zum Hauptinhalt
Jah, Mann. "Ein deutsch-jüdischer Rastafari, das gibt es nur in Amerika", schrieb ein Fan von Kyle Beckerman im Internet.

© AFP

WM 2014: Kyle Beckerman: Künstler auf dem Kopf

Die wilde Frisur von US-Spieler Kyle Beckerman wird in sozialen Netzwerken zum Hit. Die Rastamähne weckt Vergleiche mit Paradiesvogel Alexi Lalas. Auf dem Platz will er heute Ronaldos Portugiesen aus der WM werfen.

Die Haare waren der Hit. Kaum hatte Kyle Beckerman zum ersten Mal einen WM-Rasen betreten, spielten die sozialen Netzwerke verrückt. „Er hat heute Geschichte geschrieben“, lautete ein Kommentar bei Twitter, „als erster Weißer mit Dreadlocks, auf den seine Eltern stolz sind.“ Die kunstvoll geknotete Filzmatte des US-amerikanischen Nationalspielers regte die Fantasie der Fans offenbar mehr an als das 2:1 gegen Ghana. Fotomontagen zeigten Neymar, Ronaldo und Messi mit Beckermans Frisur. Einige Usere befürchteten, die Ghanaer könnten ihn festbinden, andere wollten Drogen bei ihm kaufen. „Ein deutsch-jüdischer Rastafari“, spielte ein Tweet auf seine Abstammung an, „das gibt es nur in Amerika.“

Zur WM reiste er mit Gitarrenkoffer an

Es wirkte tatsächlich, als hätten die USA den nächsten Paradiesvogel auf die Fußballwelt losgelassen. So wie Alexi Lalas, der 1990 noch WM-Tourist war und vier Jahre später mit rotem Zottelbart und -haar zum Kultfußballer wurde. Oder wie Frankie Hejduk, langhaariger Surfer, im Nebenberuf Außenverteidiger bei Bayer Leverkusen und der WM 2002.

Tatsächlich passt Beckerman auf den ersten Blick in dieses Schema. Tätowierungen mit Indianern, Löwen und Rastafari-Zitaten zieren seinen Oberkörper. Zur WM reiste er mit Gitarrenkoffer an. Und auf der eigenen Webseite zu seiner Hochzeit posiert er mit seiner Braut im Wald wie Models im Outdoorbekleidungskatalog oder auf Folkalbumcovern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Über all die Äußerlichkeiten ging fast unter, dass sich für Beckerman am vergangenen Dienstag ein Traum erfüllte. Einer WM-Teilnahme hatte er herbeigesehnt, seit er als Kind Autogrammkarten bastelte mit der Unterschrift „Nummer 15, USA“. Mit der Rückennummer lief der Mittelfeldspieler dann wirklich gegen Ghana auf, ein spätes WM-Debüt mit 32 Jahren.

„Ich dachte nur ans Team“, sagter er, „nach dem Turnier werde ich zurückschauen können.“ Seine Aussagen sind weniger spektakulär als sein Aussehen. Ähnliches gilt für seine Spielweise. Doch genau das schätzt sein Trainer. „Er räumt auf und spielt simple Pässe zu den kreativen Spielern,“ lobt Jürgen Klinsmann. Nach unregelmäßigen Länderspielauftritten holte er den Kapitän von Real Salt Lake vor drei Jahren zurück ins Nationalteam. Damit trat der frühere Bundestrainer dem Eindruck entgegen, er ließe nur deutsche Fußballer mit amerikanischen Wurzeln einbürgern. Mit dem Deutsch-Amerikaner Jermaine Jones bildet Beckermann nun oft die Dreadlock-Doppelsechs vor der Abwehr.

Seine Mutter versuchte, ihm die Haarpracht abzuschneiden

Dabei galt er lange als zu langsam für internationale Aufgaben. Außerhalb der USA hat der frühere Juniorennationalspieler nie gespielt, ein Probetraining beim 1. FC Kaiserslautern war das höchste der Gefühle. Nach seinem unaufgeregten Auftritt vor angeblich 20 000 US-Fans in Natal gegen Ghana brachten englische Kommentatoren Beckerman mit einem Wechsel nach Europa in Verbindung. Ein ziemlich weiter Weg für den Jungen, der in einem behüteten Vorort vom Maryland aufwuchs und der seit der Jugend meist nur durch seine Haarpracht auffiel, die ihm seine Mutter anfangs noch abzuschneiden versuchte.

Haarig. Seit Schulzeiten lässt der 32-Jährige seine Matte wachsen.
Haarig. Seit Schulzeiten lässt der 32-Jährige seine Matte wachsen.

© AFP

Doch gerade die lange Lehrzeit in der Major League Soccer kann sich nun als Vorteil erweisen vor dem zweiten Gruppenspiel der Amerikaner. Die tropischen Temperaturen in Manaus, wo sie am Samstag auf Portugal treffen (24 Uhr/ZDF), seien die Amerikaner laut Beckerman gewöhnt: „Wer bei den Temperaturen teilweise in Houston oder Dallas gespielt hat, den schockt das nicht mehr.“

Zur WM hat er nicht nur eine Gitarre sondern auch einen ganzen Stapel Bücher mitgenommen. „Ich habe mich lange nur mit Fußball beschäftigt“, sagte er, „die Bücher sind jetzt meine Schule.“ Nun lernt er die Welt und den Weltfußball kennen.

Nach dem Debüt gegen Ghana tauschte Beckerman sein erstes Trikot, gegen Portugal könnte er das nächste Souvenir einsacken: von Cristiano Ronaldo. Sofern die Knieprobleme einen Einsatz des Weltfußballers auch zulassen. „Ich habe gehört, Ronaldo imitierte Ping-Pong-Schüsse mit dem Ball“, sagte Beckermann zu US-Reportern. „Fragt ihn, wie er das macht und sagt es mir.“ Den Portugiesen droht nach der Auftaktniederlage gegen die Deutschen am Amazonas schon das Vorrunden-Aus. In dem Fall würden die Tränen Ronaldos Beckermans Haare als Thema in den sozialen Netzwerken ablösen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false