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Ich dreh’ ab. Rabah Madjer (Bildmitte) trifft beim 2:1-Sieg der Algerier gegen die Deutschen bei der WM 1982.

©  Imago

WM 2014 - Gegner im Achtelfinale: Wie Algerien 1982 sensationell gegen Deutschland gewann

Bei der WM 1982 schaffte Algerien gegen Deutschland einen Sensationssieg. Für den Torschützen Rabah Madjer war es ein Sieg über die deutsche Arroganz und für die Unabhängigkeit.

Was hatten die Deutschen vor dem Spiel herumgetönt. Sieben Tore wollten sie ihren Frauen widmen und das achte ihren Haustieren. Ins Mittelmeer wollte sich Jupp Derwall stürzen, wenn dieses Spiel verloren ginge. Ein Videoband habe er natürlich vom Gegner besessen, doch warum hätte er das seinen Spielern zeigen sollen? Sie hätten ihn ausgelacht.

Denn wer sollte ihnen Angst einjagen? Dieses Team aus Algerien etwa? Spieler mit Namen wie Lakhdar Belloumi oder Rabah Madjer? Also, bitte! Sie waren als amtierender Europameister zur WM nach Spanien gereist. Sie hießen Paul Breitner oder Karl-Heinz Rummenigge.

Sie hatten 33 Tore in der Qualifikation geschossen und nur drei Gegentreffer kassiert. Und daher pumpten sie nun ihre Körper auf Superhelden-Format auf, und es grenzte an ein Wunder, dass sie noch durch handelsübliche Türen passten. Dabei hätten die deutschen Spieler gewarnt sein können, denn das DFB-Team hatte sich bei Weltmeisterschaften gegen die Kleinen schon einige Male blamiert. 1978 mühte sich die Elf in Argentinien zu einem 0:0 gegen Tunesien, 1974 verlor sie gegen die DDR gar mit 0:1.

Algerien war auf der Fußballweltkarte zu dieser ein weißer Fleck

Nun also Algerien. Auf der Fußballweltkarte ein kleiner weißer Fleck auf dem großen weißen Fleck. Oh, du unbekanntes Afrika. Einige Fußballfunktionäre hatten sich vor der WM 1982 darüber empört, dass Mannschaften aus Drittweltländern überhaupt teilnehmen durften. DFB-Präsident Hermann Neuberger sprach von einer „Verwässerung des Niveaus“ und „künstlicher Aufblähung“. Wenige Tage später war er schlauer: Kamerun blieb in einer Gruppe mit Italien ungeschlagen, Honduras trotzte im Eröffnungsspiel Gastgeber Spanien ein 1:1 ab – und Algerien besiegte Deutschland mit 2:1. Die Tore schossen: Lakhdar Belloumi und Rabah Madjer. „Sie hatten keinen Respekt vor uns“, sagte Algeriens damaliger Trainer Rachid Mekhloufi seinerzeit. „Sie haben uns unterschätzt“, sagt Rabah Madjer heute. Zwei Erklärungen, die man immer dann anbringen kann, wenn ein Underdog einen haushohen Favoriten stürzt. Doch was genau unterschätzten die Deutschen denn überhaupt? War es der Spielstil? Das Tempo? „Es war unser Teamgeist!“, sagt Madjer.

Vermutlich war der Zusammenhalt bei keinem Team so stark ausgeprägt wie bei den Algeriern. Grund war ein Gesetz, nach dem Algerier damals erst mit 28 Jahren ihr Land verlassen durften. „Wir spielten seit 1979 zusammen, wir waren seit Jahren befreundet“, sagt Madjer. „Wir kannten jeden Laufweg!“ An diesem 16. Juni 1982 kulminierte das enge Band mit dem 20-jährigen Jubiläum der algerischen Unabhängigkeit. Als Madjer, Belloumi und all die anderen Spieler die Kabine verließen, schworen sie sich, für die Kämpfer der Nationalen Befreiungsfront FLN zu spielen. „Sie waren wie unsere zweiten Väter“, sagte Belloumi später.

Also rannten und rannten sie. Und als in der 57. Minute Madjer einen Abpraller zum 1:0 verwertete, ächzte ARD-Kommentator Rudi Michel: „Hochbezahlte Profis gegen Amateure.“ Nach dem 2:1 durch Belloumi sagte er beleidigt „Och, da hört’s doch auf!“, und dann schwieg er. Der niederländische „De Telegraaf“ schrieb einen Tag später: „In Oviedo wurde der Chauvinismus, die unangebrachte Deutschland-über-alles-Mentalität rücksichtslos bestraft.“ In Algerien erkoren die Daheimgebliebenen ihre Spieler derweil zu Volkshelden.

In der algerischen Heimat wurden die Spieler zu Volkshelden

In den Fenstern Algiers hingen Porträts von Belloumi oder Madjer neben Bildern des Staatspräsidenten. Und plötzlich ertrank auch das spanische Oviedo in einem grünen Fahnenmeer. 40 000 Fans waren spontan übers Mittelmeer gereist, um ihre Elf zu unterstützen. Sie ergatterten Restkarten oder harrten in den asturischen Bergen aus, wo ihre Elf in der Villa eines Arztes ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Dort, auf den Zinnen des Landgutes, stand Kapitän Ali Fergani am Morgen nach dem Sieg gegen Deutschland und sinnierte über die Zukunft: „Wir spielen einen Mix aus deutschem, italienischem und lateinamerikanischem Fußball: den Algerian Style“.

Vielleicht hätte sie diese explosive Mischung noch viel weiter getragen, ins Viertel- oder gar ins Halbfinale. Doch trotz eines weiteren Sieges gegen Chile kam es anders. Deutschland und Österreich schummelten sich im letzten Gruppenspiel weiter, die oft erzählte Geschichte von der Schande von Gijon.

Als in Algerien der Zorn über diesen Nichtangriffspakt verflogen war, wollten die Nationalspieler hoch hinaus. Aber nur einer sollte in Europa triumphieren: Rabah Madjer. Für den FC Porto erzielte er 29 Treffer in 50 Spielen. Sein wichtigstes Tor machte er am 27. Mai 1987, als er wieder einmal zum Schreck einer deutschen Mannschaft wurde. Im Landesmeister-Cup-Finale besiegte Porto den FC Bayern mit 2:1, und Madjer traf per Hacke. Pelé sagte einmal: „Es wäre das schönste Tor gewesen, das ich je gesehen habe, wenn er nur nicht nach hinten geschaut hätte.“ Madjer, der mittlerweile als TV-Experte in Katar arbeitet, lacht.

Dann sagt er: „Es war ein verdammtes Europapokalfinale – ich musste doch wissen, ob der Ball reingeht!“

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