zum Hauptinhalt
Leicht und doch auch dynamisch ist das Spiel von Toni Kroos.

© dpa

Toni Kroos: Deutschland hat einen neuen Weltstar

Toni Kroos galt als eines der größten Talente, dann als ewiges Talent. Gegen Brasilien im Halbfinale der Weltmeisterschaft ist er nun zum Weltstar aufgestiegen. Er ist die zentrale Figur im deutschen Team und schafft es, konstant gut zu spielen.

Die ganze Sache war eine Angelegenheit von wenigen Minuten: ran an den Anleger, raus aus dem Bus, rauf auf die Fähre – und Abfahrt. Der neue Tag hatte schon begonnen, als die deutsche Nationalmannschaft nach ihrem historischen Halbfinalsieg gegen Brasilien den Fähranleger am Rio Joao de Tibo erreichte. Eine Hundertschaft der Militärpolizei sicherte das Areal, knapp 150 Brasilianer warteten zum Teil schon seit Stunden. Die Stimmung war freundlich, viel zu sehen aber bekamen die Schaulustigen nicht. Man hätte fast denken können, Toni Kroos hätte den Abtransport organisiert. Nur dass es bei der Ankunft des Busses anfing in Strömen zu regnen – das wäre Kroos vermutlich nicht passiert.

Der 24-Jährige ist im deutschen Spiel für die reibungslosen Abläufe zuständig. Er ist der Strukturalist der Nationalmannschaft, und nie ist sein Wert so deutlich zu Tage getreten wie im schon jetzt legendären Halbfinale dieser Weltmeisterschaft. Beim 7:1 gegen den WM-Gastgeber leitete Kroos das erste Tor mit einem Eckball ein, das dritte und das vierte erzielte er selbst, innerhalb von 70 Sekunden. „Es war wohl auch eines meiner besseren Länderspiele“, sagte er.

Dieses Understatement hat lange auch zu seinem Spiel gehört – und es ist Kroos nicht immer positiv ausgelegt worden. Dem jungen Mann, der schon mit 17 als eines der größten Talente der jüngeren deutschen Fußball-Geschichte gefeiert wurde, ging manches ein bisschen zu leicht vom Fuß. Sein Spiel wirkte auch dann noch unangestrengt, wenn sich das Volk nach sichtbarer Anstrengung gesehnt hätte.

Gegen Brasilien, vor allem bei seinem Treffer zum 4:0, war nun all das zu besichtigen, was den neuen Toni Kroos ausmacht: Instinkt, Entschlossenheit, Übersicht, technische Raffinesse. Kroos erkannte, dass Fernandinho kurz vor dem eigenen Strafraum Probleme mit der Ballannahme bekommen würde. Er stach im richtigen Moment zu, eroberte den Ball, spielte einen Doppelpass mit Sami Khedira und schloss den Gegenangriff scheinbar unangestrengt mit seinem zweiten Treffer ab. Zwei Tore und vier Vorlagen stehen für Kroos zu Buche. Nach sechs Spielen bei der WM genauso wie nach 29 Bundesligaeinsätzen für die Bayern in der abgelaufenen Saison.

Löw: Er hat physische Präsenz und Dynamik

„Die Dinge, die er macht, haben Hand und Fuß. Im Moment hat er eine sehr gute Form“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. „Unser Mittelfeld ist bei dieser WM immer sehr dominant. Und Toni Kroos hat dazu einen großen Teil beigetragen.“ Gemeinsam mit Sami Khedira. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid hat nach seiner Verletzungspause lange um seine körperliche Form gerungen, im Halbfinale strahlte sein Spiel nun erstmals die alte Selbstverständlichkeit aus. Löw attestierte ihm physische Präsenz und Dynamik in den Zweikämpfen.

Immer wieder stieß Khedira, scheinbar von sämtlichen taktischen Zwängen befreit, in die Spitze vor. „Das ist schon eine große Stärke von Sami“, sagte Löw. Der Bundestrainer hat gerade im zentralen Mittelfeld viel hin und her getüftelt und verschiedene Varianten probiert. Jetzt, zum Ende des Turniers, scheint er mit Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira als Doppel-Sechs sowie Toni Kroos davor die ideale Besetzung gefunden zu haben. Sowohl was Form, als auch was Inhalt angeht.

Die zentrale Figur in diesem Gebilde ist Toni Kroos, ein Spieler, „der dem Team wahnsinnig viele Impulse gibt“, wie Löw sagte. Der Bundestrainer hat Kroos immer schon für seinen taktischen Sachverstand und seine fußballerische Leichtigkeit geschätzt. Trotzdem hatte er Schwierigkeiten, einen adäquaten Platz für ihn zu finden. Inzwischen muss Löw einen Platz für die anderen finden – weil Kroos sakrosankt ist.

Vor zwei Jahren bei der EM hat der Bundestrainer den Münchner als Zwischenspieler bezeichnet. Er meinte damit, dass Kroos es wie kein Zweiter verstehe, in die Räume zwischen den gegnerischen Linien zu kommen. Man konnte den Begriff aber auch anders verstehen: Toni Kroos war der Spieler, der verlässlich zwischen Startelf und Ersatzbank pendelt. Bei dieser WM aber hat Löw sein Mittelfeld um Kroos herum gebaut. Der nimmt nun – in doppelter Hinsicht – die Position ein, die zuvor für Mesut Özil reserviert war. Kroos spielt immer, und wenn er als Zehner aufläuft wie in den vergangenen beiden Begegnungen, muss eben Özil auf die Seite ausweichen. Schon das sagt alles über die veränderte Hierarchie in der deutschen Mannschaft.

Kroos hat die Wertschätzung lange vermisst

Die Debatte um die richtige Position für Philipp Lahm hätte es vor zwei Jahren nicht gegeben – weil Löw einfach Kroos aus der Mannschaft genommen hätte, um Lahm, Schweinsteiger und Khedira gemeinsam im Mittelfeld unterbringen. Vor der Weltmeisterschaft in Brasilien hatte der Münchner bei der WM 2010 und der EM 2012 insgesamt acht Turnierspiele bestritten; nur in einem einzigen, beim EM-Halbfinale gegen Italien, durfte er von Anfang an spielen.

Die Wertschätzung, die er jetzt in der Nationalmannschaft erfährt, hat Kroos lange vermisst. Auch deshalb wird er die Bayern wohl in diesem Sommer verlassen und zu Real Madrid wechseln. Vordergründig geht es ums Geld, hintergründig um das Gefühl fehlender Anerkennung. Man kann trefflich darüber streiten, ob Profifußballer verdienen, was sie verdienen. Man kann aber nicht darüber streiten, dass Mario Götze aktuell fast drei Mal so viel verdient wie Toni Kroos. Das ist einfach ein schlechter Witz. Erst recht nach dieser Weltmeisterschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false