man „wieder aufbauen“ müsse, so Manager Martin Bader, gratulierte dem Konkurrenten eher flüchtig, der Knacks blieb, sieben Jahre lang.

„Bei Hans Meyer weiß man nie“, sagte Klewer nach dem erfolgreichen Elfmeterschießen. Ein Satz, der auch auf den aus einem ähnlichen Holz geschnitzten Louis van Gaal passen würde. Meyer meinte, die Einwechslung sei nicht abgesprochen sondern eher eine Eingebung gewesen. Eine Eingebung, die indes auch hätte nach hinten losgehen können. „Hätte er die beiden Elfmeter nicht gehalten, wäre es ein gefundenes Fressen gewesen“, sagte der Trainer damals. Auch Louis van Gaal war sich seiner heiklen Torwartrochade am Samstag bewusst: „Wenn es schiefgegangen wäre, hätten mich alle für verrückt erklärt.“

Wie es ist, wenn ein solches Manöver schiefgeht, weiß Jasmin Fejzic am besten. 2012 erinnerte sich Fürths Trainer Mike Büskens wohl an Meyers Kniff und wechselte im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Dortmund in der 118. Minute für Stammkeeper Max Grün Ersatzmann Fejzic ein, in den Augen des Jungcoaches eine „Vollrakete beim Elfmeter“. Eine Vollrakete, die zwei Minuten zu früh ins Spiel kam, wie sich herausstellte. In der 120. Minute prallte ein Schuss von Ilkay Gündogan an den linken Pfosten, von da an den Rücken Fejzics und anschließend ins Tor. Aus einem taktisch-psychologischen Manöver war eine Slapsticknummer für das Geschichtsbuch des DFB-Pokals geworden. „Ich könnte nur noch heulen. Mehr Pech kann man nicht haben“, haderte Fejsic nach dem Spiel, das sein Karrieretiefpunkt gewesen sein dürfte, auch wenn ihn beim unglücklichen Gegentreffer keine Schuld traf.

"So etwas will ich in meiner Karriere nie mehr erleben."

Für Krul und Klewer war der unerwartete Aufstieg zum Elfmeterhelden hingegen ein Karrierehöhepunkt. Krul sprach von einem in Erfüllung gegangenen „Jugendtraum“, Klewer sagte 2007 im Interview mit 11Freunde: „Es war eine Genugtuung für die Vergangenheit. Ich konnte einfach mal das rauslassen, was ich bei jedem Spiel hätte rauslassen können. Endlich war ich mal im Mittelpunkt. Das war schon toll.“ Für die Stammkeeper, denen öffentlich und überraschend das Vertrauen entzogen wird, stellt sich die Sache naturgemäß anders dar. Hollands Jasper Cillessen jubelte auf der Bank zwar mit seinem Konkurrenten, jedoch erst, nachdem er wutentbrannt eine Wasserflasche durch die Gegend getreten hatte. Er hatte von van Gaals Gedankenspiel nichts gewusst, Krul hingegen schon. Auch Fürths Max Grün sagte noch zwei Jahre nach seiner Auswechslung: „Mich haben die Geschehnisse lange beschäftigt. So etwas will ich in meiner Karriere nie mehr erleben.“ Der Knacks saß ähnlich tief wie bei Schäfer.

Zumal sich ein solcher Wechsel statistisch nur in den seltensten Fällen auszahlt. Tim Krul, der in der englischen Premier League bei Newcastle United zwischen den Pfosten steht, hat in der Vergangenheit lediglich zwei von zwanzig Elfmetern gehalten, und auch Daniel Klewer würde wohl nie wieder sechs von neun Versuchen in zwei aufeinanderfolgenden Elfmeterschießen parieren. „Es gibt niemanden, der sich über Jahre hinweg als Elfmeterkiller bewiesen hat. Dazu hängt das Ganze zu sehr vom Glück ab“, sagte Klewer, der nach seinem Triumph wieder in die zweite Reihe rückte. Auch der geschasste Max Grün relativierte die Mär vom Elferkiller: „Wir stehen alle im Tor, weil wir Bälle halten können.“ Die Trainer van Gaal und Meyer sehen das anders. „Alle in und um die Mannschaft wussten doch, dass Raphael Schäfer zwar der bessere Keeper, aber Daniel Klewer der bessere Elfmetertöter war“, sagte Meyer im Rückblick auf seine Rochade, und auch van Gaal meinte: „Wir fanden alle, dass Tim der beste Keeper wäre, um Elfmeter zu halten.“

Wie Cillessen nun den Trubel um seinen elfertötenden und schlagzeilenbestimmenden Kollegen verdaut, bleibt abzuwarten. Bereits im Spiel am Mittwoch gegen Argentinien gehört ihm die große Bühne wieder, auf der er seine Qualitäten beweisen kann. Und vielleicht gibt es dann ja sogar einen Elfmeter zu parieren.

Stephan Reich

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