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Füße hoch und lange starren. Einige Fußballspiele enden erst tief in der Nacht und das merkt Philipp Köster morgens in der U-Bahn.

© dpa

WM 2014 - Fernsehkonsum: Es gibt sie tatsächlich, die Allesgucker

Schauen Sie auch spät noch Fußball? Dann finden Sie sich in den Beobachtungen unseres WM-Kolumnisten bestimmt wieder.

Morgens in der U-Bahn sind sie sehr gut voneinander zu unterscheiden. Jene, die am Vorabend noch kurz vor 22 Uhr zu einem guten Buch gegriffen haben, um dann alsbald das Licht zu löschen. Und jene, die sich doch noch dazu entschieden haben, um Mitternacht die Schlagerpartie der Gruppe E zwischen Ecuador und Honduras anzuschauen. Schlecht frisiertes Haupthaar, nachlässige Kleidung, Augenlider auf Halbmast. Und doch meint man ein stolzes Glitzern in den Augen zu erkennen. Weil sie durchgehalten haben. Weil sie noch im Rennen sind.

Denn es gibt sie tatsächlich, die Allesgucker. Jene, die am Ende alle 64 Partien dieser Weltmeisterschaft gesehen haben werden. Und zwar nicht als Zusammenfassung im Morgenmagazin, sondern live und in voller Länge. Auch Nigeria gegen den Iran um Mitternacht.

Ich bin hingegen schon am dritten Spieltag ausgestiegen. Beim Mitternachtsspiel England gegen Italien griff ich bei den Nationalhymnen übermüdet zur Fernbedienung. Schande über mich. Schließlich geht es auch darum, sich von all den schaurigen Gelegenheitsfans abzusetzen, die nur Deutschland-Spiele schauen und danach wild blökend durch die Straßen fahren und auf Facebook gehässige Kommentare über Cristiano Ronaldo verfassen.

Andere sind noch im Rennen und können sich trösten, dass das Schlimmste schon überstanden ist. Unter den Allesguckern wurde der Kick zwischen Japan und der Elfenbeinküste um 3 Uhr morgens als Königsetappe gewertet, als Alpe d´Huez der Sofasportler. Und das völlig zu Recht. Zwei Arbeitskollegen schauten das frühmorgendliche Spiel in der Fußballkneipe „Schwalbe“ in Prenzlauer Berg. Außer ihnen interessierte sich niemand für den Kick, so dass die Abstimmung, ob in der Bar der TV-Kommentar oder Musik laufen sollten, das erwartbare 2:11-Ergebnis brachte. Und so sahen sie unfassbar zähe neunzig Minuten, unterlegt mit wummernder Clubmusik. Am nächsten Tag waren sie erst um 18 Uhr wieder fit, pünktlich zum Anpfiff der Folgepartien.

In unserer WM-Kolumne wechseln sich Philipp Köster, Cacau, Monica Lierhaus, Lucien Favre und Frank Lüdecke ab
In unserer WM-Kolumne wechseln sich Philipp Köster, Cacau, Monica Lierhaus, Lucien Favre und Frank Lüdecke ab

© David von Becker

Ein Kumpel von mir aus Bonn sah die Elfenbeinküste daheim. Ich weiß das, weil er als Beweis seines Durchhaltevermögens zu Beginn jedes Spiels ein Selbstporträt an den Freundeskreis schickt. Er nimmt den Wettbewerb sehr ernst und weiß auch um die regeltechnischen Grauzonen. Zählt ein Spiel bereits als geguckt, wenn der Teilnehmer nach zwanzig Minuten Spielzeit sanft auf dem Sofa entschlummert und erst von Oliver Kahns schnarrender Stimme wieder aufgeweckt wird? Werden auch Spiele gewertet, wenn der Teilnehmer in einer Bar an der Theke hockt, in der im Nebenraum das Spiel gezeigt wird? Und wie schaut man die parallel stattfindenden Spiele des dritten Vorrundenspieltags? Mein Bonner Kumpel will ständig hin- und herschalten. Hoffentlich schickt er nicht jedes Mal ein Beweisfoto.

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