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Argentiniens Maracanco? Enttäuschte Fans nach dem verlorenen WM-Finale im legendären Stadion von Rio de Janeiro.

© AFP

WM 2014: Fans von Argentinien und Deutschland: Das Finale auf den Rängen: Himmelblauweiß, zu Tode betrübt

Beim WM-Finale im Maracana-Stadion sind die argentinischen Fans in der Überzahl, doch die Brasilianer halten zu Deutschland. Und mit den Verhältnissen auf dem Rasen kippt auch das akustische Übergewicht auf der Tribüne. Ein Rückblick.

Um kurz vor halb sieben bricht der Orkan los. Es ist oft laut gewesen bei dieser lauten WM, aber nie so laut wie am Sonntag um kurz vor halb sieben im Maracana, als knapp 75 000 Zuschauer ihre Gedanken sortieren und die deutschen unter ihnen debattieren, ob der Bundestrainer zum Elfmeterschießen Kevin Großkreutz einwechseln soll und ob es ein Vorteil ist, dass die Argentinier im Halbfinale schon mal geübt haben. Dann aber flankt André Schürrle auf Mario Götze, der Ball fliegt ins Tor und der Orkan bricht los. Zeit zum Jubeln und zum Tanzen und vielleicht sogar Shakira zu vergeben. Im Wahn des späten und um so süßeren Sieges ist der Fußballfan großzügig.

Es ist ja nicht so, dass alle im Stadion so viel Glück hatten wie Kaká und David Beckham. Erst gut eine halbe Stunde vor dem Finale spazieren die beiden Altstars auf die Ehrentribüne. Die Gnade der späten Ankunft erspart ihnen Shakira und den Rest des Vorprogrammlärms namens Schlussfeier, aber das darf nicht ablenken von der Frage: Wer denkt sich diesen Blödsinn eigentlich aus? Wer glaubt ernsthaft, dass Fußballfans Spaß haben an dröhnenden Bässen und dicken Frauen? Und hat nur die Prominenz in ihren Vip-Sälen eine Chance, sich davor zu drücken?

Kaká, David Beckham und das Trikot-Duell ihrer Söhne

Vom Brasilianer Kaká ist bekannt, dass er ganz gut Fußball spielen kann und das früher noch besser konnte. Dass sein Söhnchen Luca stolz ein Deutschland-Trikot mit der Nummer 10 (im Original im Besitz von Lukas Podolski) trägt, ist ein schönes Zeichen für die neue Wertschätzung des deutschen Fußballs. Kaká trägt den Spielball Richtung Rasen und plaudert mit Joachim Löw, vielleicht fragt er ihn nur, warum Lukas P. nicht spielt. Der Bundestrainer aber lässt sich nicht erweichen und vergibt den nach Sami Khediras kurzfristigem Ausfall freiwerdenden Platz an Christoph Kramer.

Kaká zieht sich nach getaner Arbeit zurück aus dem Licht der Kameras, aber die haben ohnehin gerade Beckham entdeckt. Er bekommt keinen Ball, hat aber gleich drei Söhne dabei und sie in argentinische Trikots gesteckt. Das ist in doppelter Hinsicht eine bemerkenswerte Geste der Versöhnung. Zum einen ist das englisch-argentinische Verhältnis auch 28 Jahre nach dem Falklandkrieg ein wenig angespannt, zum anderen ist Beckham 1998 bei der WM in Frankreich im Achtelfinale nach einer argentinischen Provokation vom Platz geflogen, wofür er damals in der Heimat schwer angefeindet wurde.

Zu viel Lärm - Higuain überhört Abseitspfiff

Argentinien hat akustisch von Anfang an ein klares Übergewicht, aber alles andere wäre auch eine große Überraschung gewesen. Schließlich sind es mit dem Flugzeug nur drei Stunden von Buenos Aires bis nach Rio und ein paar mehr mit dem Auto, da muss das Maracana zwangsläufig himmelblauweiß leuchten. Gut, dass neben den knapp zehntausend deutschen Fans auch reichlich Brasilianer da sind, sie sind in ihrer überragenden Mehrheit für Deutschland – oder besser gesagt: gegen Argentinien. Wenn gerade mal nicht die Deutschen stürmen, brüllen die Brasilianer „Cinco!“, kleine und trotzige Anspielung auf ihre fünf WM-Titel. Die deutschen Fans übergehen das galant. Die argentinischen Hinchas aber brüllen zurück: „Siete!“ und recken dazu sieben Finger in die Luft, was der Völkerfreundschaft eher nicht dienlich ist. Der komplett geschlossene Kessel des Maracana reflektiert dem Lärm der Hinchas so stark, dass Gonzalo Higuaín einen Abseitspfiff nicht hört und nach seinem Jubellauf erst kurz vor der Mittellinie merkt, dass sein vermeintliches Tor zum 1:0 nicht zählt. Auch Joachim Löw überhört Kakás Rufe und schickt für den verletzten Kramer wiederum nicht Lukas P. auf den Platz, sondern André Schürrle.

Deutsche Fans übernehmen das Signal

In der zweiten Halbzeit haben die Deutschen die erdrückende Übermacht der Argentinier im Rücken und spielen auf das Tor, hinter dem sich ihre übersichtliche, aber auch sehr stimmkräftige Anhängerschaft versammelt hat. In Folge der Verhältnisse auf dem Rasen gewinnen die deutschen Fans mit zunehmender Spielzeit sogar eine akustische Überlegenheit. Die argentinischen Hinchas trösten sich mit Schmähgesängen gegen Brasilien, aber das hilft denen da unten auch nicht weiter. Wolken ziehen auf über dem Maracana und ein kühler Wind bläst in den Kessel. Einem Zuschauer aber ist es zu warm, er zieht sein Shirt aus und rennt mit nacktem Oberkörper auf den Platz und kommt immerhin über die Mittellinie, bis ihn das Sicherheitskommando stellt.

Als Miroslav Klose zum voraussichtlich letzten Mal in einem Länderspiel ausgewechselt wird, stehen auch Beckham und seine drei Jungs auf und klatschen Beifall. Die Spannung steigt, der Geräuschpegel sinkt. Bis kurz vor halb sieben der Orkan losbricht, die Fans feiern und die Stadionregie Musik einspielt. Von Shakira.

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